Ein Manifest zum Vergessen

ARTE zeigte am 5. Mai 2010 einen 100 Minuten dauernden Dokumentarfilm der grandiosen Historikerin und Filmemacherin Ruth Zylberman. Der Film – ausgezeichnet mit dem Grand Prix du documentaire d’histoire – war bewegend, er beschrieb die Lebenswege von Dissidenten aus Polen und Ungarn und der Tschechoslowakei, von Václav Havel, Jacek Kuron, Adam Michnik und anderen, deren geheime Treffen, deren Ängste und Kämpfe um Freiheit und Offenheit, darum, wie Menschen behandelt zu werden. Der Film geht mit einer Botschaft, sofern ich mich richtig erinnere, zu Ende. Mit der Botschaft, dass die Dissidenten uns im Westen ein Erbe hinterlassen haben: Nämlich nie zu vergessen, welchen Wert die Freiheit hat.
Wir haben dieses Erbe kollektiv angenommen. In diesem Zusammenhang wurde oft erklärt: Wir vergessen eure Botschaft nicht. Mehr noch: Wir heißen euch in unserer europäischen, nun gemeinsamen Heimat willkommen. Dabei war klar: Die im Westen Deutschlands mussten nie wirklich gegen Unfreiheit kämpfen. Viele im Osten unseres Landes haben gekämpft und dafür auch bitter bezahlt.
Gibt es das Erbe noch? Ist es vergessen? Hat es sich aufgezehrt? Oder muss man genauer in den Erbvertrag schauen? Steht da irgendwo im Kleingedruckten: Wir verwerfen dieses Erbe dann, wenn es hart auf hart kommt?

In einer Petition aus diesen Tagen, einem „Manifest für den Frieden“, lese ich: „…wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“. Und: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“
Können und müssen? Es geht darum, den mörderischen Angriffs-Krieg in Europa zu beenden. Durch Kompromisse, wie es in der Petition heißt, denen eine Seite zustimmen kann, die jeden Vertrag gebrochen hat, die angekündigt hat, ein Land von der Landkarte zu löschen, die mordet, Kinder raubt, Frauen schändet, die die Arbeitslager und Gulags wieder füllt.
Die Petition will und kann einen Kanzler und eine Regierung „in die Pflicht nehmen“, die der anderen Seite im Konflikt auch militärisch mit fast allem, was sie hat, helfen will. Daraus schließe ich, dass die Genannten bislang ihre Pflicht verletzt hätten, denn sonst müssten die nicht in die Pflicht genommen werden.
Wir sollten die Petition vergessen, bitte, bitte. Sie ist eine einzige Blamage.

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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