Hey Scholz, ich brauch‘ mehr Geld

Zurückhaltend geschätzt, laufen 90 Prozent der Meldungen einer Nachrichtensendung darauf hinaus, dass jemand mehr Geld braucht: die Hochwasser-Opfer und die Katastrophenhilfe, Landwirte und Bundesländer, die Bahn und die Bildung, die Forschung und der Artenschutz, Rentner:innen und das Militär, Startups und Sportclubs. Um überhaupt irgendetwas machen zu können, zu sanieren, zu verbessern, zu erfinden, zu helfen, zu schützen, muss man mehr kaufen können. Probleme, so scheint es, haben eine finanzielle Lösung oder keine. Pekuniäre Penetration beherrscht den Alltag tiefgreifend und allgegenwärtig.

Es ist ein faszinierender Teufelskreis, in dem sich die moderne Gesellschaft immer schneller dreht. Um zu mehr Geld zu kommen, das wusste Adam Riese (1492-1559) lange vor Karl Marx, kommt es darauf an, mehr einzunehmen als auszugeben. Wie kommt man zu Einnahmen? Indem man möglichst keinen Handgriff und sich keinen Gedanken macht, ohne sich dafür bezahlen zu lassen: „Leistung muss sich lohnen“. Wofür fallen Ausgaben besonders niedrig aus? Für Kostenloses oder wenigstens Billiges, also nichts tun für Bestandserhaltung (der Natur, der Infrastruktur, der Gesundheit). Die Zauberformel, geringstmögliche Ausgaben, höchstmögliches Einkommen, ist allen bekannt. Wird sie zur allgemeingültigen Verhaltensmaxime einer Gesellschaft, stellt sich zuverlässig die Alternative ein, entweder verrotten und verelenden oder verteuern bis zur Unbezahlbarkeit.
Wenn es so weit ist, wird nach der Politik gerufen. Ein demokratischer Staat hat drei Möglichkeiten. Das ist die schwächste: Er kann Personen und Organisationen ermuntern und ermahnen, vernünftig zu sein. Die stärkste ist, Recht zu setzen, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, aber dabei muss er vorsichtig sein, weil die Regierenden wiedergewählt werden wollen. Die inzwischen geläufigste Möglichkeit ist es, Geld zu verteilen, das dank Steuern oder Krediten verfügbar ist. Steuern allerdings sind für Personen und Organisationen Ausgaben (die, siehe oben, besser vermieden werden). Kredite hingegen gehen, solange der Schuldendienst mit welchen Tricks auch immer finanzierbar ist, denn sie sind Einnahmen für die Gläubiger. Es kommt somit eine dritte Alternative hinzu, verrotten, verteuern – und verschulden.

Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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