Katastrophenstimmung? Nur keine Aufregung …

Und noch ein Klimareport, der uns mahnt, droht, zum Fürchten bringen kann … Die unaufgeregteren Kommentatoren bestreiten nichts von dem, was dort von einer unverdächtigen globalen Wissenschaftler-Gilde analysiert wurde. Aber viele Kommentare sagen auch: Es ist nichts mehr gänzlich aufzuhalten. Wir müssen uns dem stellen, was unvermeidlich ist, ohne das zu lassen, was das Schlimmste verhindert. Aber was bleibt zu tun? ‚Duck and cover‘, wie es einst in den USA hieß, um sich gegen einen Atomwaffenangriff zu schützen? Es geht eher um eine Offensive. Aber keine, die bremst, sondern unsere Stärken nutzt und dabei bekannte Fehler vermeidet.

Zur Freiheit, anders und weiter zu denken, gehört auch der Mut zu futuristischen Visionen.
(Giancarlo Zema Designgroup, Pressebild)

Deutschland ist das Land der alternativen Kultur. Denkt diese unbefangen in Alternativen? Wohl eher in einer einzigen, die sich durch Bescheidenheit in allen Belangen auszeichnet. Diente das als Orientierung, bliebe nur ein globales Bremsmanöver. Leider gibt es keinen globalen Fahrer, der Steuer und Bremse bedient, weil das passende Fahrzeug einer „Weltgemeinschaft“ nicht existiert. Das mag Empörung auslösen, die aber nichts ändert.

Deutschland hat in 30 Jahren seinen CO2-Ausstoß um 30 Prozent verringert. China hat ihn um 370 Prozent gesteigert und gerade angekündigt, 53 Kohleminen wieder in Betrieb zu nehmen, um der drohenden Energieknappheit beim weiteren Wachstum vorzubeugen. Das ist auf Zeit geplant, aber eben geplant, und schert sich nicht um Forderungen nach einem Hier und Sofort, wie es aufgeregte Sorge fordert. Ein demografisch schrumpfendes Deutschland ist global zur Belanglosigkeit verurteilt, wenn wir uns China, Indien und in naher Zukunft Nigeria ansehen, das mit seiner Wohlstands-Aufholjagd gerade erst begonnen hat. Hier spielt die Musik, die von bald weit über vier Milliarden Menschen unisono angestimmt wird. Deutsche Bremsmanöver sind dabei kein Vorbild.

Die Freiheit, anders und weiter zu denken

Ich empfehle daher eine Tugend, die unter gegenwärtiger Katastrophenpanik verlernt zu werden scheint: die Freiheit, anders und weiter zu denken. In der Theorie heißt das Kontingenztraining. Das unterstellt, dass es viele Alternativen gibt, von denen jede, die sich bewährt, zu weiteren führt. Betroffenheitskultur, die sich eng macht und das Nachdenken über Optionen fesseln will, hilft dabei nicht. Es geht nicht um moralisch statthafte Modelle, sondern um die Freiheit, unabhängig zu denken.

Was ich meine, skizziere ich an drei vernetzten globalen Problemen: dem Stadtleben, der Erhöhung des Meeresspiegels und dem Mangel an Trinkwasser.

Der Meeresspiegel steigt. Wie weit, wissen wir nicht. Müssen wir nun alles Menschenmögliche tun, damit der Meeresspiegel nicht steigt, weil sonst viele Metropolen vom Untergang bedroht sind und einige hundert Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren? Wir können nur pragmatisch sagen: Wir müssen das tun, was wir tun können, ohne dass unsere wirtschaftliche Basis nachhaltig demontiert wird. Wenn zurecht behauptet wird, wir könnten nur noch fünf, zehn oder zwanzig Jahre etwas tun, danach wäre es zu spät, müssen wir damit zurechtkommen, dass wir zu spät kommen. Menschen sind in ihrer sozialen Evolution oftmals zu spät gekommen, und haben dennoch „die Kurve gekratzt“, weil sie einen neuen Zug auf die Schienen gesetzt haben. Das heißt: Wir müssen zugleich auf Klimaschutz setzen und das tun, was nötig ist, um von einem dennoch steigenden Meeresspiegel nicht überrumpelt zu werden. Und wir müssen uns technologisch zukunftsfähig halten.

Es war immer Technologie und niemals Ideologie, die Menschen aus kollektiven Notlagen geholfen hat.

Bis 2100 werden Küstenstädte weltweit in weiten Bereichen überflutet sein. Das scheint sicher. Wie viele wie weit? Die Prognosen unterscheiden sich dramatisch. Aber was heißt das? Sie sacken nicht morgen schlagartig ab, sondern in den kommenden 80 Jahren langsam. Also können Städte sich auf einen langsamen Umzug in höhere Regionen umstellen. Es mag wandernde Städte geben, in denen kontinuierlich Bereiche leergezogen, andere neu besiedelt werden. Eine Chance für Stadtplaner, Fehler aus der Ära der ungeplant wuchernden Stadt zu vermeiden. Eine Chance für Architekten, neue Bauformen für andere Lebensweisen zu testen.

Modellprojekt Jakarta 2.0

Ende August 2019 kündigte die indonesische Regierung an, ihre gegenwärtige Hauptstadt Jakarta in die Provinz Ostkalimantan auf der Insel Borneo zu verlagern. Geplant ist eine „Smart & Green City“. Eine Million Menschen soll umziehen. Das Projekt ist allerdings durch Corona ins Stocken geraten. Und Jakarta selbst wird der Umzug der Regierung nicht helfen. In der Metropolregion leben 32 Millionen Menschen, bedroht von Müll, verstopften Kanälen, absinkendem Boden, dem regelmäßigen Monsun und steigendem Meeresspiegel mit sich häufenden Überschwemmungen. Bei guter Planung wird Jakarta 2.0 ein Modellprojekt werden. Jakarta wird hingegen auf lange Sicht verschwinden. Es ist eine Stadt der Vergangenheit, mit der das Land abschließen muss. Pläne für riesige Schutzdämme – Venedig lässt grüßen – wurden auf Eis gelegt. Der Niedergang ist nicht aufzuhalten. Aber unter großen Opfern zu managen, wenn Klagelieder nicht zu Handlungsunfähigkeit und später Panik führen.

Jakarta 2004: Auf Sumpfland gebaute Slums in der Nähe einer Mülldeponie
(Foto: Jonathan McIntosh, wikimedia commons)

In einer wandernden 10-Millionen-Stadt würden jährlich im Mittel 125.000 Menschen in neue Stadtviertel umziehen. Das sind 1,25 Prozent der Bewohner. In großen deutschen Städten ziehen aber bereits unter unbedrohten Bedingungen etwa 8,5 Prozent der Menschen jedes Jahr um. Also kein Grund für die Beschwörung sozialer Katastrophenszenarien von „entwurzelten“ Menschen. „Entwurzelt“ werden müssten aber etliche der Opfer der deutschen Flut des Sommers. Denn Menschen haben sich hier nach und nach in Risikozonen – siehe die Geschichte der Kleinstadt Schuld – angesiedelt, die schon seit Jahrhunderten von den klügeren Siedlern der Vergangenheit gemieden wurden.

Seit gut einem Jahrtausend machen die Niederländer vor, wie mit immer komplexeren Deichanlagen und Flutwehren Städte und Landwirtschaft gegen Überschwemmungen gesichert werden können. Und schon vor 2.500 Jahren siedelten hier Menschen auf künstlichen Hügeln, den heutigen Warften. In Norddeutschland ist Küstenschutz seit Jahrzehnten eine Daueraufgabe. Neue Deichprofile werden mit Ausbaustufen geplant, so dass schon heute Reserven von 1,5 Metern bestehen.

Wir brauchen perfekte Meerwasserentsalzung

Dicht besiedelte Küstenregionen an der Ostküste der USA sinken seit Jahrhunderten ab. Eine sehr alte Ursache ist das Verschwinden des Eispanzers der Eiszeit. Er hatte nördlichere Regionen nach unten gedrückt. Südlichere stiegen wie bei einer Wippe an. Diese Wippe bewegt sich nun seit Jahrtausenden in die andere Richtung. Woran auch eine CO2-Bremse nichts ändert. Hinzu kommen die Erderwärmung und die Entwässerung ehedem „aufgequollener“ Erdschichten durch Grundwasserentnahme – ein Problem, unter dem viele asiatische Küstenstädte leiden, aber auch 20-Millionen-Städte mitten in der Wüste wie Mexico City.

Was lässt sich dagegen tun? Wir brauchen – ungeachtet aller Klimaänderungen – auf lange Sicht perfekte Meerwasserentsalzung. Denn die Welt bot mit etwa drei Prozent der Gesamtmenge immer schon sehr wenig an Süßwasser. Das entsalzte Wasser darf aber nicht, wie gegenwärtig in der Landwirtschaft üblich, mineralische Reste im Boden ablagern. Hätten wir eine solche Technik, könnten wir auch den Untergrund absinkender Städte wieder mit Wasser vollpumpen. Ein hoher Aufwand? Ja, wie alles, was Menschen seit Jahrtausenden der Sesshaftigkeit tun, um nicht nur zu überleben, sondern besser zu leben. Menschen siedelten schon immer an Orten, aus denen sie sehr schnell und schon seit langer Zeit von der Natur vertrieben worden wären, wenn sie keine Techniken entwickelt hätten.

Das alte Ägypten hatte bereits aus der Not der Nil-Überschwemmungen die Tugend einer strategisch geplanten Landwirtschaft gemacht. Und das heutige Israel als geografische Zone existiert – ungeachtet der politischen Bedrohungen – vor allem, weil bereits 75 Prozent des Trinkwassers aus dem Meer gewonnen werden. Bescheidenheitsverfechter müssten also nicht nur unsere heimischen Duschsitten kritisieren, sondern auch die Existenz des Staates Israel (und mancher anderer Länder im arabischen Raum) in Frage stellen. Haben wir die Chance zu wirklich salzfreiem Wasser? Es gibt Methoden wie die kapazitive Deionisierung, bei der das Salz mit wenig Energieaufwand aus dem Wasser extrahiert wird. Vieles spricht dafür, dass Membranen aus dem Wundermaterial Graphen noch leistungsfähiger sein können. Vielleicht sind es aber auch noch gänzlich unbekannte Hybridstoffe, die nur entwickelt werden können, wenn weltweit Hochleistungsrechner mit Künstlicher Intelligenz eine virtuelle Materialevolution simulieren. Eine digitalisierte Forschung muss eben nicht mehr alles „machen“, sondern kann es modellieren. Was da geht, hat Corona demonstriert. Es muss also viel Geld in Forschung gesteckt werden. Was in einer Wirtschaft, die den Maßregelungen einer Kultur der aufgeregten Empörung folgt, nicht erwirtschaftet werden kann.

Desertec Foundation: Skizze einer möglichen Infrastruktur für eine nachhaltige Stromversorgung in Europa, dem Nahen Osten und Nord-Afrika (EU-MENA). Erzeugt werden soll genügend Energie, um den Bedarf an Meerwasserentsalzung und zwei Drittel des bis 2050 stark wachsenden Strombedarfs der MENA-Region zu decken sowie etwa 17 Prozent des europäischen Strombedarfs. (Bild: wikimedia commons)

Disney Corporation hört mit: Venedig als Doublette

Lässt sich durch das Einpumpen von Wasser in den Untergrund auch Venedig retten? Wahrscheinlich nicht. Venedig sackt aber bereits seit 1000 Jahren ab. Vielleicht müssen „wir“ – als der konservierungswütige Westen – diese Stadt aufgeben, nicht ohne die wichtigsten Bauwerke abgetragen und an sicherer Stelle wieder aufgebaut zu haben. Wahnsinn? Keinesfalls, es wäre das technisch einfachste und nachhaltigste Rettungsprojekt mit den geringsten Folgekosten. „Wir“ – also westliche Länder, die noch das Potenzial haben – müssen es nur wollen. Und auch gegen Widerstand von Betroffenen durchsetzen. Und: Wir müssen auch deutlich sagen, wenn wir es nicht wollen, statt überflüssige Milliarden in halbherzige Maßnahmen zu stecken, wie es in Italien korruptionsgestützte Sitte ist. Noch „versponnener“ mutet die Idee des schweizerischen Ökonomen und Glücksforschers Bruno S. Frey an. Er schlug im Sommer 2020 vor, zur Entlastung der überlaufenen Kanalstadt eine Doublette zu bauen. Die solle zugleich mehr an multimedial aufgehübschter Erlebnisintensität bieten als das Original und den Massentourismus mit bewährten Mitteln umlenken. Die Disney Corporation dürfte dem fantasievollen Mann genau zugehört haben. Das Absaufen des Originals würde durch die Verdopplung aber dennoch nicht gestoppt werden.

Neu sind solche Ideen nicht. Vor knapp 100 Jahren kaufte der Ölmilliardär John D. Rockefeller etliche heruntergekommene Klöster in Südfrankreich auf, verschiffte sie in die USA und ließ sie als Open-Air-Museum wiederauferstehen – heute ist The Cloisters eine Filiale des Metropolitan Museum of Art. So rettet Reichtum Kultur und verwandelt sie in neue kulturelle Dependancen. Das alles ist nicht „authentisch“, aber „authentische“ Stadtviertel sind schon lange re-kultivierte, also künstliche Stadtviertel. Die Frankfurter Altstadt lässt grüßen. Wir lassen uns – je nach Geschmackskultur – nur von manchen Simulationen eher erfreuen, als von anderen.

Schwimmende Öko-Häuser mit unterseeischer Algenzucht

Mut zu futuristischen Visionen sollten wir uns auch gönnen. (Deutschland droht diese Fähigkeit – jedenfalls im öffentlichen Diskurs – vollends zu verlernen.) Sie könnten sich von Lösungen der Vergangenheit anregen lassen. Menschen haben schon vor Jahrtausenden Modelle für das Wohnen in periodisch überschwemmten Regionen gefunden. Entlang des Amazonas leben Indianer noch heute in „Doppelhäusern“, bestehend aus einem stationär verankerten Floß-Haus und einem angetauten Boot, meist kombiniert mit einem separaten Floß für das Angeln, Kochen oder das Spiel der Kinder. Afrika, Asien, Ozeanien und Süd-Amerika haben im Laufe der Jahrhunderte schwimmende Häuser in unterschiedlichsten Größen und oft mit erstaunlichem Komfort entwickelt. So finden sich auf dem Dal Lake im indischen Kaschmir fast 4.000 Hausboote, manche davon schwimmende Paläste, die heute als luxuriöse Hotelunterkünfte genutzt werden.

Dal Lake, Kaschmir (Foto: Madhumita Das, wikimedia commons)

Heutige Technik erlaubt da ganz andere Baumuster. Schwimmende Öko-Häuser mit unterseeischer Algenzucht, eingebautem kompaktem Wellen- oder Gezeitenkraftwerk, Brauchwasser-Recycling, selbstverständlich Sonnenkollektoren auf dem Dach oder als schwimmender Solarteppich. Die Konzepte sind seit Jahren bekannt. Die Planung ist nur zu fantasielos. Im niederländischen Seebad Zwolle gibt es ein aus Containern zusammengesetztes schwimmendes Studentenwohnheim. Amsterdam gilt seit langem als Hochburg des (teuren, weil begehrten, aber leider noch nicht massenhaft gefertigten) Hausboots. Dabei bietet die Container-Technik hinreichend Vorbilder, die nur auf maritime Umgebungen übertragen werden müssten.

Architekten aus aller Welt haben seit den 1980er-Jahren Hunderte Entwürfe für moderne Hausboote entwickelt, die zu flexiblen Siedlungen unterschiedlicher Größe gekoppelt werden können. Und – wie zu erwarten – ist es mal wieder Dubai, das gegenwärtig mit den spektakulärsten Konzepten aufwartet, die (noch) dank Öleinnahmen auch realisiert werden dürften. Sage also keiner der Katastrophenbeschwörer, dass es nicht zeitig ein üppiges Angebot an Konzepten gegeben hätte, die auf eine Weiterentwicklung anspruchsvoller Stadtkultur setzen. Die schwimmende Stadt ist sicher nicht die einzige Version der Stadt der Zukunft. Neue, leichte, umweltschonende Materialien müssen noch entwickelt werden, die uns von schweren Steinen und massivem Beton beim Bauen emanzipieren. Dann könnten Städte sehr viel schneller auf schwankendes Klima, Wanderungsbewegungen und Änderungen in den Modellen sozialer Gemeinschaft reagieren. Die „leichte“, anpassungsfähige Stadt wäre die wahrhaft zukunftsfähige Stadt. Ein PR-bewusster Futurologe würde da wohl von Nomadentum 2.0 sprechen. Beim Komplex Stadtleben-Wasser sind die Entwicklungsvarianten zahlreich. Es gibt nicht die eine Lösung, sondern unterschiedlich rekombinierbare Strategien. Ein anspruchsvolles Projekt.

CO2, unser klimatisches Hauptproblem

Ganz anders eine überschaubare Form des Denkens in Kontingenzen: Unser klimatisches Hauptproblem ist Kohlendioxid, CO2. Ein sehr simples Gas aus Kohlenstoff und Sauerstoff, das bei der Oxydation von Kohlenstoff entsteht. CO2 ist nicht „böse“, sondern Teil des Kohlenstoffdioxidkreislaufes, von dem die gesamte Fauna und Flora der Erde abhängig ist. (Schon der Zusammenhang ist einer Mehrheit aller ökologisch Hochbetroffenen unklar, wie ich in zahlreichen Gesprächen erfahren musste.) Er ist „nur“ aus dem Gleichgewicht geraten. Nun ist die gesamte globale Rettungskultur damit beschäftigt, die Welt zu einer maximalen Reduktion des CO2-Ausstoßes zu bringen. Wir sollen sparen, uns beschränken, am besten verzichten. Konsequent gedacht sollten wir sogar aufhören, Sport zu treiben, weil auch die Zellatmung eines Organismus CO2 produziert.

Chemiker in aller Welt schütteln darüber den Kopf. Sie denken – glücklicherweise – ganz anders. Sie stellen sich die Frage: Was kann man aus Kohlendioxid machen? Wie lässt es sich verwandeln? Da gibt es nur zwei Richtungen: Zerlegen oder umkomponieren. Zerlegung, das bedeutet die Spaltung in Kohlenstoff und Sauerstoff. Übrig bleibt Kohlenstoff, den wir jetzt natürlich nicht wieder verbrennen sollten (was wir könnten). Sondern den wir für ganz neue Materialien (Kohlfaserverbundstoffe, Graphen) nutzen können. Selbst der Sauerstoff muss nicht in die Luft abgelassen werden. Komprimiert hilft er wie bekannt bei Atemproblemen. Weltweit arbeiten Hunderte von Forschungsteams an Verfahren, CO2 zu spalten. Es gibt Dutzende von grundsätzlich funktionierenden Optionen (Kontingenz) mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Ein Problem: Man braucht Energie. Daher sind energiesparende Verfahren zu bevorzugen. Es gibt bereits Verfahren, die bei Raumtemperatur ohne Energiezufuhr funktionieren. Sie sind nur noch nicht im großen Maßstab einsatzfähig.
Auf dem umgekehrten Weg wird ähnlich intensiv gearbeitet. Dabei wird CO2 als Grundbestandteil von komplexen Stoffen betrachtet. Unsere organische Chemie besteht schließlich überwiegend aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff. So ließe sich sogar nicht-fossiler Treibstoff synthetisieren, was aber Unsinn wäre. (Aber man muss sogar kontingenzorientiert über Unsinn nachdenken dürfen, weil gleich neben dem Unsinn bei der Forschung eine überraschend sinnvolle Lösung gefunden werden kann. Wissenschaft und Forschung denken schließlich seit langem ganzheitlicher, als die Agenten der erfühlten Ganzheitlichkeit wahrhaben dürfen.)

Der bereits erreichte Forschungsstand in beide Richtungen signalisiert: Es ist nur eine Frage von Zeit und Geld, bis effektive Verfahren funktionieren, wobei Geld Zeit ersetzt. Den Dringlichkeitsappellen der Weltretter könnte also nachgekommen werden.
Betroffene interessieren sich aber nicht für die Erfolge derjenigen, die mit neuer Technologie aus der Abbremsfalle entkommen wollen. Es darf schließlich nicht sein, dass mit neuer Technik, neuen Produkten, nebenbei auch noch Wirtschaftswachstum, Probleme gelöst werden können. Technologische Hintergrundberichte, wie sie in anspruchsvolleren Medien geliefert werden, gehören halt nicht zur Pflichtlektüre der Bescheidenheitsfokussierten. Entsprechend einseitig katastrophenfixiert sind die Wahrnehmungsmuster.

Glücklicherweise lässt sich der weltweite Forschungsbetrieb von der Scheuklappen-Orientierung der Weltretter in unseren heimischen Breiten eher nicht irritieren. Und dies nicht einmal in deutschen Landen, dem Kernland der Betroffenheitsheitkultur.

Jo Wüllner
Jo Wüllner, studierte Philosophie, Germanistik und Soziologie, arbeitete als freier Journalist und Chefredakteur (PRINZ), Umschulung zum Medienentwickler in Mailand und New York (Roger Black). Seit 1993 Umbau und Neukonzeption von gut 100 Zeitungen, Zeitschriften und Unternehmensmagazinen. Bücher zu Medientheorie und Sprachentwicklung.

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