Extremwettereignisse und Schadensdimensionen nehmen dramatisch zu, in diesen Tagen wird es im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Franken erlebt und erlitten. Nun rächt sich: Das Bauen in Flutgebieten ist bis heute Alltag, Baugenehmigungen auf flutbedrohten Flächen werden en masse erteilt. Politik und Verwaltungen haben viel zu viel zugelassen. Nun will niemand mehr die Kosten übernehmen. Es war eine unscheinbare Abstimmung bei der letzten Bundesratssitzung vor Ostern. Tagesordnungspunkt 11, keine Aussprache, keine Gegenstimmen, und ruckzuck war das Zweite Gesetz zur Änderung des „Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst“ (DWD) abgehakt. Nun darf sich der DWD in Offenbach an die Arbeit machen und ein Naturgefahrenkataster erstellen. Ein Portal, transparent, kostenfrei und für jeden einsehbar, in dem jeder und jede sein persönliches Risiko bemessen kann, nach einem Stark- oder Dauerregen den Keller geflutet zu bekommen oder von jähen Hagelschlägen ereilt zu werden.
Bislang war dem Wetterdienst ein solches kostenloses Kataster – wegen privater Konkurrenz – nicht gestattet. Aber es ist überfällig, darin sind sich alle einig. Und einig ist sich die Fachwelt auch, dass die Zahl der Extremwetterereignisse mit nachfolgenden Milliardenschäden höchstwahrscheinlich zunehmen wird. Dann ist es aber auch schon vorbei mit dem Konsens. Vor allem, ob es eine Pflichtversicherung gegen Naturgefahren geben soll, ist umstritten. Seit Jahren währt inzwischen der Streit. Denn nur rund die Hälfte der Gebäude in Deutschland ist gegen Elementarschäden versichert, in einer Reihe von Bundesländern ist es sogar nur ein Drittel.
Ja, eine Pflichtversicherung muss her, sagen die 16 Ministerpräsidenten der Länder. Ja, befand zuletzt auch die SPD-Bundestagsfraktion. Nein, sagt der FDP-Bundesjustizminister und sperrt sich bisher hartnäckig dagegen. Nein, sagt auch der Gesamtverband der Versicherer (GDV), der ständig höhere Schadensummen begleichen muss.
Die Versicherer warnen schon lange
Die Assekuranzen sind quasi die Frühsensoren für die Elementargefahren. Schon vor 30 Jahren warnten Rückversicherer wie die Münchner Rück oder Swiss Re eindringlich vor dem Klimawandel und der damit verbundenen mutmaßlichen Schadenshäufung. Die Mahner sollten Recht behalten. Dass die Temperaturen in Mitteleuropa schneller steigen als anderswo auf der Welt, kommt erschwerend hinzu.
Die Versicherer kalkulierten bisher in etwa so, dass sie ein 200-jähriges Großschadensereignis noch begleichen können. Nur, ein Ereignis wie im Ahrtal findet längst nicht mehr alle 200 Jahre statt, sondern viel häufiger. Rund 40 Milliarden an materiellen Schäden hinterließ die Flut, die sich im Juli 2021 durchs Ahrtal wälzte. „Nochmal ein solches Ereignis, dann explodieren die Prämien“, heißt es bei den Assekuranzen unter der Hand. Und noch ein bisschen gedämpfter: „Wir kriegen es nicht mehr gestemmt.“
Im Klartext: In Deutschland ist angekommen, was sich für Experten längst abgezeichnet hat. Der Klimawandel führt zu Extremwetterereignissen, die selbst in einem Land wie Deutschland nicht mehr bezahlbar sind. Nicht für die Versicherer und auch nicht für die öffentliche Hand. Es sei denn, unter der Einforderung von Prämien, die der gemeine Eigenheimbesitzer nicht mehr bezahlen kann und will. So schieben sich Versicherer und politische Entscheider nun gegenseitig den schwarzen Peter zu.
Es hat sich eine Kultur der Sorglosigkeit eingeschlichen
Doch die Versäumnisse sind gemacht – und sie sind nicht den Versicherern anzulasten. Vielmehr hat sich eine Kultur der Sorglosigkeit eingeschlichen. Und der freiwilligen Kostenübernahme durch die öffentliche Hand. Immer schon waren insbesondere die Städte durch Naturgefahren bedroht. Etwa durch Brände. Die Folge waren strengere Bauvorschriften, Fluchtwege, Sprinkleranlagen, Rauchmelder. Heute haben diese Ereignisse keine Konsequenzen mehr. Jedenfalls nicht diejenigen Ereignisse, die mit Starkregen und Überschwemmungen zu tun haben. „Die Vorschriften entsprechen nicht mehr den Gegebenheiten“, klagen Versicherungsfachleute.
Über 320.000 Gebäude in Deutschland stehen in amtlich ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten. Und jährlich kommen immer noch weitere hinzu. Über 30.000 Gebäude in den vergangenen zehn Jahren, wie unlängst der Präsident des Gesamtversicherungsverbandes (GDV), Norbert Rollinger, beklagte. Denn auch heute noch gibt es Genehmigungen en masse für Bauplätze auf flutbedrohten Flächen. Weil Gemeinden so großzügig wie leichtfertig Bauflächen ausweisen, auch in Flutgebieten, weil das Baurecht zahllose Ausnahmen kennt – und weil Landes- und Bundesregierungen im Schadensfall Betroffenen leichtfertig Entschädigungen zusagen. Inzwischen wird der Ton schriller. „Wir sollen das Problem lösen, das die Länder verbockt haben“, klagt ein Versicherungsexperte.
Überhaupt die Länder. Im vergangenen Jahr verhinderten sie im Klimaanpassungsgesetz ein sogenanntes Verschlechterungsverbot. Der Vorschlag des Bundes hatte vorgesehen, „die Vulnerabilität von Grundstücken und Bauwerken sowie der betroffenen Gebiete insgesamt gegenüber den negativen Folgen des Klimawandels nur insoweit erhöhen, als dies unvermeidlich ist“. Es wäre eine deutliche Beschränkung von Bauten auf Überschwemmungsflächen gewesen. In der veröffentlichten Fassung des Gesetzes ist der Passus komplett gestrichen. Auch im sonst so akkurat administrierten Bayern werden immer noch Höfe auf Polderflächen errichtet.
„Ihr könnt doch nicht das Ahrtal entvölkern“
Wie man es nicht machen sollte, ist im Ahrtal zu besichtigen. Dort fließen staatliche Zahlungen nur, wenn die Gebäude an gleicher Stelle wieder errichtet werden – gerne auf Überschwemmungsflächen. Eine Verwaltungsvorschrift vom Oktober 2021, erlassen zweieinhalb Monate nach der Flut, legt fest, dass es staatliche Hilfen nur gibt, wenn genau wie vor der Flut wieder aufgebaut wird, im gleichen Umfang, an gleicher Stelle. Zusätzliche Schutzmaßnahmen sind nicht eingeplant und werden auch nicht bezuschusst.
Seit der Flut wurde so bis auf zwei Dutzend Gebäude in den betroffenen Orten alles wieder so errichtet, wie es einmal stand. Schlimmer noch, auch neue Gebäude sind auf den gefluteten Flächen entstanden. Wie etwa gegenüber der Don-Bosco-Schule an der St. Pius-Brücke in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Das gesamte Schulzentrum, seinerzeit schwer verwüstet, ist bis heute nicht nutzbar. Direkt gegenüber am anderen Ufer der Ahr steht auf gleicher Höhe inzwischen ein schmucker Neubau – zynisch formuliert, bereit für die nächste Flut und mit einiger Sicherheit zum Verdruss der Versicherer.
Und die nächste Flut wird kommen. Denn vergleichbare Wassermengen hatten schon im Jahr 1910 das Tal geflutet und ähnliche Verwüstungen wie vor drei Jahren hinterlassen. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass 2021 nicht das letzte Mal war. Als Vertreter der Assekuranzen auf den mutmaßlichen Unsinn der Nach- und Neubauten hinwiesen, bekamen sie von den Ämtern und aus der Landeshauptstadt zu hören: „Ihr könnt doch nicht das Tal entvölkern.“
Der generelle Vorwurf der Versicherer: „Die Landesregierungen sind nicht in der Lage, den Wählern die Wahrheit zu sagen.“ Und man muss wohl anfügen: Sie wollen es häufig auch nicht. Die Versicherer ihrerseits sind nicht mehr in der Lage, die Schäden zu stemmen. Auch eine Pflichtversicherung, so argumentieren sie, werde nicht funktionieren.
Katastrophen auf Wiedervorlage
Stattdessen fordern sie Korrekturen in den Bauordnungen. „Unseren Bauvorschriften sind Klimawandel und Extremwetterereignisse weitgehend fremd“, sagt etwa Oliver Hauner, Leiter Sach- und Technische Versicherungen beim GDV. Vordringlich sollte dort ein Schutzziel verankert werden. Ohne ein ausformuliertes Schutzziel bleibe das klimaangepasste Planen und Bauen ein frommer Wunsch. Die These der Versicherer: „Das erzeugt Katastrophen auf Wiedervorlage.“ Eine weitere Forderung: Für jedes neue Bauvorhaben sei vorab und verpflichtend eine Gefährungsbeurteilung für Extremwetterereignisse vorzulegen.
Die Versicherer haben längst reagiert. Um ihr Risiko einigermaßen bemessen zu können, haben sie sich ein Zonierungssystem für Überschwemmungsschäden zugelegt, ZÜRS genannt. 22 Millionen Adressen in Deutschland sind dort, unterteilt in vier Gefährdungsklassen, erfasst. Auch für Starkregen und potenzielle nachfolgende Schäden wurde inzwischen ein (dreistufiges) System eingerichtet. Es hilft den Versicherern bei der Frage, welches Gebäude in welchem Ausmaß hochwassergefährdet ist und wie die Prämien zu kalkulieren sind.
Und so blieben die Versicherer auch entspannt, als im vergangenen Dezember Niedersachsen und Teile von Sachsen-Anhalt großflächig unter Wasser standen. Überrascht waren sie nicht. Es waren durchweg Flächen, die in ZÜRS als Zone 3 oder 4 kategorisiert waren, also Risikogebiete. Das System ist so präzise, dass auch Kommunen gerne auf die Daten zurückgreifen würden.
Andere sind längst weiter. In Österreich gibt es ein solches Portal, das im Netz und für jedermann zugänglich in 3-D-Animationen Gefahrenzonen für Flüsse, Wildbäche, mögliche Lawinen, Erdbeben, aber auch Stürme, Hagel und schwere Schneefälle ausweist. Präzise, differenziert nach Wassermengen und Windstärken – und gebäudegenau. Die Bewohner wissen, wo sie bei Starkregen die Sandsäcke aufschichten müssen, welche Straßen noch befahrbar sind und wo Schutzmauern errichtet werden müssen. Versicherer, Kommunen, Wetterdienste, Ministerien – alle haben ihr Wissen eingespeist. Auch die Schweiz hat längst ein solches Portal, sauber differenziert unter anderem für Starkregen. Lawinen, Waldbrände, Erdbeben oder auch Stürme. Nebenbei haben die ersten Kantone bereits mit Umsiedlungen begonnen, weil das Wohnen an manchen Alpenhängen als zu risikobehaftet gilt..
„Wir müssen viel härter durchgreifen“
Auch für Deutschland liegen die Daten vor; aber bisher nicht aggregiert, nicht interpretiert, aufbereitet und auf einem Portal abrufbar. Das soll nun, legitimiert durch das neue Gesetze, in Hochgeschwindigkeit und bis zum Jahresende der Deutsche Wetterdienst erstellen. Die Daten seien vorhanden, sagt Sprecher Uwe Kirsche. Allein, „sie sind verstreut übers Land“. Auch er sagt zum Ahrtal: „Es ist ziemlicher Unsinn, dort wieder aufzubauen, wo die Häuser gerade weggespült worden sind.“ Denn die Zahl der Wetterextreme und ihre Intensität würden zunehmen. Kirsches Fazit: „Es gibt einfach Gebiete, da sollte man nicht wohnen.“
Letztlich müssen Landesregierungen, Landräte und Kommunalverwaltungen den Wildwuchs stoppen. „Die Politik muss jetzt die Weichen stellen und aktiv Klimafolgenanpassung betreiben“, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin. Doch die politischen Entscheider zögern. Die einen, weil sie immer noch Bebauungsgebiete ausweisen wollen, die anderen, weil sie die Kosten und ein Risikokataster fürchten. Der Grund: Für Siedlungsflächen, die amtlich als flutgefährdet ausgewiesen sind, verlieren die darauf stehenden Immobilien augenblicklich dramatisch an Wert. Für die Hauseigentümer, für Immobilienfonds, für die Kommunen. Es gibt keine Gewinner, nur Verlierer – und ganz viel schlechte Stimmung.
Auch die SPD-Bundestagsfraktion will – anders als die Versicherer – eine Pflichtversicherung für Immobilienbesitzer. Aber auch Johannes Fechner, SPD-MdB und einer der Autoren des SPD-Papiers, bekennt: „In Sachen Prävention müssen wir viel härter durchgreifen.“ Und ja, dazu bedürfe es „politischer Härte“.
Sie wird ab sofort nötig sein, sonst wird es noch teurer als bisher schon. Sehr viel teurer.
Der Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Der Streit um Schäden, die nicht mehr zu bezahlen sind“ im Newsletter Berlin.Table des digitalen Medienhauses Table.Media. Wir übernehmen ihn mit freundlicher Erlaubnis.
Ein sehr wichtiger Beitrag! Skandalös, dass die Zuschüsse und Wiederaufbauhilfen gebunden sind an den Aufbau am selben Ort – ohne Verlagerung, ohne Schutzmaßnahmen. Aber seit mehr als 50 Jahren sind uns die Grenzen des Wachstums bewusst, seit dreißig Jahren und mehr die drohende Klimakatastrophe und selbst die einfachsten Maßnahmen scheitern an der Mutlosigkeit oder Zerstrittenheit der Politik. In der Tat, am Ende bleiben nur Verlierer – und meist rechtsextreme Populisten sind die möglichen Gewinner.