Gewalt gegen Frauen: Deutsche Täter sind in den Medien nur Einzelfälle

Ob Redaktionen so etwas selbst merken? Wenn nicht, klärt sie eine Studie der Otto Brenner Stiftung, erarbeitet von der Mainzer Kommunikationswissenschaftlerin Christine E. Meltzer, darüber auf: In der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen macht es einen Unterschied, ob es sich um deutsche oder nichtdeutsche Tatverdächtige handelt.
„Statistisch gesehen ist die gefährlichste Person für eine Frau in Deutschland […] ein deutscher Mann.“ Berichten Medien über Gewalt gegen Frauen, ausgeübt von nichtdeutschen Tätern, werden auffällig häufiger präventive politische Maßnahmen gefordert und die Gewalttaten eher strukturell eingeordnet. In der Konsequenz werde der Eindruck erweckt, „dass das Problem nur im Kontext von nichtdeutschen Tätern gelöst werden muss oder kann“, während man es bei deutschen Tätern mit Einzelfällen zu tun habe, für die es keinen politischen Handlungsbedarf gebe.

Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten“ ist der Titel der Studie, die Muster der Berichterstattung regionaler und überregionaler Printmedien vor dem Hintergrund polizeilicher Kriminalstatistiken erforscht. Dafür hat Christine Meltzer rund 3500 Artikel im Zeitraum der Jahre 2015 bis 2019 analysiert. Zugrunde liegt der Studie die plausible Annahme, dass es den gesellschaftlichen Umgang mit der Gewalt gegen Frauen beeinflusst, ob und in welcher Weise in den Medien darüber informiert wird.

Viele aufschlussreiche Befunde bestätigen allgemeine Merkmale der Medienlogik, die, etwa im Fall partnerschaftlicher Gewalt, „nur ein kleines und stark verzerrtes Bild der realen Entwicklungen“ zeigt. So werde partnerschaftliche Gewalt vor allem dann zum Medienthema, „wenn sie mit einem Tötungsdelikt in Verbindung steht“, zum Beispiel im Fall einer Trennungsabsicht. Indem sie lediglich die Auslösesituation dramatisiere, fördere die Berichterstattung den Eindruck, es handle sich um plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse. „Die tatsächlichen Gründe für einen Tötungsakt in einer Trennungssituation sind oftmals jedoch krankhafte Kontrollsucht und patriarchalisches Besitzdenken am Ende einer meist langen Gewaltspirale.“

Ein großes Tabu

Die Autorin der Studie gibt auch Anregungen für zukünftige Berichterstattung. Zwar zeichne sich in den letzten Jahren eine gewachsene gesellschaftliche Sensibilität für Gewalt gegen Frauen ab, „trotzdem liegt auf der Thematik ein großes Tabu“. Faktisch betroffen seien Frauen jeden Alters und aus allen sozialen Schichten. „Nur ein Bruchteil der von Gewalt Betroffenen schaltet jemals die Polizei ein – die Ausmaße des sogenannten Dunkelfelds lassen sich nur erahnen.“ Damit das Thema nicht mehr nur als privates, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt werde, müssten sich auch soziale Normen verändern. Medien könnten ihren Teil dazu leisten, resümiert die Autorin: Weg von der Einzelfallbeschreibung, mehr Raum für Opfer, weniger Raum für Tatverdächtige, sorgsame Abwägung von Herkunftsnennungen, Bereitstellen von Informationen für Hilfesuchende.

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Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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