Es ist ein Gemeinplatz, dass eine Multikrise herrscht, die sich durch unberechenbare Folgen des Klimawandels, notwendige sozial-ökologisch-ökonomische Transformation und das parallel gestiegene politische Aggressionspotential unter dem Druck von rechtspopulistischen Parteien in westlich-kapitalistischen Gesellschaften noch verschärfte. Vor Jahren, genauer: 2009, starteten die IG-Metall und ver.di die Buchreihe „Jahrbuch Gute Arbeit“, die mittlerweile eingestellt wurde. Jetzt erschien der Band „Gute Arbeit gegen Rechts“. Er beruht auf der Kooperation eines Teams um Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand (mit Dirk Neumann, Klaus Pickshaus und Jürgen Reusch). Dieses Team bemüht sich um die Formulierung einer “Arbeitspolitik“, die gewerkschaftliche mit wissenschaftlicher Politik und betrieblicher Praxis zur „Stärkung der Demokratie“ verbindet, wie Christiane Benner, die Vorsitzende der IG-Metall, in ihrem Geleitwort schreibt.
Der Beitrag des Herausgebers Hans-Jürgen Urban beschäftigt sich mit „Demokratiepolitik im Betrieb“. Der Autor geht vom Befund aus, dass sich Rechtspopulismus und menschenfeindlicher Autoritarismus in politischen Institutionen auf allen Ebenen zwischen der EU und den Kommunen festgesetzt haben. Einzelne Krisen der vielförmigen Gesamtkrise und deren Auswirkungen auf gesellschaftliche Bereiche und die Wähler der AfD sind unterschiedlich ausgeprägt.
Im Zentrum von Urbans brillantem Lageüberblick steht jedoch die wissenschaftliche Einsicht, dass es sich bei der aktuellen Gesamtkrise um eine fundamentale Krise handelt, die den Kern der kapitalistischen Produktionsweise tangiert: das wirtschaftliche Wachstum, das im Wesentlichen auf steigendem Rohstoffverbrauch und fossilen Energieträgern beruht. Beide – Energieproduktion und wachsender Rohstoffverbrauch – gefährden die Naturbasis – das menschen- und naturverträgliche Klima und damit die Koexistenz von Mensch und Natur, also beider Leben und Überleben.
„Der Form nach despotisch“
Der Kampf um Demokratie bleibt davon nicht unberührt. Während dieser in der liberalen Gesellschaft unter verbürgten Freiheitsrechten stattfindet, ist jener in den Betrieben vielfältig, herrschaftlich eingeschränkt – trotz Mitbestimmung und Betriebsräten. Das Gefälle zwischen Eigentümerrechten auf der einen und jenen von Lohnabhängigen auf der andern Seite bleibt immer bestehen, weil „Arbeitsorganisation und Kooperation“ in Betrieben „der Form nach despotisch“ waren und sind, wie Karl Marx 1867 feststellte.
Urban räumt ein, dass das Spannungsverhältnis zwischen dem gewerkschaftlichen Kampf und dem notwendigen „Verwertungsimperativ“ der kapitalistischen Produktion unabwendbar ist. Dennoch bleibt das Ziel einer “demokratischen Vorwärtsverteidigung“ im Sinne des Verfassungsrechtlers Wolfgang Abendroth Aufgabe und Ziel für Gewerkschaften aktuell – gerade angesichts von Status- und Abstiegsängsten vieler von der ökologisch-ökonomischen Transformation betroffener Lohnabhängiger. Allerdings stellt sich die Lage für eine präventive Politik der Gewerkschaften als schwierig heraus. Die politisch motivierte Schuldenbremse erscheint dabei als schlicht anachronistisch.
Eine realistische Transformationsstrategie muss Urban zufolge ökologische Nachhaltigkeit mit Initiativen für mehr Demokratie und Partizipation auf betrieblicher Ebene verschränken. Er setzt auf „die integrative und solidaritätsstiftende Kraft gemeinsamer Arbeits- und Konflikterfahrungen“ und wird darin von Betriebsräten, die in Interviews zu Wort kommen, bestätigt.
Klare Kante und offene Tür
Bisher waren rechte Listen bei Betriebsratswahlen eine Randerscheinung, was für den demokratiepolitischen Erfolg gewerkschaftlicher Arbeit gewertet werden sollte, aber in der Gesellschaft und in den Medien keine angemessene Resonanz fand.
In der IG-Metall gelten für die Auseinandersetzung mit der AfD zwei Devisen: „klare Kante“ gegen alle Infiltrations- und Propagandaaktionen von rechts und „offene Türen“ für Angebote an solidarische Gegenbewegungen in Betrieben und Gesellschaft. Gemeint sind damit nicht halbgare Strategeme der „Rückgewinnung“ von AfD-Wählern, wie sie von Konservativen und Liberalen bis hin zur Kapitulation befeuert werden, sondern um aufrichtige Partizipationsangebote an Bestrebungen, die sich im Rahmen demokratischer Interessenpolitik bewegen.
So ist es z.B. den Betriebsräten Carsten Büching und Rhonda Koch im VW-Werk Baunatal mit gezielten Qualifizierungsangeboten für Vertrauensleute der Gewerkschaft gelungen, im Betrieb ein 700 Köpfe starkes Vertrauensleutegremium aufzustellen, das in der Lage ist, der demagogischen AfD-Rhetorik eine wirksame, weil glaubhafte Alternative demokratischer Teilhabe entgegenzusetzen, um dem Unbehagen über und Ängsten vor zu rascher Transformation in der Automobilproduktion zu begegnen.
Auch Thomas Knabel, Geschäftsführer der IG-Metall in Zwickau, wo das weltweit erste Fahrzeugwerk steht, das vollkommen auf den Elektro-Betrieb umgestellt wurde, berichtet von positiven Erfahrungen mit dem Zusammenhang von Selbstermächtigung und Demokratieerfahrung im Betrieb. Während bei den Betriebsratswahlen 2018 ein AfD-U-Boot-Kandidat gegen IG-Metall-Kandidaten antrat und auf Anhieb 20% der Stimmen gewann, erreichte die IG-Metall-Kandidatenliste vier Jahr später 93% der Stimmen, nicht zuletzt wegen der demokratischen Urwahl der IG-Metall-Kandidat:innen durch alle Gewerkschaftsmitglieder.
Betriebliche Öffentlichkeitsarbeit
In der IG-Metall macht man sich keine Illusionen über die beschränkte Reichweite, wenn auch große Bedeutung von Bildung und politischer Aufklärung bei der Demokratisierung der Betriebe. Charlotte Boebel, Bildungsreferentin bei der IG-Metall, betont in ihrem Beitrag, dass das nicht ausreicht, um die AfD-Propaganda-Strategie von abgehobenen Gewerkschaftseliten wirksam zu kontern, „solange männliche Betriebsratsvorsitzende noch in der Lage sind, einsame Entscheidungen top-down durchzustellen.“ Sie räumt allerdings ein, dass Betriebsräte auch von AfD-Leuten gewählt werden, nicht weil sich diese zur Demokratie bekennen, sondern weil die IG-Metall Betriebsräte „erfolgreich sind“. Gleichzeitig warnt sie davor, solche Befunde im Handstreich als positiv zu verbuchen, was sich eines Tages „bitter“ rächen könnte, wenn daraus nicht vorher „Handlungsoptionen“ abgeleitet werden. Darauf sollten Geschäftsstellen unbedingt achten. Zentral für die Abwehr der Rechten ist jedoch die Aufklärungsarbeit, z. B. mit dem „Verein zur Bewahrung der Demokratie“, mit dem die IG Metall eng zusammenarbeitet“ und gemeinsam Seminare durchführt – auch über das rechte Netzwerk „Zentrum Automobil“ in Baden-Württemberg, wo „traditionell viel Rechte unterwegs sind“. In den Seminaren werden „Argumentationstrainings“ angeboten – etwa zum Thema, wie Öffentlichkeitsarbeit im Betrieb so organisiert werden kann, dass die Chancen des „Zentrums“, in den Betrieben Fuß zu fassen, minimiert werden.
Bisher versuchte das „Zentrum“, sich in den Betrieben als „Kümmerer“ zu profilieren, zeigte sich aber an der gewerkschaftlichen Gremienarbeit eher desinteressiert: „gute betriebliche Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb für die IG Metall „ein entscheidender Faktor.“ Der Erfolg der Gewerkschaft in Zwickau bestätigt das, dort ging man daran, die Vertrauensleute zu qualifizieren wie in Untertürkheim, um die Hetze des „Zentrums“ gegen das Verbrennerverbot mit Argumenten kontern zu können. „Eine klare Position hilft im Betrieb ungemein.“ Um in Betrieben „diskursfähig zu sein, benötigt man demokratische Multiplikatoren“. Die Bedeutung von „Bildungsveranstaltungen dafür ist nicht zu überschätzen.“
Interkulturelle Zusammenarbeit
Ernesto Klengel, wissenschaftlicher Direktor des Hugo Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht in Frankfurt a.M., beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den Chancen, Risiken und Grenzen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) und seinem Kern – der betrieblichen Mitbestimmung – angesichts von rechter Hetze, interkultureller Zusammenarbeit und den Aufgaben betrieblicher Interessenvertretung. Die AfD geriert sich gern als neue Arbeiterpartei und polemisiert gegen Gewerkschaften und deren Funktionäre als Teil der Elite bzw. denen „da oben“, obwohl die Partei Positionen vertritt, die zu den Interessen der Lohnabhängigen völlig quer stehen, etwa in der Frage des Mindestlohns oder einer vernünftigen Migrationspolitik.
Rechtlich gesehen erweist sich die Grundlage der Mitbestimmung als durchaus „widerstandsfähig gegen rechte Vereinnahmung“, denn ihr normativen Fundamenten sind die grundgesetzlich verbürgten Prinzipien der Menschenwürde und der Gleichheit der Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft.§7BetrVG, der das Wahlrecht zum Betriebsrat regelt, enthält keine Differenzierung nach Staatsangehörigkeit. „Ausländische Beschäftigte erleben bei Betriebsratswahlen erstmals, dass es auf ihre Stimme ankommt“ und dass „betriebliche Mitbestimmung ein Ort der interkulturellen Zusammenarbeit ist.“
Auch dass „Betriebsräte die interkulturelle Zusammenarbeit im Betrieb fördern, ist ausdrücklich im Gesetz verankert. Paragraph 80 Abs 1 Nr.7 Betr.VG spricht von „der „Integration ausländischer Arbeitnehmer im Betrieb“ sowie von „Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Das Gesetz verlangt von Arbeitgebern, dass sie jede Diskriminierung von ausländischen Beschäftigten unterbinden und sie sind dem Betriebsrat gegenüber dafür rechenschaftspflichtig. Fazit Klengels: „Für die politische Rechte kann die betriebliche Mitbestimmung ein schwieriges Terrain sein,“ denn „die Einhaltung des Schutzes der Belegschaftsangehörigen vor Fremdenfeindlichkeit gehört zu den Aufgaben des Betriebsrats“ und kann nötigenfalls gerichtlich durchgefochten werden.
Hans-Jürgen Urban (Hrsg.). Gute Arbeit gegen Rechts.
Verlag VSA. Hamburg 2024, 136 S., € 10