Die Aussage ist deutlich: „Wir arbeiten für die Landes- und Bündnisverteidigung“, sagt Thomas Pretzl im IG-Metall-Mitgliedermagazin Metall: Er ist Betriebsratsvorsitzender der Airbus Defence and Space im bayerischen Manching und Mitglied der IG Metall. Die organisiert nicht nur Auto- und Maschinenbauer, sondern auch die Beschäftigten der Rüstungsbranche. Im Airbus-Werk bei Ingolstadt werden auch der Eurofighter und die Awacs-Aufklärer gewartet. Zudem baut Airbus gemeinsam mit ausländischen Partnern eine europäische Drohne. Pretzl macht sich trotzdem Sorgen. Es gebe „einen Trend, die Luftwaffe mit amerikanischem Gerät auszustatten“, klagt der Betriebsrat. Die derzeitige Vergabepraxis des Verteidigungsministeriums, etwa die Bestellung des Kampfflugzeugs F-35 beim US-Hersteller Lockheed, sei „eine Enttäuschung für unsere Belegschaft“. Eine „militärische Luftfahrtstrategie“ der Bundesregierung fordert auch Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall. Kann es Arbeitnehmervertretern gleichgültig sein, mit welchen Produkten die Kollegen ihr Geld verdienen?
Gibt es moralische Grenzen in fragwürdigen Industriezweigen? Standortsicherung gehört zum Kerngeschäft von Betriebsräten, sie definieren sich zu Recht als Interessenvertretung aller Arbeitnehmer:innen in sämtlichen Branchen. Andererseits aber hat die Satzung der IG Metall „Abrüstung“ als erstrebenswertes politisches Ziel fixiert, und einst spielten die Gewerkschaften, auch die IG Metall, eine gewichtige Rolle in der deutschen Friedensbewegung. Jetzt argumentieren die Funktionäre spitzfindig: Bei den aktuellen Aufträgen der Bundeswehr gehe es um „Ausrüstung“ und keineswegs um „Aufrüstung“.
Das Dilemma zwischen subjektiven Interessen und ethischem Anspruch wiederholt sich in einer historischen Endlosschleife. In den 1970er Jahren demonstrierten Gewerkschafter für Atomkraftwerke, um Jobs in öffentlichen Energiekonzernen zu sichern. Kieler Werftarbeiter streikten 1980 für den Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte Chile. Hauptsache Arbeitsplätze? Gegenproteste kamen eher aus dem christlichen Spektrum. So gehörte die Katholische Arbeitnehmerbewegung vor zehn Jahren zu den Initiatoren des „Waldkircher Appells“, benannt nach einem Ort in der Bodenseeregion, in der militärtechnische Betriebe stark vertreten sind.
Rüstungskonzern Rheinmetall boomt
Ganz anders die großen DGB- Gewerkschaften: Betriebsräte von zwanzig Waffenfirmen schrieben einen Brief an den damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der die Ausfuhr militärischer Güter beschränken wollte. Rüstungsproduktion könne „zwar kein Allheilmittel“ sein, hieß es in dem Schreiben, aber sonst sei „die Industrie nicht überlebensfähig“. Die Argumente der Rüstungsindustrie werden von Arbeitnehmervertretern oft kritiklos übernommen. Von einer „untergehenden Erfindernation“ und dem Verlust von Ingenieurkompetenzen ist dann die Rede.
Nie fehlen darf der angebliche „Spin-Off“-Effekt: Die bei der Waffenproduktion gewonnenen Erkenntnisse könnten später anderweitig genutzt werden. Längst hat sich indes herausgestellt, dass es sinnvoller ist, gleich in zivile Forschung zu investieren. Der kostspielige Umweg über Militärgüter lohnt sich nicht, selbst wenn ethische Bedenken keine Rolle spielen.
Solche Bedenken plagen die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) nicht. „Zentrum der Zeitenwende“, jubelt das Mitgliedermagazin Profil, ein vierseitiger Aufmacher dreht sich um Rheinmetall. Das Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf spiele eine „entscheidende Rolle bei der Modernisierung der deutschen Streitkräfte und als Lieferant für die Ukraine“. Es lohne sich, „dort anzuheuern“, rät die Gewerkschaftszeitung.
In der Tat: Der Rüstungskonzern boomt; seit Anfang 2022 hat sich der Aktienkurs verfünffacht. Die Erfolgsdaten: über sieben Milliarden Euro Jahresumsatz, knapp eine Milliarde Gewinn, Auftragsbestand fast 50 Milliarden, 28.000 Mitarbeiter bei steigender Tendenz. Wichtigster Standort ist Unterlüß in der Lüneburger Heide; dort werden Panzer und Munition hergestellt. Letztere gilt als chemisches Produkt und ist der Grund, warum die IG BCE und nicht die IG Metall zuständig ist.
Militärgüter als bequemer Ausweg
Rheinmetall macht nicht nur große Geschäfte, das Unternehmen sucht den Imagewandel. Man will herauskommen aus der Schmuddelecke, in die sich die Waffenhersteller nach dem Ende des Kalten Krieges gedrängt fühlten. Plakativ zeigt sich dies bei dem unter Fans umstrittenen Sponsoring des Fußballklubs Borussia Dortmund. Vor wenigen Jahren, berichtet die Mitgliederzeitung der IG BCE, seien Rheinmetall-Beschäftigte noch als „Mörder“ beschimpft worden. Der „Wandel im Denken der Bevölkerung“ steigere das Selbstbewusstsein und die Motivation der Beschäftigten, so Profil. Mittlerweile „schätzen viele unsere Arbeit und sagen uns das auch“, erzählt auch Airbus-Betriebsrat Pretzl.
Gewerkschaften verteidigen natürlich die Arbeitsplätze ihrer Klientel. Was in den Werkshallen produziert wird, ist dann aber offenbar egal. Angesichts von hohen Energiepreisen, Absatzproblemen und den Hürden der ökologischen Transformation scheint das Militär ein bequemer Ausweg.
Doch innerhalb des DGB regt sich Widerstand. IG Metall und IG BCE bestimmen im Dachverband DGB nicht allein den Kurs, ver.di oder die GEW zum Beispiel vertreten tendenziell konträre Positionen. Einen Aufruf gegen Aufrüstung und deren Unterstützung durch Gewerkschafter haben immerhin 6.000 DGB-Mitglieder unterzeichnet. Sie fordern, sich für Diplomatie und friedliche Lösungen einzusetzen: „Gigantische Finanzmittel und Ressourcen werden verpulvert, statt die Probleme von Armut und Unterentwicklung, maroder Infrastruktur und katastrophalen Mängeln in Bildung und Pflege, Klimawandel und Naturzerstörung zu bekämpfen.“
Unter dem Titel „Hauptsache, Arbeitsplätze?“ erschien der Kommentar zuerst in der taz.