Recht(s) viel Auswahl

Wer die Kommunalwahlen am 26. Mai in Thüringen nur über die Schlagzeilen überregionaler Medien verfolgt hat, wird meinen, dass der “Durchmarsch” der AfD “vorerst ausgeblieben ist”, und Demokratinnen und Demokraten Ämter und Parlamente nun unter sich aufteilen. Eine “Blaue Delle” für die AfD also? Von wegen. Ihr Ergebnis bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 2019 konnte die Partei von 17,7 auf nun 25,8 Prozent kräftig ausbauen. Dass die Gewinne der extrem rechten Partei(en) in der Berichterstattung untergehen, zeigt, wie selbstverständlich sich die AfD als etablierte Kraft im Parteiensystem behauptet. Es ist ein schlechter Auftakt ins deutsche Superwahljahr – anders, als das weithin vernehmbare Aufatmen suggeriert. 

Und das ist gefährlich. Die Normalisierung der AfD schreitet voran, ihre rechtsextreme Programmatik driftet weiter Richtung Mainstream. Die sogenannte “Brandmauer”, die in den Kommunen ohnehin lockerer gebaut ist als auf Landes- oder Bundesebene, wird den neuen Mehrheitsverhältnissen in Kreistagen und Stadträten sicher nicht überall standhalten.

Im Schatten der Europawahl finden die kommunalpolitischen Stichwahlen in Thüringen statt.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Verfassungsblog.

Verloren ist die Demokratie in Thüringen deswegen nicht. Die CDU hat, Stand jetzt, die meisten Landrats- und Oberbürgermeisterämter errungen. Die Thüringerinnen und Thüringer haben sich mehrheitlich für demokratische Parteien entschieden. In Weimar etwa konnte Peter Kleine (CDU und Wählerbündnis “weimarwerk”) sein Amt im ersten Anlauf verteidigen. Stärkste Kraft im Stadtrat ist die CDU, die AfD liegt mit 13,7 Prozent hinter der Linkspartei. Der Stadtrat ist damit weiterhin nicht auf die AfD angewiesen, um Beschlüsse zu fassen. Aber die kulturbürgerlichen und studentischen Inseln Weimar und Jena bleiben in Thüringen eine Ausnahme.

Screenshot: Ergebnis Kreistagswahlen und Stadtratswahlen der kreisfreien Städte 2024 in Thüringen

In neun der 22 Kommunalparlamente ist die AfD nun stärkste Kraft, in acht Stadträten und Kreistagen besetzt sie nach der CDU die meisten Sitze. Wenn man bedenkt, welche Skandale den Wahlkampf der AfD in den letzten Wochen begleitet haben, ist das ein deutliches Zeichen für ihre fortschreitende Normalisierung. Umso mehr, als es der AfD vielerorts an lokal bekanntem Personal und an Persönlichkeiten fehlt, die sich schon in kommunalen Spitzenämtern bewiesen haben. Kommunalwahlen sind häufig Personenwahlen und unterliegen anderen Gesetzmäßigkeiten als Landtags- und Bundestagswahlen.

Natürlich ist es eine gute Nachricht, dass es der AfD bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen ist, in der Fläche kommunale Spitzenpositionen zu besetzen. Allerdings stehen einige Stichwahlen noch aus. Besonders unangenehm wird es wider Erwarten nicht dort, wo die AfD mit in die Stichwahl zieht, sondern in Gemeinden, wo zwei bürgerliche Kandidaten antreten. Zum Beispiel in Gera: Hier kämpfen Julian Vornarb (parteilos, früher CDU) und Kurt Dannenberg (CDU) um das Amt des Bürgermeisters. Amtsinhaber Vonarb dürfte links und in der Mitte gegen den CDU-Herausforderer kaum neue Stimmen mobilisieren können. Dannenberg hingegen ist auf die Stimmen von Wählerinnen und Wählern angewiesen, die noch in der ersten Runde die Kandidaten der AfD oder der “Miteinanderstadt” wählten, ein Verein um den Neonazi Christian Klar. Der ruft seine Anhänger indes zur Wahl des CDU-Kandidaten auf. Es sind die Wählerinnen und Wähler der extremen Rechten, die entscheiden, wer ins Rathaus zieht. 

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Projekt Thüringen
Das Thüringen-Projekt ist ein vom Verfassungsblog initiiertes Forschungsprojekt zu Resilienz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Bis zu den Landtagswahlen im Herbst 2024 erforscht das Team am Beispiel von Thüringen, welche Spielräume eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene hätte, um ihre Macht zum Schaden der Demokratie einzusetzen und sich im Falle einer Regierungsübernahme oder -beteiligung gegen rechtsstaatliche Bindungen und Kontrolle, demokratischen Wettbewerb und öffentliche Kritik zu immunisieren.

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