Was Massenmedien als Information anbieten, unterliegt der Logik öffentlicher Kommunikation. Sie verlangt als erstes, das gehört zum Grundschulwissen, die Aufmerksamkeit eines Publikums. Auch wie Aufmerksamkeit gewonnen werden kann, hat, dank Social Media, weit über die Expertise der Medien- und Kommunikationswissenschaften hinaus inzwischen in den Alltag Einzug gehalten: Dramatisieren, emotionalisieren, personalisieren, skandalisieren und alles am besten im Superlativ. So entsteht eine massenmediale Wirklichkeit aus Aufregung und Geschrei, Highlights und Abgründen, Streitereien und Beleidigungen, Krisen und Katastrophen. Ob ein Hamster und ein Rad aufeinander treffen oder ein Massenmedium (auch so ein winziges wie Bruchstücke) und eine freie Öffentlichkeit, die Folgen sind absehbar.
Exemplarisch studieren lässt sich „Medienwirklichkeit“ am „Medienmonster“ Donald Trump: „Grelle Konflikte, Sex, Drama, Demütigung und Kampf – Trump ist der inkarnierte Hyperstimulus der Erregungsgesellschaft. Und er liefert, Tag für Tag, Stunde um Stunde. Bis es fast kein anderes Thema gibt. Nur noch: Trump hat gesagt … Und: Trump will … Und schließlich: Trump versucht … Und: Trump kann jetzt …“ (Bernhard Pörksen)
Man könnte erwarten, dass die klugen Redakteur:innen qualifizierter Publikationen dieses Problem kennen und versuchen, nicht darauf hereinzufallen. Aber das ist akademisches Wunschdenken, wie es in Seminarräumen sprießt und blüht. Will sie nicht scheitern, kann sich die Medienpraxis der Funktionslogik der Branche nicht entziehen. Spiegel-Online liefert Anschauungsunterricht. Unter der Überschrift „So stimmt der Kreml die Russen auf die US-Wahl ein“ ist zu lesen „Russlands Propagandisten wollen den Bürgern weismachen, dass der Untergang des amerikanischen Imperiums bevorsteht.“ Und wie stimmt Spiegel-Online am selben Tag sein Publikum auf die US-Wahl ein? Mit der Titelstory „Amerika am Abgrund“. Und das Handelsblatt legt nach: „Amerika steht am Abgrund – und der Rest der Welt ein bisschen mit“. So kommen Propagandisten und Journalisten zum gleichen Befund – wenn auch aus verschiedenen Gründen.
Massenmedial lebt die Vorberichterstattung über Wahlen davon, dass es knapp zugeht. Klare Favoriten und sichere Verlierer verstoßen hier wie überall schnell gegen das erste Gebot freier Öffentlichkeiten: Du sollst nicht langweilen. Nur wenn sich behaupten lässt, das es ganz eng ist, kann die Frage orchestriert werden, wer oder was denn die Entscheidung bringen wird. Spiegel-Online hat bis zum Wahltag ein einfallsreiches Konzert veranstaltet.
- „Falls Donald Trump am Dienstag erneut zum US-Präsidenten gewählt wird, dann ist insbesondere die Inflation schuld. Der Befund ist eindeutig“
- „Entscheidet der Hurrikan »Helene« die US-Präsidentschaftswahl?“
- „Gazakrieg in Michigan. Die Arab Americans könnten die US-Wahl entscheiden. Gegen Kamala Harris“
- „Pick-up, Eigenheim, eine Tochter, die aufs College soll – Leute wie diese könnten die Wahl entscheiden“
- „Schwarze Männer, Wechselwähler, Swifties. Diese Gruppen könnten die Wahl entscheiden.“
- Und nicht zu vergessen „So entscheiden die Swing States die US-Präsidentschaftswahl„.