Nachdem viele Beifall geklatscht und manche gerufen haben „Bravo Karl!“, ist es an der Zeit, sich genauer anzuschauen, was als Entwurf einer Krankenhausreform vorgelegt worden ist, und was dieser Entwurf bezogen auf „Basics“ des Systems bedeutet. Für 73 Millionen Mitglieder und Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht entscheidend, was Professoren in einer Regierungskommission über Ökonomisierung und Kapitalismus im Gesundheitssystem sagen. Sondern für sie ist entscheidend, was das System für sie leistet.
Im Sozialgesetzbuch fünf wird festgelegt: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.“ In § 12 heißt es: „Die Leistungen [der Kasse] müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen…“ Werden diese Festlegungen künftig erfüllt oder nicht erfüllt? Das ist der zentrale Aspekt. Das Sozialgesetzbuch enthält Rechtsansprüche, keine Experimentierklauseln und kein Mandat für das Prinzip „versuchen wir´s mal andersrum“.
Dem einen oder anderen mag diese Argumentation nicht schmecken, weil sie sich nicht ideologiekritisch liest, aber ohne solche „Basics“ – Vertrag mit der Kasse, Rechtsanspruch, Abzüge pro Monat, Leistung – ist alles nichts. Das ist Grundlage der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung.
“Völlig unabhängig” – so, sind sie das?
Es macht mich stutzig, wenn der Gesundheitsminister mit Blick auf frühere Reformvorhaben vom Einfluss der Lobbygruppen spricht. Wen oder was meint er damit? Reformvorstellungen des Spitzenverbandes der Krankenkassen? Ideen der niedergelassenen Ärzte? Forderungen der Pflegeverbände? Gar Widersprüche der Pharmaindustrie?
„Es wird keine Rolle spielen, was zum Beispiel einzelne Verbände denken oder was Kassen oder private Träger denken“, berichtet der Vorwärts von Lauterbach. Wen oder was meint er? Und der Vorsitzende der Regierungskommission zur Krankenhausreform, Professor Tom Bschor, wird so wieder gegeben: „Wir sind in unserem Arbeitsprozess vollständig unabhängig gewesen von Politik – auch des Gesundheitsministeriums – aber auch von Verbänden und Organisationen, die ihre Interessen vertreten.“
So, sind sie das? Da hätte ich schon gern gewusst, ob Bschor pur Grundlage von Entscheidungen des Parlaments werden soll, was Minister Karl Lauterbach beigetragen hat, ob die Fachleute des Ministeriums ungehört blieben. Denn das hat ja Auswirkungen auf unsereins.
Jedem Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse werden jeden Monat Beträge abgezogen, also Eigenmittel entzogen. Für den Durchschnitts-Beschäftigten – 4000, € brutto im Monat – sind das knapp 300 €. Zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag ergeben sich etwa 600 €. Der Arbeitgeberanteil ist Teil des Beschäftigten- Einkommens. Das sind nur für betuchte Leute Kleinigkeiten, Petitessen, wie weiland Willy Brandt sagte.
Das Erstaunen wird groß sein
Wird der Beitrag steigen, wenn der Gesetzgeber der Meinung einer Handvoll Professorinnen und Professoren folgt? Der Gesundheitsminister hält sich „bedeckt“. Lediglich in der Talkrunde „hart aber fair“ vom 8. November 2022 kündigte er an, das „System wird teurer“. Um wieviel „das System“ teurer wird, ist nicht klar.
Die angekündigte Reform im Bereich der Krankenhäuser will ich nicht kleinreden. Aber über Defizite darin darf nicht geschwiegen werden.
Die Antwort auf die Frage, warum die Lage in vielen Krankenhäusern desolat sei, wird auf die Anwendung von Fallpauschalen zugespitzt. Das ist zumindest problematisch. Diese Fallpauschalen wurden in den neunziger Jahren vorbereitet und ab 2002 Schritt für Schritt eingeführt, um
- effizient arbeitende Krankenhäuser von defizitären überhaupt objektiv unterscheiden zu können;
- also um Kosten in den Krankenhäusern überhaupt vergleichbar zu machen und
- um Transparenz herzustellen – von den Ausgaben für Verwaltung bis zu den Kosten einer Blutabnahme.
Krankenhausforderungen und die entsprechenden Kosten wurden fast „gläsern“.
Das Erstaunen wird groß sein, weil nach dem Abschaffen der Fallpauschalen ein Instrument eingeführt werden muss, dass das gleiche leistet wie Fallpauschalen, das aber nicht mehr so heißt. Eine Rückkehr zum Prinzip „bezahlt wird, was gefordert wird“, also zur Kostendeckung wie sie früher praktiziert wurde, die wird es nicht geben. Denn dann wird das „System“ nicht nur teurer, sondern es wird nicht mehr bezahlbar sein.
Die Quellen der Finanzierung
Die Lage der Krankenhäuser wird vorrangig nicht durch Fallpauschalen definiert, sondern durch die auf drei „Quellen“ beruhende Finanzierung. Die laufenden Kosten werden durch die Mitglieder der gesetzlichen Kassen beziehungsweise die privat Versicherten bezahlt (was zumeist vergessen wird). Die Finanzierung der Krankenhaus-Investitionen soll aus den Länderhaushalten geleistet werden. Die dritte Quelle heißt Steuerzahler. 2021 flossen über 28 Milliarden Euro ins System, 2022 über 18 Milliarden. Darin stecken auch 10 Milliarden Euro für bisherige Hartz IV-Bezieherinnen und Bezieher. Der Steuerzahler finanziert mittelbar also auch Krankenhäuser mit.
Die Krankenhaus-Finanzierung funktioniert seit vielen Jahren nicht. Das lässt sich in Studien des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) gut nachlesen. Beispiel: „Drei von vier Krankenhäusern sind nicht ausreichend investitionsfähig. Aus diesem Grund schreiben seit über 10 Jahren zwischen 30 und 50 Prozent der Kliniken Verluste.“
Und weiter: „Faktisch wird nur noch die Hälfte der Krankenhausinvestitionen aus öffentlichen Fördermitteln bestritten. Die andere Hälfte der erforderlichen Investitionen steuern die Krankenhäuser anderweitig bei, etwa über Überschüsse aus den Leistungsentgelten.“
Schließlich: „Die Unterfinanzierung der Krankenhausinvestitionen führt zu einem erheblichen Investitionsstau. Für die nächsten fünf Jahre beträgt der Investitionsbedarf der deutschen Krankenhäuser rund sieben Mrd. Euro pro Jahr. Die öffentliche Förderquote durch die Bundesländer lag in den letzten Jahren nur bei 2,7 Mrd. Euro pro Jahr. Der Investitionsbedarf ist damit um das Zweieinhalbfache höher als aktuell die öffentlichen Fördermittel für Krankenhausinvestitionen.“
Was passiert, wenn die Länder abwinken?
Der Bundesgesundheitsminister hat angekündigt, mit den Ländern reden zu wollen. Wäre es nicht vernünftig gewesen, die künftige Finanzierung der Investitionen vorab zu regeln? Zumindest Teilzusagen der Länder über eine höhere Beteiligung an den Krankenhaus-Investitionen in der Tasche zu haben? Was geschieht, wenn die Länder abwinken?
Ein Aspekt der Reformfindung ist für mich unerklärlich. Der Bundesgesundheitsminister hatte eine Reformkommission zusammengerufen, in der Forschung und Wissenschaften und öffentliches Recht völlig dominieren. Ausgewiesene Praktiker, Organisatoren der Übergänge von der ambulanten in die stationäre Behandlung fehlen weitgehend, vor allem wurde ein Bogen um den Bereich der behinderten Menschen geschlagen. Ich begreife nicht, warum Lauterbach seine Kommission so eingestilt hat.
Der Epidemiologe an der Spitze des Gesundheitsministeriums hat eine sehr schwierige, vielleicht unlösbare Aufgabe zu lösen: Nämlich während einer allgemeinen, umfassenden Krise einer Krise des Gesundheitssystems hinterher sparen, immer einen Schritt hinter der Notwendigkeit her laufen zu müssen. Aber dann, wenn es so ist, sollte er sich seine Aufgabe nicht unnötig selbst schwerer machen.