Deals, Moneymaking, hemmungslose Macht

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Die Aufgaben einer möglichen neuen rot-schwarzen Koalition im Inneren (siehe Merz als ein wiederauferstandener Scholz) sind zwar sehr ambitioniert, fallen aber nicht grundsätzlich aus dem Rahmen dessen, was in der Bundesrepublik Deutschland im Lauf der Jahrzehnte passiert ist. Sicher, das dauerhafte Erstarken der AfD markiert eine Zäsur mit hohem Bedrohungspotential. Die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Schritte jedoch werden von einem Wandel gefordert, den man mit Fug und Recht epochal nennen kann.

Mit der sicherheits- und verteidigungspolitischen Offensive muss die neue Regierung im Eiltempo auf Gegebenheiten reagieren, die vor drei Monaten noch kaum jemand für möglich gehalten hätte. So wie die gewaltige Summe von 500 Milliarden Euro für den Neustart von Wirtschaft und Arbeit im ersten Moment sprachlos macht, so erst recht eine unbegrenzte Öffnung für eine Verschuldung im Dienst der äußeren Sicherheit und Verteidigung.

Der finanzielle Schritt muss jetzt so groß ausfallen, weil er so spät kommt. Diesen Schritt zu akzeptieren, ist verdammt schwer. Es wäre falsch, das nicht auszusprechen und kein Verständnis zu haben für das Ringen all derer, die Rüstung, Waffen und Krieg aus der Welt verbannen wollen. Die älteren Generationen waren daran gewöhnt, unter dem auch atomaren Schutzschild der USA/NATO für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren, auch gegen diesen Schutzschild. Wir waren auch gewohnt, dass es den Regierenden möglich war, die Bundeswehr herunterzufahren und schließlich die Wehrpflicht auszusetzen. Die jüngeren Generationen sehen mit Erschrecken, was auf sie zukommen kann, und erleben, wie die hässliche Fratze des Kalten Krieges unter neuen Vorzeichen wieder auftritt. Ohne Zweifel, Abrüstung und Ächtung atomarer Waffen bleiben überlebenswichtig, aber nur wenn es gleichzeitig und gegenseitig geschieht. Davon sind wir leider weit entfernt.

Moskaus Bündnis von Thron und Altar

Seit mehr als einem Jahrzehnt sind die sicherheits-, militär- und wirtschaftspolitischen Weichen gegenüber Russland, aber auch gegenüber den USA falsch gestellt worden. In beiden Fällen haben wir uns bei möglichst geringem eigenem Aufwand auf den Schutzschild der USA verlassen. Bei den USA war der abrupte Wechsel trotz vieler Vorzeichen nicht abzusehen. In Russland haben deutliche Warnlichter geblinkt, bis hin zur chaotischen Übergangsphase von Boris Jelzin zu Wladimir Putin an der Wende zum neuen Jahrtausend. Dabei wurde die Macht auch an einen Kreis von alten sowjetischen Geheimdienstlern übergeben.

Der Einmarsch in Tschetschenien sollte auch die Macht Putins als Ministerpräsident bekräftigen, nachdem er 1999 in der DUMA nur knapp bestätigt worden war. Schon in seiner ersten Amtszeit von 2000 bis 2004 zentralisierte Putin die Macht, verfolgte zielgerichtet politische Gegner, schränkte die Meinungsfreiheit ein und suchte das Bündnis von Thron und Altar mit dem orthodoxen Patriarchat von Moskau. Es war schon damals klar, dass Putin einem völlig anderen Muster als dem der liberalen Demokratie folgt, ja dass er deren Prinzipien nicht nur skeptisch, sondern ablehnend gegenübersteht.

Äußerungen über den bedauerlichen Verlust der Größe des zaristischen Russlands und der Sowjetunion gibt es schon aus den 1990er Jahren. Auf den Georgienkrieg 2008 und vor allem auf die Eroberung der Krim wurde von Seiten des gesamten Westens äußerst schwach reagiert. Insbesondere Deutschland hat unter Gerhard Schröder und Angela Merkel die wirtschaftlichen Beziehungen weiter ausgebaut, vor allem die Abhängigkeit von russischem Gast, aber auch Öl verstärkt. Der Ukraine wurde 2008 gerade auch von Deutschland und Frankreich der Zutritt zur Nato verwehrt. Mit Russland wurde seit 1997 z.B. auf der Basis der NATO-Russland-Grundakte kooperiert und der gemeinsame ständige NATO-Russland-Rat eingerichtet. Er überstand manche Aggressionen Russlands. Ihm wurde erst durch die russische Annexion der Krim der Boden entzogen.

Europas enorme Lasten

Es ist fatal, dass es erst der zerstörerischen Politik Donald Trumps bedurfte, Europa aufzuwecken. Die Kehrtwende Trumps in der Aufkündigung der NATO als Wertegemeinschaft, die Abkehr von einem für selbstverständlich gehalten Umgang mit den Bündnispartnern in der NATO im Verhältnis zu Russland und somit vielleicht auch die Abkehr oder Aushöhlung der NATO als Verteidigungsgemeinschaft, das alles ist präsent.

Geschehenes ist nicht zu ändern. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit sollten Europa und Deutschland Schlussfolgerungen ziehen und zumindest jetzt alles tun, um verteidigungs- und sicherheitspolitisch selbstständiger (was, trotz Steigerungsform, noch nicht selbständig heißt) zu werden. Wie immer sich das Verhältnis zwischen Trump und Putin weiterentwickeln wird, wie bitter der „Deal“ für die Ukraine enden mag, Europa braucht ab sofort deutlich mehr militärische Stärke, muss sich auf den Wegfall militärischer amerikanischer „Dienstleistungen“ jeder Art (logistisch, elektronisch, geheimdienstlich) einstellen und darf auch die Frage nach einem eigenen atomaren Schutzschild, so bitter das ist, nicht von vornherein ausklammern.

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In welcher Variante auch immer, es ist zu vermuten, dass USA und Russland die Gewinner, auch im materiellen Sinn sein werden, vor allem die Ukraine und seine Bevölkerung am Boden zerstört sein werden und Europa enorme Lasten wird tragen müssen. Denn aus dem Selbstverständnis Europas, zumindest in der Mehrheit seiner Länder, wird es sich um die Rest-Ukraine (wenn es nicht zu einem neuen Belarus kommt) und deren Wiederaufbau humanitär kümmern, zu ihrer wirksamen militärischen Sicherung beitragen, aber auch den Menschen, die von dort fliehen werden, weiterhin Zufluchtsort sein wollen und müssen.

Der Ausbau einer gesicherten eigenständigen Verteidigungsfähigkeit Europas ist unabweisbar. Denn die praktizierte Disruption geht ja weit über die Ukraine hinaus und zielt auf eine völlig andere politische und gesellschaftliche Ordnung. „Deals“ sind Politik, Interessen sind „moneymaking“ und Werte bleiben auf der Strecke. Denjenigen, die zwar über den möglichen Bruch der NATO klammheimliche oder offene Freude empfinden, die Eigenständigkeit Europas dadurch gestärkt sehen, aber gleichzeitig kein militärische Aufrüstung wollen, sei gesagt: Wieso wird gegen eine wirksame Unterstützung der Ukraine mit Waffen aller Art immer wieder auf die atomaren Potentiale verwiesen, mit denen Putin droht, aber andererseits eine „Friedenswilligkeit“ Putins zur Begründung herangezogen, dass eine militärische Aufrüstung Deutschland und Europas zur wirksamen Verteidigungsfähigkeit nicht nötig sei.

Das Handeln duldet keinen Aufschub

Links-liberale Positionen sind nicht per se pazifistisch. Gemeinsame Abrüstung setzt Gleichgewicht voraus. Gerade für jene, die sich einer realsozialistischen Vergangenheit bewusst sind, war die Sowjetunion dafür das beste Beispiel. Die liberale Demokratie ist nicht nur von innen, sondern auch von außen bedroht, leider heute von West und Ost. In beiden Fällen folgen die politischen Schritte zur Gegenwehr sehr spät. Und sie müssen deshalb umso größer ausfallen und so schnell wie möglich in Gang gesetzt werden. Bei diesem Vorhaben ist erst recht verständlich, dass der noch amtierende, voll funktionsfähige deutsche Bundestag (und der Bundesrat) eine entsprechende Reform der Schuldenbremse verabschieden sollen, weil hier das Handeln keinen Aufschub duldet. Hier zu spät, zu zögerlich, zu wenig wirkungsvoll zu handeln – damit sollte aufgrund der Lehren aus der Vergangenheit Schluss sein.

Die massive verteidigungspolitische Stärkung dürfte für die Grünen nicht das Problem sein, weil sie ganz auf der Linie liegt, die Annalena Baerbock, Robert Habeck, Anton Hofreiter und die Grünen insgesamt in den letzten Jahren mit am deutlichsten vertreten haben. Die Reform eines Grundgesetz-Artikels bedarf der Zwei-Drittel-Mehrheit. So wie eine entsprechende Mehrheit die Schuldenbremse in das Grundgesetz eingefügt hat, kann die Mehrheit das Grundgesetz an dieser Stelle auch ändern. Natürlich unterliegt auch dieses Vorgehen der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Dass in dieser dramatischen Weltlage das Bundesverfassungsgericht diese Änderung verweigert, ist kaum anzunehmen.

Siehe auch Merz als ein wiederauferstandener Scholz

Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

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