Am Anfang war Verschwörung

Screenshot: Website Nachdenkseiten

„Es ist ja kein Geheimnis, dass wir von den NachDenkSeiten das neue Parteiprojekt mit Hoffnung und Sympathie begleiten“, schreibt Albrecht Müller. Die Katze war schon länger, aber eher unauffällig aus dem Sack geschlüpft – siehe den folgenden Beitrag von Matthias Meisner aus dem Jahr 2022. Jetzt präsentiert sich die Katze wohlig schnurrend, Sarah Wagenknechts Parteigründung umschmeichelnd. “Es lohnt sich, diese Pressekonferenz [anlässlich der Parteigründung] anzuhören und anzuschauen. Sie zeugt vom programmatischen und personellen Reichtum der neu gegründeten Partei“, wirbt derselbe Müller, der keine Gelegenheit auslässt sich zu beklagen, „wir alle sind heute massiver Meinungsmache und Propaganda ausgesetzt“.
Die Notwendigkeit der neuen Partei begründet Müller damit, dass SPD, Grüne und Die Linke durch „das erfolgreiche Wirken von Einflussagenten“ von außen umgedreht wurden, „dass Parteien, mit denen viele Menschen Hoffnungen verbunden hatten, unterwandert, umgedreht und fremdbestimmt worden sind“. Ausdrücklich begrüßt er es, dass die Führung der neuen Partei diese Probleme erkannt hat. „Deshalb versucht man, sorgfältig zu prüfen, wen man als neue Mitglieder aufnehmen kann.“
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Die NachDenkSeiten mögen zwar zuletzt mehr und mehr abgedriftet sein, Stichworte Corona-Verharmlosung und Putin-Versteherei (mehr dazu). Aber eines war für das traditionsreiche Portal in der Landschaft der sogenannten „alternativen Medien“ immer Doktrin: klare Kante gegen Rechts. Wohlgemerkt: war. Denn der 2003 vom ehemaligen SPD-Politiker Albrecht Müller als Antwort auf Gerhard Schröders Agenda-Politik gegründete Blog lässt neuerdings auch deutlich Sympathien für die extreme Rechte durchblicken, nicht nur für die AfD. Wie konnte es dazu kommen?

Einen Vorgeschmack gab Ende April 2022 NachDenkSeiten-Chefredakteur Jens Berger in einem Text über eine Bundestagsdebatte zu Waffenlieferungen an die Ukraine, überschrieben: „Diese Rede hätten wir gerne vom Bundeskanzler gehört – doch sie kam von Alexander Gauland“. Berger beschrieb die Wortmeldung des früheren Partei- und Fraktionschefs der AfD als „Höhepunkt der Debatte“, als „Punktlandung“. Und bedauerte: „Offenbar verbietet die politische Disziplin heute, einem AfD-Politiker zuzuklatschen.“

Damals gab es eine ganze Reihe wohlmeinender Leserpost für Berger. Gaulands Debattenbeitrag sei „wertvoll“, hieß es, und: „Chapeau, was er da gesagt hat. Genau das trifft es.“ Wenn es um Frieden gehe, müsse man Scheuklappen ablegen, hieß es in einem anderen Leserbrief. Und das Ehepaar Helene und Ansgar Klein aus Würselen ermunterte den Chefredakteur der NachDenkSeiten: „Die Verhärtung in Lagern und Narrativen, wie wir sie heute in der BRD in noch nie dagewesener Form erleben, muss durchbrochen werden.“ Ansgar Klein ist ein in der Region Aachen bekannter Verschwörungstheoretiker. Im April 2020 hatte er eine Kundgebung vor Corona-Rebellen angemeldet, auf der zum Unmut der damaligen Parteiführung der LINKE-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko auftrat (Quelle). Aber das nur nebenbei.

Verharmlosung von Rechtsextremisten

Das Lob der NachDenkSeiten für Gauland war kein einmaliger Ausrutscher. Nach der Niedersachsen-Wahl im Oktober 2022 (mehr dazu) zollte Berger der AfD Respekt für ihre Haltung zu Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen. Die AfD sei die einzige Partei, die in dieser „existentiellen Frage“ eine „progressive friedenspolitische Antwort liefert“, schrieb er.

Obwohl bekanntermaßen jede Wählerin und jeder Wähler mit der AfD sehr bewusst für Rechtsradikale votiert und Konsens bestehen müsste, den Nimbus der Protestpartei nicht durchgehen zu lassen, appellierte Berger, man dürfe „den Wählern nicht ihre demokratische Gesinnung absprechen“. Berger fügte hinzu, Gejammer über den angeblich nicht demokratischen AfD-Erfolg sei „wohlfeil“. Rassismus und reaktionäre Wertvorstellungen der AfD seien zwar schlimm, schränkte der Autor ein. Aber, so fragte Berger mit Blick auf die Grünen gleich im nächsten Satz: „Ist eine Politik, die auf einen nuklearen Holocaust in Europa zusteuert, nicht sogar noch schlimmer?“

Dass die NachDenkSeiten Rechtsradikalismus verharmlosen, wenn es um ihre Agenda geht, zeigte sich zuletzt auch in einer Artikelserie zu den Protesten gegen die Energiepolitik im sächsischen Plauen. Autor der Texte über die „Wut des Ostens“ und die „mutigen“ und „zänkischen Vogtländer“ ist der in der Region beheimate Journalist Frank Blenz, der mit den lokalen Gegebenheiten bestens vertraut sein müsste – und der dennoch auf dem rechten Auge blind zu sein scheint. Blenz feierte, dass am letzten September-Wochenende bei einer der bisher größten Protestdemonstrationen im „heißen Herbst“ in Plauen ein Transparent durch die ganze Stadt getragen worden sei: „Für diese Scheiße sind wir 1989 nicht auf die Straße gegangen.“

Das Forum für “Demokratie” geht in #Plauen demonstrieren, an der Spitze der Protestbewegung Verfassungsfeinde der rechtsextremen “Freien Sachsen” und “Freies Thüringen”. Deren Ziel, die Auflösung der BRD und des Bundestages. #Sucksen #Sachsen #Extremisten #SoGehtSächsisch pic.twitter.com/AZ4m1bdM1d— Zwickau-Watch (@ZWIWatch) September 12, 2022

Was die NachDenkSeiten in den Beiträgen zu der Stadt im Vogtland völlig unterschlagen: die Rolle der extrem rechten Szene bei den Protesten, etwa die Beteiligung der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“ an den Aufmärschen. Und auch die Verbindungen der Veranstalter ins Reichsbürger-Milieu. Zwar erwähnt Blenz, dass die Kundgebungen von einem „Forum für Demokratie und Freiheit“ organisiert worden sind. Er führt sogar ein langes, gefälliges Interview mit der Organisatorin und Rednerin Moreen Thümmler, in dem diese Vielfalt behaupten darf: „Die über Jahrzehnte aufgebauten Mauern sind noch in vielen Köpfen vorhanden, Ost-West, Links-Rechts. Wir sind vor allem eins: Menschen! Eine Gemeinschaft!“

Hinter den Demos in #Plauen, die gerade größeren Zulauf hatten, steckt als Orga das sog. “Forum für Demokratie und Freiheit”. Das sollte in seiner Radikalität bitte nicht unterschätzt werden. Hier Punkte, für man sich einsetzen will – extreme, reichsbürgerhafte Tendenzen. https://t.co/y1wjokb3pU— Doreen Reinhard (@DoreenReinhard) September 12, 2022

Lob für die Gruppe, die Sturz der Regierung und “Nürnberg 2.0 fordert?

Im 21-Punkte-Programm des „Forums für Demokratie und Freiheit“ stehen Forderungen wie das Ende der Russland-Sanktionen, aber auch „Beendigung aller illegaler Abgaben des Volkes“ oder „Einfordern der Auflösung des Deutschen Bundestag sowie der Bundesregierung“. In sich hat es auch Punkt 14: „Die feste Integration des Nürnberger Codecs in das nationale und europäische Recht“. Soll mit dem Hinweis auf den nach dem Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 installierten Kodex ein Vergleich gezogen werden von Corona-Impfungen mit den Menschenversuchen der Nazis?

Nach den Worten des Plauener Oberbürgermeisters Steffen Zenner (CDU) steht das „Forum für Demokratie und Freiheit“ nicht „auf dem Boden unseres demokratischen Grundverständnisses“. David Thiele, Haupt-Organisator der Kundgebungen, liefert dafür regelmäßig Belege. Er sagte im Oktober: „Ich finde Parteien generell beschissen und zum Kotzen, weil sie geistiger Müll sind.“ Im September erklärte er in einem Mobilisierungsvideo, der Bundestag bestehe „zu mehr als 90 Prozent nur aus hochverräterischen Volksverrätern“.

„Die Protestwelle im #heissenHerbst geht über die Provinz, nicht über Berlin“, hatte mir Michael Brück von @freiesachsen_ in #le0509 gesagt, und angekündigt, #Plauen als Hotspot auszubauen. „Die wiederkehrenden Demos im Regierungsviertel bringen doch wenig.“ https://t.co/3AG2SpnJL1— Olaf Sundermeyer (@O_Sundermeyer) September 11, 2022

„Extreme, reichsbürgerhafte Tendenzen“

Die freie Journalistin Doreen Reinhard, Autorin der Wochenzeitung „Die Zeit“,  twitterte, das Forum „sollte in seiner Radikalität bitte nicht unterschätzt werden“. Sie spricht von „extremen, reichsbürgerhaften Tendenzen“. RBB-Reporter Olaf Sundermeyer berichtete, die Kleinpartei habe sich vorgenommen, Plauen als Hotspot auszubauen. „Die Protestwelle im heißen Herbst geht über die Provinz, nicht über Berlin“, zitierte Sundermeyer den Neonazi-Kader Michael Brück. „Die wiederkehrenden Demos im Regierungsviertel bringen doch wenig.“ Auch Christian Herold vom Kulturbüro Sachsen spricht mit Blick auf das Forum von „klarer Reichsbürger-Rhetorik“, wie die Zeitung „ND“, das frühere „Neue Deutschland“ berichtete (Quelle).

Der Kurswechsel der NachDenkSeiten im Verhältnis zur extremen Rechten ist bemerkenswert, und er beschädigt weiter das einstige Renommee des Portals, das in der Gründungsphase mal ein spannendes Beispiel für Gegenöffentlichkeit abgab. In einer Fallstudie für das Projekt „Gegenmedien als Radikalisierungsmaschine“* des Zentrums Liberale Moderne hatte sich der Trierer Politikprofessor Markus Linden im Frühjahr ausführlich mit den NachDenkSeiten befasst (Quelle). In der Studie hieß es, die NachDenkSeiten würden „politisch klassisch links verortbar bleiben“ (mehr dazu) und sich „schon lange explizit“ von der rechtsradikalen AfD distanzieren.

Rechtspopulismus wird “unter der Hand” gestützt

Linden schrieb allerdings auch: „Die AfD wird als Partei explizit abgelehnt, aber ihre Argumente und Scharnierprotagonist:innen erhalten eine Öffentlichkeit, die nicht einordnet, sondern die radikale Widerstandsrhetorik en passant mitnimmt.“ In einem Interview von Wolfgang Storz für den Blog Bruchstücke ergänzte Linden im Mai: „Der Rechtspopulismus wird von den NachDenkSeiten eher unter der Hand gestützt, und zwar in Form von Verlinkungen oder instrumentellem Lob“ (Quelle).

In einer Analyse zum Bundestagswahlprogramm 2021 hatten die NachDenkSeiten noch Kreide gefressen: „So seriös die AfD tut, so klar kommt an einigen Stellen des Wahlprogramms auch ihr rechtsextremer Charakter heraus.“ Im März 2020 warnte das Portal davor, „auf die AfD hereinzufallen“ oder sich „aus Ärger über das Fehlen einer guten Alternative“ ein „geschöntes Bild der AfD“ zu malen. Damals hieß es: „Dem letzten Wähler der AfD muss klargemacht werden, dass er keine Protestpartei wählt, sondern die Wegbereiter des Nazismus.“ Diese reine Lehre des Portals ist Geschichte.

Unter dem Titel “Nachdenkseiten: Einst links, jetzt Propaganda für Rechtsradikale” erschien der Beitrag am 20. 10. 2022 bei Der Volksverpetzer.

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Meisner Matthias
Matthias Meisner ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt u.a. für Spiegel und taz über Menschenrechte, Geflüchtete, Rechtsextremismus und mehr. Er gehört zum Rechercheteam des Projekts „Gegenmedien als Radikalisierungsmaschine“ der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne. Das Projekt wird im Rahmen von „Demokratie leben!“ vom Bundesfamilienministerium sowie von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziell gefördert. Meisner war langjähriger Redakteur beim Berliner Tagesspiegel, zuvor Bonner Korrespondent der Sächsischen Zeitung und dpa-Büroleiter in Dresden. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher.

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