Wo führt er hin?

Foto: fsHH auf Pixabay

Was spricht heute für das Urteil, dass die deutsche Bundesregierung in Sachen Krieg gegen die Ukraine in historischer Dimension versagt? Wer dieses Urteil teilt, kann das vortragen:
Die deutsche Politik trägt eine besondere Verantwortung für das Geschehen, hat sie doch sogar nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 als einzige in der EU mit ihrem engagierten Festhalten an dem Projekt Nord Stream 2 gegenüber Wladimir Putin klar signalisiert: Das Geschäft geht weiter. Es geht uns zwar auch um Werte, aber mehr noch um Energiepreise. Trotz dieser besonderen Verantwortung ragt die deutsche Politik bis heute, viele Wochen nach Kriegsbeginn, wiederum hervor: mit ihrer ausgeprägten Unentschiedenheit. Was kennzeichnet das Verhalten der Regierung Olaf Scholz?

Wie Kritiker oft feststellen: Sie macht vieles, aber von allem sehr wenig und möglichst spät. Das heißt: Sie bekennt sich in ihrer „Produktion“ von Reden, Statements, Konferenzen, wortreichen Vereinbarungen eindeutig zur Ukraine und deren Interessen. In ihrem praktischen Handeln tut sie jedoch alles, damit dieses als unentschieden erkannt wird. Kanzler Scholz will in Telefonaten mit Wolodymyr Selensky sagen können: Aber schauen Sie her, wir machen dieses und jenes und bald werden wir noch jenes und dieses machen. Und vermutlich machen wir künftig noch mehr als jetzt … . Und Selensky wird nicht nur spüren, sondern wissen, der steht nicht an unserer Seite, aber er wird es ihm nicht beweisen können.

Und wenn Kanzler Scholz mit Wladimir Putin telefoniert, dann wird er ihm sagen können: Ja, klar, wir helfen der Ukraine, aber schaue doch genau hin, ich tue doch alles, damit wir möglichst wenig zugunsten der Ukraine machen, und das auch noch möglichst spät und halbherzig. Und Putin wird mit dem Gespür den Hörer auflegen, ja, der wird den Sonderweg Deutschland-Russland wieder richtig aufnehmen, sobald er irgendwie kann.

Bloß keine eskalierenden Marder

Was tut diese Regierung Olaf Scholz, was könnte sie tun, was käme einem entschiedenen Handeln zugunsten der Ukraine gleich?

Foto: U. S. Secretary of Defense auf wikimedia commons

Entschiedenes Verhalten könnte sein: Wir liefern alle Waffen, damit die ukrainische Armee sich wehren, die eigene Bevölkerung schützen und die russische Armee zurückdrängen kann. Tut die Regierung Olaf Scholz nicht. Vielmehr untersagt sie sogar Privatfirmen, entsprechende Waffen an die Ukraine zu verkaufen. Im Auswärtigen Ausschuss weist Kanzler Scholz die Lieferung von Marder-Schützenpanzern als „schreckliche Eskalation“ zurück. Seine Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, der man sehr vieles nachsagen kann, vor allem Empathielosigkeit, meint zu der Forderung, 200 gepanzerte Fuchs-Transporter zu liefern, sie lasse doch die Bundeswehr „nicht ausplündern“.

Gut, also macht die Regierung Olaf Scholz auf diesem Gebiet so gut wie nichts. Wegen einer Mischung aus höchsten ethischen Bedenken vermutlich und der Angst, Wladimir Putin bloß nicht noch mehr zu reizen; das ist, wenn Olaf Scholz Führung liefert.

Worin könnte entschiedenes Handeln noch bestehen?

Screenshot: Website Bundesjustizministerium

Die Regierung Olaf Scholz legt sich fest: Wir tun alles, um russisches Vermögen zu beschlagnahmen, auch um mit diesem Geld anschließend die Ukraine wiederaufzubauen. Das heißt: neue Gesetze, bestens ausgestattete Task Forces, diplomatische Initiativen, um beispielsweise die Schweiz zu zwingen, mit derselben Energie mitzumachen. Könnte sie tun. Tut sie nicht. Der Stand der Dinge: In der gesamten EU sind bisher lediglich 13,8 Milliarden Euro an russischen Vermögenswerten eingefroren; davon entfallen 12,6 Milliarden auf die sechs Länder Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und die Niederlande. Und seit Mai ist diese Summe nach Auskunft des EU-Justizkommissar Didier Reynders kaum gestiegen. Marco Buschmann, FDP-Bundesjustizminister, meint zu Absichten der EU-Kommission, die Gesetze zu verschärfen, ja, das sei schon richtig, die EU müsse sich „durchsetzungsfähig“ zeigen, aber man müsse zugleich auch „die strengen Grundsätze der EU-Grundrechtecharta zum Eigentumsschutz einhalten“; Buschmann hat zu dem Thema promoviert. In Deutschland wurden bisher, nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeine Zeitung, lediglich drei Immobilien und ein Bankkonto eines sanktionierten Duma-Abgeordneten und dessen Ehefrau beschlagnahmt.
Auch da tut die Regierung Olaf Scholz also nichts.

Entschieden unentschieden

Also: Worin könnte entschiedenes Verhalten noch bestehen? Die Regierung Olaf Scholz könnte sagen, wir tun alles, um das Gesundheitswesen in der Ukraine in Gang zu halten, um verwundete ukrainische Soldaten zu versorgen. Wir installieren in der Ukraine 20, 30 mobile Krankenhäuser, wir fliegen systematisch ukrainische Soldaten aus und versorgen sie bei uns. Wird das gemacht? Nein. Frau Lamprecht lässt ja ihre Bundeswehr und deren Kapazitäten nicht „ausplündern“, in Kriegszeiten gleich gar nicht.

Die Liste dessen, was Deutschland entschieden tun könnte, um sich zu bekennen, jenseits von Waffenlieferung, die ist lang. Aber genau das ist ja nicht gewollt: ein Bekenntnis. Marina Weisband, Autorin plus Politikerin plus in Kiew geboren: „Ich meine, die Ukraine kämpft ja heldenhaft, aber sie kriegt zu viel, um zu sterben, aber zu wenig, um zu leben.“ Für Deutschland gilt das — sehr entschieden.

So sieht historisches Versagen aus. Jeder und jede weiß es. Olaf Scholz ist es wichtig, dass ihm das niemand beweisen kann; dass er, egal wie der Krieg ausgeht, nach opportunistischem Bedarf auf jeder der beiden Seiten auftauchen kann, um im Brustton der Überzeugung zu sagen: Ich war immer auf Eurer Seite. Und niemand soll ihm das Gegenteil beweisen können.

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

4 Kommentare

  1. Zum Beitrag “Wo führt er hin?” von Wolfgang Storz einige Fragen und Anmerkungen:

    1 Worin unterscheidet sich ein historisches Versagen von einem Versagen?
    Was ist das Kriterium, das ein Versagen zu einem historischen Versagen macht?
    Oder im Falle des Erfolges? Was ist das Kriterium, das einen Erfolg zu einem historischen Erfolg macht?
    Dass historisches Versagen und historischer Erfolg von der Historie abhängt, die erzählt wird, dürfte einleuchten.
    Um von historischem Versagen oder Erfolg sinnvoll zu reden, sollte man die Historie nennen, nach der geurteilt wird.

    2 Nach welchem Kriterium wird das Versagen oder der Erfolg eines Bundeskanzlers gemessen. Als Kriterium kann der im Grundgesetz vorgesehene Amtseid dienen:
    „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe.)“
    Erfolg wäre danach u.a. die Mehrung des Nutzens des deutschen Volkes und die Abwendung von Schaden. Ein Versagen wäre entsprechend vom deutschen Volk Schaden nicht abgewendet zu haben.
    Ob ein Bundeskanzler dem deutschen Volk so geschadet hat, dass man von einem Versagen reden kann, wird man allerdings kaum überzeugend nach knapp 10 Monaten einer laufenden Amtszeit beurteilen können.

    3 Ob eine vermeintliche festgestellte Unentschiedenheit oder mangelnde Entschiedenheit ein Kriterium für richtiges oder falsches Handeln eines Bundeskanzlers sein kann, dürfte ebenfalls fraglich sein.
    Erinnert sei an den Römischen Feldherren Quintus Fabius Maximus Verrucosus , der wegen seiner im Kampf gegen Hannibal erfolgreichen Hinhaltetaktitk den Beinamen „Cunctator“ „Zögerer“ bekommen hat und zu seinem historischen Ruhm trägt.
    („unus homo nobis cunctando restituit rem – „ein Mann hat uns durch sein Zögern den Staat wiederhergestellt“)

    4 Klares historisches Versagen würde heute allerdings dann zu konstatieren sein, wenn mit dem Versagen zugleich die Historie insgesamt endet.
    Die Nichtbewältigung der globalen Nachhaltigkeitskrise wäre ein solches Versagen. Dass die sicherheitspolitische Teilkrise der Nachhaltigkeitskrise eines Krieges mit geopolitischer Dimension mit einer Atommacht dieses Ende der Historie in den Bereich des real Möglichen hereinzieht, sollte man im Blick haben.

  2. Unabhängig von politischen Wertungen sollte man sich mal die Waffenbestände und deren (Fachjargon) “materiale Einsatzbereitschaft” anschauen, was die Bundeswehr betrifft. Die aktuelle Forderung Polens nach Leo 2 Panzern umfasst demnach ca. Fast ein Viertel des gesamten Bestandes. Die Bundesrepublik ist allein mit 500 Mio. € an der EU-Militärhilfe für die Ukraine beteiligt. Das ist natürlich viel zu wenig, weil allein ein Schützenpanzer der neuen Generation 16 Mio. € pro Gefährt kostet. Noch viel Empire zu erschließen bei so entschlossenen Standpunkten….

    1. Um dies in Zahlen zu verdeutlichen: Die Bundeswehr verfügte 2017 nominell über knapp 400 Schützenpanzer diverser Marder-Typen. Davon waren 2017 ca. 200 einsatzbereit. Die Nachfolge sollte vor Jahren schon von “Puma”-Panzern erfolgen, insgesamt 350 Stück, die aber nicht geliefert wurden oder extrem teuer wurden. Wenn die Lieferanten jetzt behaupten, sie könnten direkt liefern, sollte man mal fragen: zu welcher materiellen Einsatzbereitschaft und zu welchem Preis?
      Aber das sind ja nur so dusselige Details…

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