Maximilian Steinbeis warnt in seinem Buch „Die verwundbare Demokratie“ vor einem Missbrauch der freiheitlichen Rechtsordnung durch populistische Parteien. Auch wenn sie sich in Opposition befinden, können Feinde der Demokratie die freiheitliche Rechtsordnung für ihre Zwecke missbrauchen, lautet die Kernthese des Autors. Der Jurist und Publizist betreibt schon seit 2009 den „Verfassungsblog”, auf dem wissenschaftliche Fragen im Grenzbereich von Politik und Recht diskutiert werden.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen im lokalen Umfeld ist es autoritären Parteien in Deutschland bisher nicht gelungen, relevante politische Machtpositionen zu erobern. Ergebnisse um die 30 Prozent bei Landtagswahlen etwa für die AfD zeigen aber dennoch Gefahren auf, fürchtet Maximilian Steinbeis. Im sogenannten Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs hat Steinbeis mit einem Forschungsteam mögliche negative Szenarien durchgespielt. In seinem Buch “Die verwundbare Demokratie” beschreibt er die zu erwartenden gravierenden Folgen für Bildung und Wissenschaft, für Medien und Kunst, für Polizei und Justiz.
Je mehr Stimmen mobilisiert werden können, desto mehr Beteiligungs- und Verfahrensrechte stehen in Gemeinderäten, Landtagen oder auf Bundesebene als juristische “Einfallstore” zur Verfügung. Schon mit einen Drittel der Sitze erreicht eine Partei zum Beispiel die Sperrminorität bei Entscheidungen über Änderungen in der Verfassung. Sobald sie auch wesentlichen Einfluss auf Gesetzgebung und Gesetzesvollzug bekommt, also in eine Regierung eintritt oder diese gar alleine stellt, potenzieren sich diese Möglichkeiten.
Machthaber in Ungarn und Polen, in den USA und Israel haben vorgemacht, wie über die politisch motivierte Besetzung wichtiger Posten vor allem in der Verfassungsgerichtsbarkeit das Gleichgewicht zwischen Legislative und Judikative ausgehöhlt werden kann. Eine Abwahl der Regierenden soll auf diese Weise erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Die Politikwissenschaft bezeichnet solche Prozesse als “democratic backsliding”, als eine rückwärts gerichtete Entwicklung in ursprünglich liberal verfassten Demokratien.
Steinbeis ruft zu Protest und Widerstand auf
Das Verhältnis autoritärer Politiker zum Rechtsstaat sei instrumentell, argumentiert Steinbeis. Dem Juristen zufolge nutzen sie ihn vorrangig, um ihn von innen heraus zu untergraben. Sie arbeiten in den Institutionen gegen diese Institutionen. Nicht zwangsläufig müsse das gleich zum Zerfall des demokratischen Systems führen. Denn meist bewegen sich die angewandten Methoden im Rahmen der geltenden Gesetze, sie sind formal legal.
Erst in ihrer Kombination entfalteten sie ihr gefährliches Potenzial: Sie missachten “ungeschriebene Regeln”, die als “Leitplanken” notwendig für das Funktionieren der Demokratie seien – so formuliert es die Forschungsgruppe im Thüringen-Projekt.
Steinbeis hält, wie schon sein Buchtitel verrät, die staatlichen Institutionen und ihre Regularien für verwundbar. Unter dem Vorwand, die wahren Interessen des Volkes zu vertreten, werde das Recht mit populistischer Rhetorik untergraben. Politik und Gesellschaft müssten dieser Bedrohung ins Auge sehen und „alle Kräfte mobilisieren, um unsere Freiheit zu verteidigen”. Protest und Widerstand seien unabdingbar, bevor “aus Möglichkeiten Wirklichkeiten geworden sind und es für Gegenwehr zu spät ist”. Der Autor bringt das auf die Kurzformel “Resilienz durch Antizipation”.
Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme. Hanser Verlag, München 2024; 304 Seiten, 25 Euro
Der Beitrag erschien unter dem Titel „Die Gefahren der autoritären Versuchung“ zuerst in Das Parlament.