Wenn SUV ein Staat wären…

Was ist die größte Gefahr für die Demokratien? Der australische Politologe John Keane nennt »die Zerstörung der lebendigen planetarischen Umwelt« als die langsamste und zugleich beunruhigendste »Form des Demozids«. Umweltschocks seien »manchmal durch beängstigende Quanteneigenschaften gekennzeichnet, die einen eigenen Willen zeigen«, schreibt Keane im Eurozine. Aber das sei »noch nicht alles. Es gibt noch weitere, unmittelbar zu beobachtende 
antidemokratische Auswirkungen der Verwüstung unseres Planeten«. Folgen der Klimakrise würden als katastrophische Ereignisse »das Gewebe aus Vertrauen und Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft durch Gier und Korruption, Angst und Krankheit« zerreißen, der Ausnahmezustand werde in einer Welt, in der »Extremwetterereignisse« keine Ausnahme mehr sind, »normalisiert«.

»Notstandsregelungen gewöhnen die Menschen an Unterordnung. Sie ist die Mutter der freiwilligen Knechtschaft.« Auch »Zwangssolidarität, die Leszek Kołakowski als eine durch Zwang degradierte Form der Solidarität beschreibt, wird standardisiert«. Keanes Warnung: »Die Demokratien spielen auch mit ihrem eigenen Verschwinden, wenn die Bürger und ihre Vertreter die antidemokratischen Auswirkungen von extremen Wetterereignissen, Artensterben, Seuchen und anderen Umweltkatastrophen gedankenlos und blindlings ignorieren.«

Foto: Victoria Watercolor
auf Pixabay

Keane im Kopf lässt sich eine der schlimmsten Seuchen automobilistischer Verdrängung als Demokratiegefährder-SUV bezeichnen: 2022 war die steigende Verbreitung von »Sports Utility Vehicles« für »ein Drittel des Anstiegs der weltweiten Ölnachfrage verantwortlich«, wie der »Guardian« berichtet. Die klimawirksamen Emissionen der rund 330 Millionen SUV weltweit summieren sich auf fast 1 Milliarde Tonnen Kohlendioxid. Wären SUV ein Staat, stünde dieser »weltweit an sechster Stelle der Verschmutzer«. Der Absatz solcher Riesenblechwagen wuchs von 20 Prozent Anteil an allen Neuwagen im Jahr 2012 auf 46 Prozent aller Autos im vergangenen Jahr. Dass rund jeder sechste 2022 verkaufte SUV elektrisch angetrieben wurde, macht die Sache nicht viel besser. Laut der International Energy Agency werden die E-SUV zwar »immer beliebter, aber nicht schnell genug, um den steigenden Ölverbrauch und die Emissionen der gesamten Fahrzeugflotte auszugleichen.« Außerdem übt »ein wachsender Markt für Elektro-SUVs zusätzlichen Druck auf die Lieferketten für Batterien« aus, also auf die Nachfrage nach den für die Herstellung der Batterien benötigten Mineralien.

Der Beitrag ist entnommen aus den “Klimanotizen” des linksdings Newsletters #5

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Tom Strohschneider
Tom Strohschneider ist Journalist und Historiker, war Redakteur des Freitag und der TAZ, 2012-2017 Chefredakteur Neues Deutschland und arbeitete federführend an der monatlich erscheinenden Wirtschaftszeitung OXI mit.

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