Hinrichtung eines Kritikers, Zerstörung eines Landes 

Gedenken an Alexej Nawalny am Denkmal für die Opfer politischer Repressionen in St. Petersburg am 16. Februar 2024
(Foto: Gesanonstein auf wikimedia commons)

Es ist mehr als deprimierend, wie der Tod Nawalnys und die nachlassende Stimmung für die Unterstützung der Ukraine in den westlichen Ländern, gerade auch in Deutschland, zum zweiten Jahrestag des militärischen Überfalls Russlands auf die Ukraine zusammenfallen. Alexei Anatoljewitsch Nawalny ist der bedeutenste und profilierteste Kritiker Wladimir Putins und dessen politischen Systems gewesen. Seine Unterschütterlichkeit war bewundernswert, sein Leidensweg grausam. Nawalny ist nicht einfach gestorben. Er ist durch das Unrechtssystem Putins langsam, aber letzten Endes zielgerichtet hingerichtet worden.

Erst die Vielzahl von politischen Anklagen und Prozessen, nur weil er Putin und dessen Herrschaftssystem kritisiert hat, dann der Giftanschlag, seine Rückkehr nach Russland, um seine Glaubwürdigkeit als Oppositioneller zu unterstreichen, die erneuten Anklagen und Verurteilungen in einem geradezu unsinnigen Ausmaß und schließlich sicherlich die Lager- und Einzelhaft, die mit ihren katastrophalen Bedingungen den Tod herbeigeführt hat. Dieser Tod wirft noch einmal auf ein Schlaglicht auf den repressiven und brutalen Charakter des Systems Putins, eines Systems, das die Opposition beseitigt, die Zivilgesellschaft zerstört hat, wie z.B. besonders deutlich an der Auflösung von Memorial International sichtbar geworden ist, und das mit Boris Nadeschdin den einzigen Präsidentschaftskandidaten, der sich gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine aussprach, von den Präsidententschaftswahlen im Mai 2024 ausgeschlossen hat. Das kann niemanden verwundern.

Russland verfolgt unbeirrt seine Kriegsziele   

Wundern oder erschrecken muss vielmehr, dass die Unterstützungsbereitschaft für die Ukraine in den Gesellschaften der westlichen Welt schleichend abnimmt. Vor einem halben Jahr habe ich in einem Beitrag vor der nachlassenden Unterstützung gewarnt und auf die Gefahr einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllt, hingewiesen: Die Stagnation des Krieges, die Verlängerung des Grauens als Folge nicht ausreichender und nachlassender militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung. Teile der Eliten in Politik, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und auch den Gewerkschaften sehen sich jetzt bestätigt: Putin könne nicht besiegt werden, er verfüge über das größere „Menschenpotential“ an mobilisierungsfähigen Soldaten, egal unter welchen Bedingungen sie mobilisiert werden, und leide nicht unter den wirtschaftlichen Sanktionen. Aber stellt sich jetzt nicht heraus, dass die Sanktionen nicht konsequent genug und die Unterstützung mit wirkungsvollen Waffen nicht schnell genug waren?

Mit dem Tod Nawalnys muss eigentlich ein Aufschrei durch das Land und die westliche Welt gehen, der klarmacht, dass man Putin, seinem System und seiner autoritären Herrschaft weder die Menschen in der Ukraine insgesamt noch in einem Teil von ihr überlassen kann. Präsident Putin hat bis heute nicht das geringste Zeichen eine Bereitschaft zu Verhandlungen und zu Kompromissen gezeigt. Er und sein Umfeld bekräftigen immer wieder den unsinnigen Vorwurf einer faschistischen Verschwörung und Herrschaft in der Ukraine und sprechen in immer neuen Varianten der Ukraine die Existenzberechtigung ab. Russland verfolgt unbeirrt seine Kriegsziele, die auf eine totale Beherrschung oder auch eine Zerstörung der Ukraine in ihrer Staatlichkeit hinauslaufen. 

Repression nach innen, Expansion nach außen

Mit den vielen Aufforderungen zu Vorsicht und Zurückhaltung bei Waffenlieferungen von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer über Peter Brandt, Hajo Funke, Horst Teltschick und Harald Kujat war immer wieder der Hinweis darauf verbunden, dass doch Kräfte und Staaten Druck ausüben werden, um zu Verhandlungslösungen zu kommen. Zum einen haben diese Verhandlungslösungen immer impliziert, dass circa ein Fünftel der Ukraine kein gesichertes Staatsgebiet der Ukraine mehr sein sollte und die Rest-Ukraine sich darüber hinaus verpflichten sollte, nie und nimmer der NATO beizutreten. Aber die viel beschworenen Friedensinitiativen, ob es nun die vom Papst angedeutete oder die von Brasilien, Südamerika, Indien und China gewünschte war, alle haben sich bis heute in Luft ausgelöst. Was immer hinter irgendwelchen Türen gesprochen worden sein mag oder noch gesprochen wird, die Angriffe Russlands auf die Ukraine, die Bombardierung von Städten und Regionen mit der Tötung ziviler Opfer, die Zerstörung der Infrastruktur, all dies hat zu keinem Zeitpunkt nachgelassen oder sich verringert. Ganz im Gegenteil, Angriffe werden häufiger und heftiger. Sind das die Friedensbotschaften und Kompromissaussichten, auf die der Westen, auf die Deutschland, auf die die NATO Staaten eingehen sollen?

Ja, jeder Schritt, der zum Waffenstillstand und zum Ende von Tod und Zerstörung führt, wäre nachdrücklich zu begrüßen. Aber nichts davon ist auf der Seite des Aggressors sichtbar. Daher ist es auch keinesfalls abwegig, dass Russland weitere Expansions- oder Beherrschungspläne verfolgen wird, wenn Wladimir Putin wiedergewählt ist und die Ukraine eine Niederlage erleidet.    

Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny wird am 26. März 2017 in der Twerskaja-Straße in Moskau festgenommen.
(Foto: Evgeny Feldman auf wikimedia commons)

Der Tod von Nawalny zeigt noch einmal in einem Brennglas, dass im System Putin die Repression nach innen und das Expansionsstreben nach außen Hand in Hand gehen. Der Tod Nawalnys muss erst recht Anlass sein, die Ukraine in ihrem Verteidigungswillen und ihrer Verteidigungsfähigkeit zu stärken und einen Sieg Russlands über die Ukraine, das Einfallstor in weitere Expansions- und Eroberungsschritte, zu verhindern. Wer es ernst meint mit der Trauer um Nawalny, darüber, dass ein Kritiker zugrunde gerichtet wurde, muss jetzt erst recht mit allem Nachdruck dafür eintreten, die Ukraine als freies und demokratiefähiges Land mit einer pluralen Zivilgesellschaft zu erhalten. Das ist die einzige Antwort, die an Russland nach dem Tod Nawalnys gegeben werden kann. Ein Erfolg Russlands wird nicht zu einer besseren, multipolaren Weltordnung führen.

Nach meiner Überzeugung gelingt die Kombination von Freiheit und Gerechtigkeit, von Demokratie und Menschenwürde trotz aller berechtigten Kritik im westlichen Staatensystem immer noch besser als in allen anderen politischen und wirtschaftlichen Systemen. Eine Schwächung der USA und der NATO wird von Europa nicht kompensiert werden. China hat kein Interesse an einer multipolaren Weltordnung mit Afrika, Lateinamerika und Asien als gleichberechtigten Partnern. China arbeitet zielstrebig daran, seine hegemonialen Stellung auszuweiten. Eine multipolare Weltordnung wird – wenn überhaupt – nur in einem Prozess des Aushandelns zwischen China und gegebenenfalls Russland einerseits und einer starken USA/NATO andererseits gelingen. Was sollte Russland, was sollte China veranlassen, Expansionspläne und Hegemonieabsichten zurückzustellen oder gar zu beenden, wenn das Exempel Ukraine zu Lasten der Menschen dort und zu Lasten einer Wertegemeinschaft ausgeht, die auf Völkerrecht und Menschenrechte, auf Demokratie und Freiheit gesetzt hat? 

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Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

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