Rudolf Dreßler, vor dem Lafontaine und Schröder „Manschetten hatten“

Foto: Raimond Spekking auf wikimedia commons

Am 8. Januar 2025 ist Rudolf Dreßler, der frühere Kopf der SPD-Sozialpolitik, gestorben. Er hatte Schriftsetzer gelernt, er war aktiver Gewerkschafter, Betriebsratsvorsitzender, 20 Jahre lang gehörte er dem Deutschen Bundestags an, er führte die Gruppe der in der SPD aktiven Beschäftigten und Gewerkschafter, er schloss seine offiziellen Funktionen mit der Berufung zum Botschafter der Bundesrepublik in Israel ab. Fünf Jahre war er Botschafter. Wer sich ein wenig schlau macht in der Sozial- und Gesellschaftspolitik der Republik, der stößt rasch auf seinen Namen.

Rudolf Dreßler war für die Unternehmensmitbestimmung 1975. Er hat 1989 die wichtigste Rentenreform der vergangenen 70 Jahre zusammen mit Norbert Blüm durchgesetzt, den Übergang zur Nettoanpassung  der Rentenerhöhungen. Ohne eine solche Reform hätte die Rentenversicherung  kaum überlebt.

1993 hat er den „Lahnstein“- Kompromiss wesentlich bestimmt, die Öffnung der Krankenkassen und den kassenübergreifenden Finanzausgleich. 1994 wurde – auch auf sein hartnäckiges Betreiben – die soziale Pflegeversicherung realisiert. Eine vergleichbare Reform der Arbeitsförderung war damals mit den Unionsparteien nicht möglich. Gestrig war der Rudolf Dreßler nicht.

Dreßler und seine Zeit: Nach der Kriegsgeneration, die die sozialen Systeme der Bundesrepublik neu begründete, nahm die Generation der Dreßlers und Blüms, von Egon Lutz, Ulla Schmidt, Walter Riester und vielen längst Vergessenen das  Heft in die Hand. Die erste Generation nach dem Kriegsende, die die Mittel hatte, den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit materiell „einzuhegen“. Es war tatsächlich eine Illusion. Denn „der (kurze) Traum immerwährender Prosperität“ (so Burkhart Lutz) zerplatzte. Die Dreßler und Co. hatten die Aufgabe, die Scherben zusammen zu kehren und etwas Neues aus dem zu machen, was da war. Das haben sie weiß Gott, wie angerissen,  nicht schlecht  gemacht – und sich dabei aber auch schrecklich zerstritten.

Die SPD war freilich bereits zu den Glanzzeiten Rudolf Dreßlers in den Grundfesten erschüttert. 1983 verloren die ersten gestandenen Arbeiter-Repräsentanten in der SPD ihre Nominierungen gegen spät eingestiegene „Bürgerliche“. Und 1991 stimmten wenige Dutzend in der Bundestagsfraktion der SPD für Dreßler, als der sich um die Nachfolge Hans-Jochen Vogels bewarb. Das Rennen machte Uli Klose, der hatte keinen „Blaumann“ im Schrank hängen. Das hätte nachdenklich stimmen müssen.

Der Mann, vor dem Lafontaine und Schröder „Manschetten hatten“, ging nach seiner Rückkehr aus Israel nicht zurück in die Politik. Manchmal meldete er sich zu Wort, meist sehr kritisch bezüglich der aktuellen Geschehnisse in der SPD. Dem Locken einiger, doch in die neue „Linke“ einzutreten, hat er widerstanden. So „modern“ wollte er nun doch nicht sein. 

Der Rudolf Dreßler ist so einer wie der „alte König“ in einem Reich, das sich um und umbildet. Friede seiner Asche!

Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

1 Kommentar

  1. Danke für den zurecht ehrenvollen Nachruf. Ich habe Rudolf Dreßler in Bonn als Korrespondent erlebt, als stets streitbaren Kämpfer für die Interessen der Arbeiterklasse, wie man früher gesagt hätte. Oft im Verbund, aber auch im Widerstreit mit Norbert Blüm, und nicht selten auch den eigenen Genossen. Wenn die SPD und die CDU noch heute solche Leute von der Werkbank (auch der Politik) hätten, stünde es um unsere Republik besser.

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