Der Hoffmann und Campe Verlag hatte es 1951 abgelehnt, Siegfried Lenz´ Roman “Der Überläufer“ zu veröffentlichen. Der schien dem Verlag damals dem deutschen Publikum nicht zumutbar. 2016 wurde “Der Überläufer“ publiziert – von Hoffmann und Campe; posthum, 17 Monate nachdem Lenz verstorben war. Überläufer nennt man Menschen, die sich auf verborgene Weise zum militärischen Gegner, zum Feind aufgemacht haben, übergelaufen sind.
Gebräuchlich ist das Wort nicht. Nun tauchte es wieder auf. In der Bild-Zeitung und am 7. November ebenfalls in der FAZ. Es war auf den FDP-Politiker Volker Wissing gemünzt, der im Gegensatz zu anderen FDP- Repräsentanten die Regierung Scholz nicht verlassen hatte, sondern der geblieben und der praktisch zeitgleich aus der FDP ausgetreten war.
Die FAZ machte die Geschichte recht prominent auf. Sie ließ Wissing nicht als angeblich solchen von einer Quelle bezeichnen, sondern sie stellte die Worte „Der Überläufer“ als Titel über eine Wissing- Personenstory. Eine weithin unbekannte FDP-Politikerin namens Kluckert, von der FDP in Wissings Ministerium als Parlamentarische Staatssekretärin gesetzt, nannte den Vorgang zudem eine „Ungeheuerlichkeit.“
Schäumende Wortakrobaten
Alles in allem ein Rückfall in einen Sprachgebrauch, der an die finstersten Zeiten des Kalten Krieges erinnert, der aber nicht zu hier und heute passt – und der gleichwohl nicht erreicht, was er vielleicht erreichen wollte; denn das Wort „Überläufer“ ist mittlerweile etwas anders gefüllt als 1951, als man es glaubte, nicht zumuten zu können.
Die Überläufer – das sind heute für viele diejenigen, die aus Gewissensnot und von Abscheu erfüllt unter Lebensgefahr die Nazi-Wehrmacht zu verlassen versuchten. Die oft mit ihrem Leben deswegen zahlten. Helden. Ob dies allerdings den vom 6. auf den 7. November schäumenden Wortakrobaten verständlich war, ist eher unwahrscheinlich.
Was war da so Schreckliches geschehen, dass „Edelfedern“ die Contenance flöten ging? Ein Regierungschef hat von seinem per Geschäftsordnung gegebenen Recht Gebrauch gemacht, einen Minister nach Hause zu schicken. Er hat das begründet. Ein Blick auf das Arbeitsrecht – sicherlich nicht „adäquat“ – aber hilfreich: Es gibt betriebsbedingte, personen- und verhaltensbezogene Kündigungen. Der Vizekanzler der Regierung, Minister Habeck, hat in einer von Herrn Lanz moderierten Sendung am 7. November gesagt: Eine Einigung in der Haushaltsfrage habe es nur noch zu den von Herrn Lindner gestellten Bedingungen geben können. Andernfalls „Hauptversammlung“ und Wahl eines neuen Vorstands. Punkt. Man kann was folgte „mutatis mutandis“ als betriebsbedingte Kündigung auffassen, der dann der Regierungschef im Nachhinein verhaltensbedingte Gründe hinzufügte. Das ist nicht schön. Kommt aber vor.
Gegen jegliche Verantwortung gerichtet
Es gibt nun – wenigstens – zwei „Fußnoten“ zum Thema. Die eine hat einen ironischen Beigeschmack; die andere liegt im Bereich von Vermutung.
Eins. Nach einer vorgezogenen Bundestagswahl, bei welcher die FDP die fünf Prozent- Zustimmung erreicht hätte, stünde sie genau wieder da, wo sie auch mit Scholz gestanden hatte.
Denn angesichts dessen, was an Ausgaben-induzierenden Aufgaben auf eine Regierung ab 2025 und folgende Jahre zukommt, ist die geltende Verschuldensbremse nicht zu halten. Wer auch immer die Regierung bildet, der hat die Aufgabe zu lösen: wie finanziere ich die künftige äußere Sicherheit, eine modernisierte Infrastruktur, eine befriedende Sozialpolitik und nicht zuletzt Klimaneutralität. Was beispielsweise der Unions-Spitzenkandidat Friedrich Merz gegenwärtig dazu sagt, das sagt er wider besseres Wissen. Für die FDP ändert sich nichts.
Zwei. Schaut man sich das vom Exminister Lindner dieser Tage vorgelegte 18-Seiten- Papier an, so sticht hervor:
Die Vorbereitung von Produktion, Verteilung, Verbrauch, Verkehr und Wohnen an eine klimaschonende Zeit soll gestreckt werden. Auch die Zeitspanne wird verlängert, innerhalb derer noch Braunkohle befördert und verfeuert werden darf. Das ist schlicht gegen jegliche Verantwortung gerichtet. Hier versucht die FDP Brücken zu konstruieren – zur künftigen Politik des eben gewählten US-Präsidenten Donald Trump und zur scharf rechts- und linkspopulistischen Seite des Parteienspektrums. Ein Über…..?