Militarisierung ist die Spitze des Patriarchats  

Der Spiegel auf Facebook

Seit das Säbelrasseln von Putin begonnen und sich in einem ebenso verlogenen wie brutalen Krieg fortgesetzt hat, sehe ich unseren Sandkasten vor mir. Das Wettrüsten der Jungs mit allerlei technischem Gerät und Plastikwaffen. Erst die Drohgebärden, die Posen und Provokationen, dann die kleinen Territorialkämpfe, die schnell heftig werden konnten. Ab und zu floss Blut, aus einer Nase, von einem Knie. Einmal gingen Zähne verloren. Ich habe mich damals wie heute in erster Linie immer zuerst eines gefragt: Wie liesse sich verhindern, dass der eine über den andern herfällt?

Weder konnte ich die Kämpfe geniessen noch wollte ich wissen, wer recht hat: Ich konnte mir einfach nie vorstellen, dass Gewalt etwas klären würde. Vielleicht, weil meine beiden Eltern im Krieg «gross» geworden sind und ihre Erinnerungen uns als Familie nie verlassen haben. Wir sind nicht einfach verschont, wird sind Nachkriegsgeneration geworden, mit aller Dankbarkeit, aber auch mit allen Verwerfungen und Traumata.

Später, in den 90ern im Kontext eines feministischen Seminars, lasen wir an der Universität eine kleine chinesische Geschichte aus Sun Tzes «Die dreizehn Gebote der Kriegskunst», in welcher der König dem General Sun Tze befiehlt, aus seinen 180 Frauen gute Soldaten zu machen. Als der General den Frauen beibringen will, sich im Takt des Trommelschlags zu drehen, beginnen diese zu schwatzen und zu lachen. Sun Tze wiederholt die Lektion mehrmals, die Frauen krümmen sich vor Lachen. Natürlich wird dies als Meuterei taxiert, die beiden Lieblingsfrauen müssen mit dem Tod bestraft werden, so will es das Gesetz. Sie werden enthauptet, danach beginnt die Ausbildung neu – die Frauen schweigen jetzt und drehen sich zum Trommelschlag, als hätten sie nie etwas anderes getan. Die Geschichte besagt, dass man nur unter Gewaltandrohung Soldat zu werden vermag: die Haupt-Strafe, so sagte es die Psychoanalytikerin Luce Irigaray, besteht darin, die Frauen zu enthaupten. Entweder man verliert das Haupt mit einem Säbelschlag, oder man verliert mit dem Krieg den Kopf im übertragenen Sinn. Daraus wurde für uns der Schwur, für immer pazifistisch zu sein und zu lachen, sollte man und Mann von uns etwas anderes verlangen. Dieser Ausweg soll jetzt naiv und blind gewesen sein?

«Das ist kein Gedöns!»

Als der CDU-Vorsitzende Merz wie schon zuvor sein Kollege Dobrindt von der CSU der grünen Aussenministerin Annalena Baerbock vorwarf, den deutschen Kriegsetat für «Gedöns», nämlich für feministische Aussenpolitik, statt für militärische Zwecke zu nutzen, platzte ihr der Kragen. Zu Recht. Baerbock erinnerte an den Balkankrieg und die Mütter, die sie dort besucht und die ihr gesagt hatten, dass damals weder feministisch gedacht noch gehandelt wurde, dass etwa Vergewaltigungen noch als einfacher Kollateralschaden galten. «Und deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns! Das ist kein Gedöns! Sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit…»

Dieser Nachdruck von Baerbock in ihrer Entgegnung im Bundestag öffnet die Perspektive darauf, worum es einer feministischen Aussenpolitik geht. Beschlossen wurde sie vor der «Zeitenwende» durch die Ampelkoalition. Im Zentrum steht die Erfahrung, dass es neben Militärausgaben einen erweiterten Sicherheitsbegriff braucht. Und dieser darf nicht geschlechterblind sein. Wer aber weiss davon? Und was sind seine Grundsätze?

1 Feministische Aussenpolitik setzt Krieg in Bezug zu dem, was zählt, nämlich: zum Frieden. Es gibt eine Friedensforschung, die den Übergang von Krieg zu Frieden und die Sicherung von Frieden genau untersucht hat. So mahnt die Politikwissenschaftlerin Leandra Bias, die für Swisspeace forscht, seit längerem, dass Militarisierung immer die Spitze des Patriarchats ist und jeder Konflikt eine problematische Geschlechterdimension hat. Es geht deshalb um die Orientierung an einem Staatsmodell, das für nachhaltigen Frieden überhaupt in Frage kommt. Völkerrecht, Menschenrechte, Multilateralismus schaffen diesen. Afghanistan ist diesbezüglich das schlimmste Beispiel der Gegenwart. Durch den totalen Ausschluss der Frauen aus Politik und Öffentlichkeit wird dieses Land im Krieg bleiben, auch im Krieg gegen die eigenen Frauen.

Ganz anders in Kolumbien, wo auf Druck von Aktivistinnen in den Friedensverhandlungen von 2016 zwischen der Regierung und der Guerillagruppe FARC die Beteiligung von Frauen zugelassen wurde, auf Grund der UN-Resolution 1325.  Das Entscheidende der Resolution ist, die Frauen in allen Funktionen einzubinden, auch in militärischen. Wie in Norwegen, Schweden oder jetzt eben in Deutschland mit einer grünen und feministischen Aussenministerin.

Nicht Ladies first, sondern Inklusion der Schwächeren

2 Macht, Repräsentation und Quoten sind nicht Maßstäbe einer feministischen Politik. Zielführend ist für sie ein ganzheitlicher Blick auf das Wohl und den Schutz einer Gesellschaft. Deshalb geht es auch weniger darum, wie viele Frauen an einem Verhandlungstisch sitzen, sondern darum, alle Opfer und Verluste des Kriegs im Blick zu haben. Zum Beispiel Leihmütter, zum Beispiel Schwangere, zum Beispiel Menschen aus der Ukraine ohne ukrainischen Pass, zum Beispiel behinderte Männer und dissidente Russ:innen. Die Gerechtigkeit des neuen Feminismus heisst nicht Ladies first, sondern Inklusion der Schwächeren.

Auf den ersten Blick ist die Frage der Geschlechtergerechtigkeit in der Ukraine zur Zeit unklar. Wenn die meisten Frauen fliehen und sich mit den Kindern in Sicherheit bringen können, während die Männer dem bewaffneten Widerstand verpflichtet sind, zeichnen sich eher Muster ab, die typisch und bekannt sind: Frauen werden zu Schutzbedürftigen und Opfern, Männer zu Kriegern und Helden. Dieses Bild durchkreuzen die Frauen, die sich als Partisaninnen freiwillig am ukrainischen Widerstand beteiligen. Und Baerbock durchkreuzt es, indem sie sich zum Schutz des ukrainischen Militärs und der zivilen Bevölkerung für verstärkte Waffenlieferungen ausspricht. Ohne zu zögern.

Ganzheitlich und pragmatisch

3 Neu und überraschend tritt mit Annalena Baerbock somit etwas zu Tage, was man dem Feminismus nie nachgesagt hat: Pragmatismus und Kompromissfähigkeit. Es sind diese beiden Eigenschaften, die Politik vom Ideal zur Realität tragen – und die dabei auch Widersprüche in Kauf nehmen, wie sie die Grünen niemals kalkuliert haben. Wenn feministische Aussenpolitik versucht, ganzheitlich und zugleich pragmatisch zu denken, dann behauptet sie nicht, dass alles Widersprüchliche zusammen geht. Aber Annalena Baerbock bezieht Stellung und sagt: Sicherheit wird nicht durch Bewaffnung allein gewonnen, es braucht ebenso Investitionen in den Frieden. Das Entweder-Oder von Merz, Dobrindt und Konsorten ist genauso überholt wie das Mantra «Wandel durch Handel». Vielleicht steckt die politische Naivität ja auch im Gedöns derer, die sich in ihren Ideologien, anti-demokratischen Ideengeschichten und wirtschaftspolitischen Strategien schon längst verschätzt haben? Oder bei jenen, die meinen, mit Krieg lasse sich Politik machen?

Aussichten?

Die feministische Politik der Inklusion ist jung, sie ist auch Utopie, denn sie bemisst politisches Handeln nicht einzig im Spannungsfeld von Wohlstand (Ökonomie) und Sicherheit (Militär), sondern sie fragt nach Gerechtigkeit. Die Korrekturen am Ideal, die aus der Realität kommen, sind wir gewohnt. Das knirscht und schmerzt. Wie das verkrampfte Lächeln des Robert Habeck in Katar, als er einem Reporter versichert, es hätten bei seinen Verhandlungen für ein langfristiges Energieabkommen mit den Ölscheichen auch erstaunlich viele Frauen am Verhandlungstisch gesessen!
Sicher machte Habeck diese ungeschickte Retusche auch im Sinne der Agenda seiner Kollegin Annalena Baerbock. Sie ist naiv, aber verständlich. Habeck wie Baerbock wissen, dass Frauen nicht einfach die besseren Menschen sind. Und Drecksgeschäfte reinwaschen können sie auch nicht. Dennoch braucht es eine Alternative zur verkrusteten Ost-West-Politik der alten Sandkastenkrieger. Sie sind von gestern. Insofern heisst die ungeschickte Geste von Habeck auch: Wir müssen zählen auf Weiblichkeit und Menschlichkeit in der Politik, wir brauchen einen anderen Begriff von Politik. Weil wir spätestens jetzt sehen können, wie sinnlos die geopolitischen und meist männlichen Sandkastenspiele sind.

Unter dem Titel „Feministische Außenpolitik in Zeiten des Krieges“ erschien der Beitrag zuerst auf Infosperber

Silvia Henke
Prof. Dr. Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst, u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst & Religion, ästhetische Bildung, transkulturelle Kunstpädagogik.

1 Kommentar

  1. Ich glaube nicht, dass einigermaßen empathische Menschen Vergewaltigungen als „Kollateralschaden“ ansehen oder hinnehmen. Was soll die Einordnung der Ukrainer in beschützte Frauen und schützende Männerhelden? Das macht doch keiner. Jedem gebührt Respekt der sich dem Krieg stellt, ob als Soldat oder als Mutter die im U-Bahn Schacht sich um Kinder, Essen oder sonstwie wichtige Dinge kümmert.
    Es geht um Krieg oder Frieden, um Freiheit oder Unterdrückung. Ob Mann ob Frau, jedem der sich den Herausforderungen der Ukraine jetzt stellt bedarf der Unterstützung. Ja und das ist die Wirklichkeit, da gibt es unterschiedliche Rollen von Mann und Frau. Feministische Außenpolitik? Was ist das? Meinen Sie wenn Putin eine Frau wäre, dann gäbe es keinen Krieg. Wäre denkbar, ist er aber nicht. Und wer ist daran schuld? Die Männer? Die Frauen? Vielleicht beide? Vielleicht zu simple Fragen?

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

bruchstücke