Das Buch der Triaden

Wie Scharfsinn und analytische Kraft in sprudelnden Ideen ertrinken und mit uferlosem Schreiben zugeschüttet werden, dafür hat „Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität“ 2011 ein 780seitiges Beispiel geliefert. Im Deutschlandfunk bescheinigte Ariadne von Schirach den Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen, „die obszöne Totalität einer blödmaschinenenvermittelten Wirklichkeit“ verleite sie „zu einem ebenfalls obszönen Exzess an Kritik“. Thomas Neumann schrieb, problematisch werde das Buch nur, „wenn die brillante Analyse in undifferenziertes Geschwätz übergeht“. Inzwischen ist „Blödmaschinen II. Die Fabrikation der politischen Paranoia“ erschienen. Nicht halb so dick, genau so gestrickt. Den Verdacht, dass Verblödungs- und Verschwörungserzählungen verwandt sein könnten, hat Hans Magnus Enzensberger schon vor rund 40 Jahren formuliert. Schauen wir genauer hin.

Es gibt Rezensenten, die mit Blödmaschinen II gut klarkommen. Man sollte „diese ausgezeichnete Studie über politische Paranoia unbedingt lesen“, das Buch sei eine tiefschürfende Analyse, „systematisch und übersichtlich gestaltet“. Ich sehe nicht wenige lesenswerte Sätze, jedoch nichts Ausgezeichnetes, kaum Systematisches, zu viel intellektuelle Dampfplauderei. Die 348 Seiten gliedern sich in einen Prolog, „Anarchie und Albtraum“, drei Kapitel (1. „Propaganda, Psychose, Metapolitik“, 2. „Bad Religion: Rechtsextremismus als Erlösungsversprechen“, 3. „Von der Umvolkung zur Endschlacht: Die Große Erzählung der Rechten“) und einen Epilog, „Blödmaschinen Reverse. Was man wissen kann und was wir hoffen dürfen“. Hoffen dürfen wir, das sei vorgenommen, eigentlich nichts, aber einen Eintrag in das Trostbüchlein gibt es gleich zu Beginn: „Solange es Kritik gibt, gibt es Hoffnung.“ (S. 14)

Leser:in friss

Der Text analysiert und argumentiert mit zwei Grundvoraussetzungen. Zum einen, faschistische Bewegungen fallen nicht von außen über unsere Gesellschaft her, sondern entstehen und verbreiten sich von innen heraus. Zum anderen, man versteht zu wenig, wenn man Faschismus nur als polit-ökonomisches oder gar nur als politisches Phänomen ansieht, es braucht auch eine weitgefasste kulturelle Perspektive. Obwohl ich diese Ausgangsbasis uneingeschränkt teile: Als das Buch und mein Kopf zusammenstoßen, klingt es, behaupte ich, zwar nicht hohl, aber kakophonisch. Ich erlebe das Buch wie ein Gewitter: Geistesblitze, donnernde Kritik, Wortwolkenbrüche.

Es ist eine Publikation ohne Hinweis auf methodische und theoretische Selbstaufklärung. Leser:in friss. Man muss in seine Gedanken schon sehr verliebt sein, um sie wie ein Kunststück auszustellen, dessen Herstellung als Betriebsgeheimnis gehütet wird. Die Autoren nennen es Essay und legen los, reihen aneinander, was ihnen einfällt und – sie sind höchst gebildete, außerordentlich belesene, sprachlich sehr gewandte Leute – es fällt ihnen viel ein. „Kritik“, das ist ihr Handwerk, „bezeichnet weder eine Form noch einen Inhalt, sondern eine Bewegung von Gedanken“, schreiben sie (S. 11). Wie lässt sich mit Bewegungen umgehen, von denen außer großen fernen Zielen („die Herausführung der demokratischen Zivilgesellschaft aus der selbst verschuldeten Ohnmacht“, S. 39; „Nebenbei wollen wir der Verbindung zwischen Neoliberalismus, als Wirtschafts- und Lebensweise verstanden, und Rechtspopulismus beziehungsweise Rechtsextremismus nachgehen“, S. 41) nichts bekannt ist, nicht, woher sie kommen, nicht, welche Wege sie wählen und warum, nicht, weshalb sie hier beschleunigen, dort ausweichen, anderswo einen Punkt vielfach umkreisen?

So viel Politkitsch

Bevorzugtes Erklärungsmodell der beiden Autoren ist das Basteln von Dreiecks-Konstruktionen. Man könnte vom „Buch der Triaden“ sprechen.1 Ansehen wollen sie sich zum Beispiel „die drei großen Angebote der Rechten“ – „Rechtspopulismus und Neofaschismus sind ‚Angebote‘ für Menschen in einer persönlichen, sozialen und, wenn man so will, auch philosophischen Krise“ (S. 40) – und „die fünf Elemente, aus denen sie immer neu konstruiert werden […]“. Dann kommen sieben: „Das Volk, die Nation und das Reich, ‚Rasse‘ und Kultur, Heimat und Körper.“ (S. 41) Die Zahl ist ja auch egal, alles gehört zur Blödmaschine. Begriffsklärungen? Geschenkt. „Um der Erzählung der Rechten als Blödmaschine gerecht zu werden, [ist es] eher zweitrangig, wie und in welchen Zusammenhängen man von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, neuem oder gewöhnlichem Faschismus spricht, da diese Erzählung von konservativen Bürgern bis zu terroristischen Neo-Nazis reicht.“ (S. 341)

Es ist stellenweise eine ziemlich schlampige Publikation. Das erste Kapitel beginnt: „Es sind drei Dinge, die geschehen, damit aus einem bürgerlichen Menschen ein ‚Rechter‘ wird.“ (S. 43). Dann kommt erstens, zweitens und kein drittens. Oder im Epilog: „Pierre Bourdieu hat seinerzeit, unter dem Eindruck des ersten Sieges von Donald Trump, eine entsprechende Agenda für einen neuen sozialen, demokratischen, solidarischen und humanistischen Gesellschaftsvertrag vorgeschlagen.“ (S. 339) Wie hat der 2002 verstorbene französische Soziologe das im Jahr 2017 hinbekommen?

Dazwischen nicht selten Sätze, die niedersausen wie Vorschlaghämmer, doch deutlich daneben: „Die Geschichte des Neoliberalismus als ökonomische, aber eben auch als soziale und als psychische Große Transformation ist mit einem dramatischen Abbau von Kultur, Bildung und Wissen verbunden.“ (S. 319) Ach ja? Gemessen woran und bei wem? Die Universitäten der 1960er Jahre mit dem Muff unter den Talaren, das Fernsehen der 1970er mit Serien wie „Dallas“ und „Derrick“, das Deutschland der geistig-moralischen Wende Helmut Kohls, das Enzensberger in „Mittelmaß und Wahn“ sezierte – allüberall mehr Kultur, mehr Bildung, mehr Wissen? Und weitere Rundumschläge bar jeder Realitätskontrolle: „Vor dem Siegeszug des Neoliberalismus als kapitalistischem Totalitarismus bot die liberale Gesellschaft noch eine große Menge an Nischen und Ausweichmöglichkeiten. Das Paradoxon der aktuellen liberalen Gesellschaft liegt darin, dass es in ihr die Freiheiten von Ausweichen, Parallelisieren, Nischen-Finden, Alternativen-Finden, Sich-Entziehen (sogar und gerade im Nützlich-Sein) nicht mehr gibt.“ (S. 216) Großstadtbewohner brechen in schallendes Gelächter aus über so viel Politkitsch, getarnt mit zwei Buchdeckeln eines renommierten Verlages. Was hat das Suhrkamp-Lektorat während der Zeit gemacht, in der es das Manuskript dieses Buch bearbeiten sollte? „Ein Dickicht ist kein heiliger Hain“, schreibt Adorno in den „Minima Moralia“ und fordert Autoren zum Durchforsten auf: „Nie darf man kleinlich sein beim Streichen.“

Eine antifaschistische Hausaufgabe

Keine Frage, Blödmaschinen II hat erhellende, erklärungskräftige Passagen. Eine wichtige, aus meiner Sicht unverzichtbare Antwort bleibt es schuldig: Wenn es zuträfe, wofür Metz & Seeßlen von der ersten bis zur letzten Seite plädieren, nämlich für „die schlichte, aber schmerzhafte Erkenntnis, dass der Rechtsextremismus ein Ergebnis der politischen Ökonomie, Kultur und Psyche ist, die man unter dem vagen Namen ‚Neoliberalismus‘ zusammengefasst hat“ (S. 340), woher kam dann der alte Faschismus? Wenn „der Aufstieg der Rechten ohne die Entwicklung der Medien und ohne die Plattform-Organisation des Internets nicht vorstellbar [ist]“ (S. 326), wie konnten sich dann, sagen wir so ab 1920, die Faschisten in Italien gründen, die NSDAP in Deutschland, die Eiserne Garde in Rumänien, die Ustascha in Kroatien, die Falange in Spanien, die Pfeilkreuzler in Ungarn etc, etc. (siehe Wolfgang Wippermann, Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Primus Verlag 2009)? Im übrigen steht das Internet-Argument auch für sich genommen auf wackligen Beinen. Ohne Zweifel steigert die Digitalisierung sowohl die Selbstdarstellungs-, als auch die Kontakt- und Vernetzungsmöglichkeiten enorm, aber doch für alle. Warum nutzt sie Rechtsaußen mehr als anderen? Die Software-Manipulationen mächtiger Faschistenfreunde wie Elon Musk und Peter Thiel genügen nicht als Erklärung.

Eine antifaschistische Hausaufgabe zum Schluss: „Die allgemeine Bewegung im Westen nach rechts und gegen Demokratie, Liberalismus und Humanismus ist nicht als Krisen-Symptom, Widerstand und Beharrung zu begreifen [siehe oben das Zitat von S. 40, das etwas anderes sagt; at], sondern als tiefgreifende Transformation in der Wahrnehmung von Ich und Welt.“ (S. 324) Bitte überprüfen Sie Ihre Wahrnehmung von sich und der Welt.

P. S. Mit Blick auf Medien im allgemeinen und das „Nullmedium Fernsehen“ im besonderen fragte Enzensberger 1988, auf welcher Seite denn ein Verkünder von Verblödungsthesen stünde: „Entweder er macht von den Medien keinerlei Gebrauch, dann weiß er nicht, wovon er spricht; oder aber er setzt sich ihnen aus, dann stellt sich die Frage, durch welches Wunder er ihrer Wirkung entgangen ist; denn im Gegensatz zu allen anderen ist er moralisch völlig intakt geblieben, kann souverän zwischen Blendwerk und Realität unterscheiden und erfreut sich völliger Immunität gegenüber der Idiotie, die er bei jenen kummervoll konstatiert. Oder sollten – fataler Ausweg aus dem Dilemma – seine Theorien ihrerseits Symptome einer universellen Verblödung sein?“


1 „… bevor also eine kritische Position gefunden werden kann, ist wohl ein Schritt nötig, der nicht ganz einfach ist, nämlich das Eingeständnis eines dreifachen Bruchs…(S. 27f)
„Wenn man die drei Felder des Unbehagens – Staat, Gesellschaft und Biografie – miteinander in Beziehung setzt…“ (S. 28)
„Die folgenden Überlegungen kreisen die drei Elemente der politischen und sozialen Regression ein…“ (S. 39)
„Die drei Eckpunkt dieser Propaganda, die nach und nach tief in die Herzen und Köpfe auch der durchschnittlich liberalen Menschen drang…“ (S. 52)
„Würde die neoliberale Triade Privatisierung, Globalisierung und Digitalisierung…“ (S. 59)
„So entsteht das Dreieck von Kontrolle, Trotz und Terror.“ (S. 81)
„… für jede Spannung zwischen zwei Elementen eines Systems, sagen wir ‚Gerechtigkeit‘, gibt es ein drittes Element, das die Spannung moderiert und bewertet.“ (S. 99)

Usw., usw.

Markus Metz & Georg Seeßlen: Blödmaschinen II. Die Fabrikation der politischen Paranoia
edition suhrkamp 2846, 348 Seiten, 22,00 €, 978-3-518-12846-6

Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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