Eine politische Einzelgängerin

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In den Feuilletons schreiben Feuilletonist:innen sehr, sehr selten über die eigenen Bücher, die Bilder an den Wänden, die ausgesuchten Möbel und anderes mehr. Privatsache! Gleichwohl birgt die jeweilige persönliche „Kultur“ das, was man ist, und ebenso das, was man wünscht, erhofft und im vertrackten Sinn auch noch das, was man ablehnt oder vermisst, was unerreichbar ist.  Angela Merkel, über vier Legislaturperioden Bundeskanzlerin, gehörte zu Stil, Ausstattung, den Wünschen jener Zeit, also der Jahre ab 2000 und erst recht ab 2005 bis 2021.

Ihr Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers Gerhard Schröder hatte diese Wirkung nicht. Identifikation mit ihm und mit seiner Art reichte nicht weit über seine Partei hinaus. Nun wird in den Feuilletons über Merkels Biographie geschrieben (Freiheit, Kiepenheuer &Witsch, gut 700 Seiten, gebunden 43,20 €). Schreibt man scharf betrachtet über das eigene „Ambiente“? Erstaunlicherweise. 

Jener Zeit? Die Zeit ist etwas mehr als drei Jahre her. Dennoch das Pronomen „jener“? Ja: dennoch! Der misstönende Ausklang einer Koalition wie er im November 2024 ablief, der wäre zu Merkels Zeiten extrem unwahrscheinlich gewesen. Manche Egos waren damals gewiss nicht weniger aufgeblasen als die der jetzigen Akteure; aber die Fähigkeit der Steuerung von Koalitionen war besser entwickelt. Da beißt die Maus nun mal keinen Faden ab. Es klingt wie ein Echo auf diese Tatsache, wenn in einigen Rezensionen von Merkels Biographie so geschrieben wird,  als sei ein bisher unbekannter Planet am Horizont aufgetaucht. Vielleicht liegt‘s auch nur daran, dass dies Buch eine „Duographie“ ist, weil es zusammen mit Merkels früherer und heutigen Büroleiterin Beate Baumann verfasst wurde.

Hat ihre Hinterlassenschaft Bestand?

Nebensache! Die herausragende singuläre Bedeutung der sechzehn jährigen Kanzlerschaft ist nicht zu bestreiten. Dabei war Merkel keine Zeitgenossin, die in einer Untergliederung ihrer Partei oder einer sonst wie eng zusammenführenden Gruppe daheim gewesen wäre. Da stützte sie sich kaum ab. Sie war eine politische Einzelgängerin, ausgestattet mit der Moral des sich Zurechtfinden-Könnens unter schwierigen Bedingungen; was präziser Beobachtung, Elternhaus, Selbstvertrauen  geschuldet ist, also millionenfach vorhandenen Eigenschaften. Diese innere Ausstattung war jedenfalls so gut, dass sie erfolgreiche Auseinandersetzungen mit den Männer-Riegen in der CDU möglich machte; Respekt im Internationalen erzeugte und wachsendes Ansehen. Nichts ist der Frau auf diesem Weg in den Schoss gefallen. An den Umständen ihrer inneren Kämpfe in diesen Jahren lässt sie uns Leser und Leserinnen nur „dosiert“ teilhaben. Literarischer „Exhibitionismus“ ist ihr fremd. 

Ihr über die Jahre gewachsenes Ansehen, die Siege sichernde zivile Eigenart hat dem Land freilich eine „Leerstelle“ beschert. Auf dieser Leerstelle in Deutschland hocken in anderen Staaten und Gesellschaften sogenannte „harte Knochen“, autoritäre, populistische „Macher“ und Anführer. Die Bundesrepublik hat die nicht. Bitte nicht Herrn Markus Söder anführen. Der ist eine Witz-Version dieses Typs.

In den kommenden Wahlen wird sich zeigen, ob diese Hinterlassenschaft von Bestand ist.

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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