Bananen flogen auf das Feld, von den Zuschauerrängen ertönten Affenlaute, als die ersten dunkelhäutigen Spieler in den europäischen Ligen auftauchten. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Funktionäre von Spitzenklubs wie auch Ehrenamtliche in Amateurvereinen engagieren sich gegen Rassismus. Kicker wie der Schwarze Nationalverteidiger Antonio Rüdiger sind bei den Fans weitgehend akzeptiert, sie werden in der Regel nach ihrer Leistung und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt. Aber es ist noch nicht so lange her, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Alexander Gauland öffentlich verlauten ließ, einen Jerome Boateng wolle man lieber nicht zum Nachbarn haben. Dafür erntete er nicht nur von anderen Politikern, sondern immerhin auch in den Stadien heftigen Protest. Der Sportjournalist Ronny Blaschke hat ein Buch über das koloniale Erbe des Fußballs vorgelegt.
Die massenwirksame Verbreitung des Fußballspiels, so lautet die Kernthese des Autors, wäre ohne die weltweite Präsenz der europäischen Mächte nicht möglich gewesen. Das britische Empire exportierte das Spiel nach Asien und Afrika, Spanien und Portugal brachten es nach Mittel- und Südamerika. In einem überheblichen Selbstverständnis sahen sie darin ein westlich-weißes Geschenk an unterentwickelte Untertanen.
In Reportagen aus fünf Kontinenten schildert Blaschke die langfristigen Folgen, und schaut dabei stets durch das Brennglas des Fußballs. Denn gerade die Einwanderung aus den ehemaligen Kolonien führte dazu, dass die Europäer ihre spielerische Qualität spürbar steigern konnten. Exemplarisch zeigte sich das zuerst in der französischen Nationalmannschaft, wesentlich geprägt durch Nachfahren algerischer Migranten wie Zinedine Zidane wurde sie 1998 erstmals Fußball-Weltmeister. In England waren es vor allem karibische Kicker wie der in Jamaika geborene Raheem Sterling, hierzulande “Deutschtürken” wie Mesut Özil oder Ilkay Gündogan, die zuvor homogen weiße Teams verstärkten. Auch deshalb konnte sich der Fußball zu einem global wirksamen und milliardenschweren Business entwickeln.
Keine Gnade bei sportlichem Versagen
Ein früher migrantischer “Held” war der portugiesische Fußballstar Eusebio, der aus dem damals noch als Kolonie besetzten Mosambik stammte. Mit Benfica Lissabon feierte er zahlreiche Meisterschaften und Erfolge in den europäischen Wettbewerben, seine Tore sicherten Portugal den dritten Platz bei der WM 1966. Zur gleichen Zeit glänzte für Brasilien der Spielmacher Pele – typisch für die vorgebliche südamerikanische “Rassendemokratie” war dennoch die Behauptung, Schwarze hätten zwar eine natürliche Begabung für den Fußball, taugten aber nicht für sportliche Führungsaufgaben.
Einst gängige Theorien über angeblich per Hautfarbe angeborene Eigenschaften hat die Wissenschaft längst widerlegt. Doch bis heute, so Blaschke, durchziehe rassistisches Denken über natürliche Veranlagungen die Sportindustrie und ihr Umfeld. Und immer noch bedienen sich Fernsehkommentatoren bei Gelegenheit entsprechender Stereotype, wenn sie das Verhalten schwarzer Spieler auf dem Platz beurteilen.
Das Risiko, bei “Versagen” in die Kritik zu geraten, ist für Spieler mit Migrationsgeschichte deutlich höher. Nach dem verlorenen Elfmeterschießen der englischen Nationalmannschaft im Euro-Finale 2021 gegen Italien wurden in den britischen Boulevardmedien Jadon Sancho, Marcus Rushford und Bukayo Saka als Schuldige ausgemacht, weil sie ihren Strafstoß verschossen hatten. Mesut Özil fiel nicht nur wegen mäßiger Leistungen bei der WM 2018 in Ungnade, sondern auch, weil er bei der Nationalhymne nicht inbrünstig mitsang und sich anlässlich der Präsidentenwahl in der Türkei mit dem Autokraten Recep Erdogan fotografieren ließ.
In Blaschkes Buch geht es so besehen um viel mehr als nur um den Fußball, der “wohl einflussreichsten Alltagskultur unserer Zeit”. Der Verfasser nutzt die Popularität der Sportart und den Aufhänger eines großen Turniers, um über die wenig bearbeitete europäische Kolonialgeschichte aufzuklären. Dieses Defizit gilt gerade für Deutschland, wo in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg aus gutem Grund die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Vordergrund stand, die Verbrechen der selbsternannten Herrenmenschen in Namibia oder Ostafrika aber lange verdrängt wurden. Durch den populären sportlichen Zugang erreicht das Buch vielleicht eine größere Leserschaft als trocken-wissenschaftlich orientierte Abhandlungen zum Thema.
Ronny Blaschke: Spielfeld der Herrenmenschen. Kolonialismus und Rassismus im Fußball. Verlag Die Werkstatt, Bielefeld 2024. 256 Seiten, 22 Euro