Soll Herr Vance in Moskau vortragen, wo er willkommen ist

„J.D. Vance als Redner im Moskauer Kreml, Putin applaudiert“
zu visualisieren, war die Aufgabenstellung an die KI, die den russischen Präsidenten offensichtlich besser kennt als den US-Vizepräsidenten.

Bruchstücke dokumentiert eine Petition, die am 17. Februar 2025 beim Bundesinnenministerium eingereicht wurde. Darin wird Bundesinnenministerin Nancy Faeser gebeten, den Vizepräsidenten der USA, J. D. Vance, zur unerwünschten Person in der Bundesrepublik Deutschland zu erklären. Mit hohlem Pathos habe Herr Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz versucht, rechtsextreme Parolen als Volkes Stimme darzustellen; sie müssten in einer Demokratie gehört werden. Rechtsextreme Parteien nicht an Regierungen zu beteiligen, sei die größte innere Bedrohung Europas, so Vance, größer als jede äußere Gefahr. Der (deutsche) Wortlaut seiner Rede kann hier nachgelesen werden. Die Petition findet sich zusammen mit der Liste der 37 Erstunterzeichner:innen und der Einladung mit zu unterzeichnen auch hier.

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, bitte erklären Sie den Vizepräsidenten der USA, J. D. Vance, zur unerwünschten Person in der Bundesrepublik Deutschland und erteilen Sie ihm dadurch eine unvergessliche Lehre über Meinungsfreiheit in einer Demokratie.

Begründung

Herr Vance hat vor, nach und auf der Münchener Sicherheitskonferenz behauptet, Europa sei weniger von äußeren Feinden bedroht als vielmehr dadurch, dass rechtsextreme Parteien unterdrückt und nicht an Regierungen beteiligt würden. Diese Behauptung ist doppelt falsch: Im Osten Europas wird seit drei Jahren Krieg geführt, und die von Vance geschätzten rechtsextremen Parteien können zu unserem Leidwesen Verfassungsrechte missbrauchen, um überall zu kandidieren, gewählt zu werden und ihre Hetze öffentlich zu verbreiten. Wir lassen uns von Herrn Vance nicht über europäische Werte belehren. Noch weniger wünschen wir uns einen Verbündeten, der die gleichen Behauptungen in die Welt setzt, wie sie seit Jahren von einem Feind, nämlich dem russischen Präsidenten Putin verbreitet werden. In Europa gibt es genügend Personen, die solche Unwahrheiten verbreiten. Wir verbitten uns Versuche, sie mithilfe der Autorität einer externen Regierung darin zu bestärkten.

Mit hohlem Pathos hat Herr Vance versucht, rechtsextreme Parolen als Volkes Stimme darzustellen, die in einer Demokratie gehört werden müssten. Tatsächlich handelt es sich um Minderheiten, die in Europa zwischen 20 und 30% der Wählerstimmen ausmachen. Die anderen 70 bis 80% der Wählerstimmen sind dann kein Ausdruck des Volkswillens? Mit dem Demokratieverständnis derer, die sich anmaßen, das Volk zu sein und den Rechtsstaat verachten, haben wir unsere eigenen Erfahrungen gemacht und wir blicken derzeit gebannt über den Ozean, welche Erfahrungen die USA damit machen müssen. Denn die Regierung, der Herr Vance angehört, entlässt in diesen Tagen tausende von Angestellten des öffentlichen Dienstes, um sie durch gehorsame Parteigänger zu ersetzen. Diese rücksichtslosen Säuberungen als Meinungsfreiheit zu verkaufen, erfüllt den Tatbestand bösartiger Verdrehungen.

Herr Vance sprach einer politischen Brandmauer gegen Rechtsextreme jede Legitimität ab, wörtlich: „There is no room for firewalls„. Mit seiner Warnung vor „dünnen Mandaten“ mit „instabilen Ergebnissen“ forderte er unmissverständlich eine Regierungsbeteiligung verfassungsfeindlicher Kräfte. Hingegen ist es nicht nur das Recht demokratischer Parteien, ihre Koalitionspartner nach ihren Überzeugungen zu wählen. Es ist sogar ihre Pflicht dafür zu sorgen, dass sie den Feinden der Demokratie und des Rechtsstaats nicht den Weg ebnen, wie es in der Weimarer Republik geschah. Herr Vance setzt sich dafür ein, eine diktatorische Machtergreifung zu ermöglichen. Aktuelle Ereignisse in seinem eigenen Land lassen uns diese Befürchtung aussprechen, die wir mit vielen namhaften Demokraten der USA teilen. Dabei spielt es keine Rolle, ob er die Konsequenzen seiner Forderungen überschaut oder nicht. Wir Europäer überschauen sie aus eigener historischer Erfahrung. Wir lassen uns diese Erkenntnisse nicht ausreden. Freiheit kann keinesfalls bedeuten, diese alten Pfade noch einmal „kreativ“ auszuprobieren.

Der Verdacht drängt sich auf, dass zwei aggressive Großmächte, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika, Europa in die Zange nehmen, um ein transnationales Gesellschaftsmodell zu zerstören, das die Idee der unveräußerlichen Menschenrechte noch nicht aufgegeben hat. Gleiches gilt auch für das Problem der Migration, welches von der Regierung, der Herrn Vance angehört, unter Missachtung der Verfassung und der Gesetze der USA behandelt wird. Nicht zuletzt muss der Versuch von Herrn Vance zurückgewiesen werden, die Ermittlungen zu der Amokfahrt in München vorwegzunehmen und das Attentat als Folge einer verfehlten Einwanderungspolitik darzustellen. Möglicherweise wird die Polizei wie schon in Magdeburg, wo der Täter ein AfD-Anhänger war, zu ganz anderen Ergebnissen kommen.

Die schmutzige Propaganda, zu der Herr Vance seinen Besuch in München genutzt hat, muss von der Bundesrepublik Deutschland nicht ertragen werden. Soll Herr Vance seine Tiraden in Moskau vortragen, wo sie willkommen sind. Bei uns nicht.

Wenn „Nie wieder“ jetzt ist, dann muss gehandelt werden. Dies sind wir uns selbst schuldig. Wir schulden es aber auch denjenigen Amerikanern und Russen, die Deutschland von der Naziherrschaft befreit haben.

Redaktioneller Nachtrag
Während der Vorbereitung der Petition gab es zu dem Vorhaben und zu dem Text kritische Hinweise mit beachtlichen Argumenten. Diese und andere Kritiker:innen sind ausdrücklich eingeladen,
sich mit ihren Kommentaren auf dem Blog zu äußérn.

Siehe auf Bruchstücke auch „Soll Herr Vance in Moskau vortragen, wo er willkommen ist

5 Kommentare

  1. Ich teile die Empörung über die Einlassungen des amerikanischen Vizepräsidenten. Dennoch gilt es, kühles Blut zu bewahren. Mit solch einer Petition machen wir uns lächerlich. Sinnvoller wäre darüber nachzudenken, warum es so gekommen ist und was man jetzt klugerweise tun kann. Einfach zu demonstrieren wird nicht viel helfen. Europa muss sich neu erfinden – und zwar über Nacht. „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, so hat es ja ein deutscher Dichter mal formuliert. Das Rettende ist jetzt ein Europa, das sich sammelt, Selbstzweifel abstreift, die richtigen Prioritäten setzt und seinen Platz in der Welt mit der nötigen Entschiedenheit einnimmt (durchaus gepaart mit Aggressivität, wenn es denn sein muss). Die EU hat eine wesentlich größere Bevölkerung und ein größeres BIP als die USA – und schon gar als Russland. Europa ist ein nach wie vor attraktives Modell eines halbwegs gezähmten Kapitalismus, eines hohen Lebensstandards, von Demokratie. Da sollte doch etwas zu machen sein.

  2. Als Nachtrag noch eine kleine Zuspitzung: für ein starkes Europa brauchen wir auch die „Rechten“. Es wird das Kunststücke der nächsten Monate sein, wie man eine Vision von Europa schafft, die Europa nicht nur im linksliberalen Wertekanon denkt, sondern in die vielbeschworene „Vielfalt“ und den „Respekt“ auch diejenigen einbezieht, die mit bestimmten Aspekten der Migration nicht so glücklich sind, die sich von Gender-Politik abgestoßen fühlen und die weniger Lust haben, sich ins postkoloniale Büßergewand stecken zu lassen.

    1. Ich stimme Matthias Schulze-Böing in beiden Teilen seines Kommentars ausdrücklich zu. Wir müssen mit den Akteueren auf der weltpolitischen Bühne zurechtkommen, die dort agieren. Das gilt auch für die innereuropäische und innerdeutsche Diskussion mit Ausnahme der Rechtsextremen und Faschisten. Wer nur mit „Freunden“ redet, wird schnell einsam.

    2. Sie wollen die einbeziehen, die eine menschenfeindliche, mörderische und völkische Weltsicht durchsetzen wollen? Hier muss ich leider sagen, dass ein (kleiner) Teil dieser Leute sich soweit weg von den universellen Menschenrechten entfernt haben, dass sie nicht mehr als Gesprächspartner in Frage kommen. ‚…mit bestimmten Aspekten der Migration nicht so glücklich sind…‘ ist ein sehr harmloser Ausdruck für eine kriminelle Vereinigung von Leuten, denen das Handwerk gelegt werden muss.

      Die Energie stecke ich lieber die Entwicklung und Unterstützung einer menschenfreundlichen Vision von Europa.

  3. Wolfgang Rose und Matthias Schulze-Böing meinen, wer diese Petition unterschreibe, machte sich „lächerlich“. Wenn ich mich mal kurz auf dieses Niveau begebe: Machen sich nicht diejenigen lächerlich, die sich alles gefallen lassen, auch dass ein Repräsentant eines westlichen tendenziell demokratischen Staates ausgerechnet in Holocaust-Deutschland für das Ziel agitiert, tendenziell faschistische Parteien mitregieren zu lassen. Ich finde, wer als Bürger/Bürgerin ein bisschen Haltung hat, muss dem widersprechen, unter anderem in Form einer solchen Petition und nicht den überlegenen Strategen spielen: Lasst uns doch jetzt kühl und klug und so furchtbar gescheit zurückhalten und intensiv nachdenken, wie könnte unsere nächste intelligente Strategie aussehen — ich bin auf das Ergebnis gespannt.

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