Durch die Klimakatastrophe — mit Kondratieff und der Allianz

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Gehen wir davon aus, weltweit, also auch bei uns gehören die Finanzmärkte zu den drei, vier Mächten, die das Geschehen mitprägen, im Zweifel den Ausschlag geben. Dann sollten wir gerade in diesen Wahl-Monaten BlackRock, AGI und Nikolai Kondratieff mindestens genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock.

Nikolai Kondratieff ist in diesem Rennen stark, weil Hans-Jörg Naumer auf ihn zugreift. Er sieht in dessen Denk-Tradition den Welt-Kapitalismus vor einer langanhaltenden, gelingenden tiefgrünen Wachstumswelle. Ob Hans-Jörg Naumer das so sieht oder anders, ist nicht unbedeutend, ist er doch Chefanalyst von Allianz Global Investors (AGI), Kapitalanlagegesellschaft des Versicherungskonzerns, etwa 600 Milliarden Euro an verwaltetem Vermögen schwer; das ist schon ein Sümmchen, wenn auch winzig im Vergleich zu den etwa neun Billionen Dollar der us-amerikanischen Kapitalgesellschaft BlackRock.

Kondratieff war sowjetischer Wirtschaftswissenschaftler zu Zeiten von Josef Stalin, Diktator (1927-1953). Seine Theorie: Es gebe im Kapitalismus nicht nur die wenige Jahre dauernden Auf`s und Ab`s, sondern zudem langanhaltende 40 bis 60 Jahre dauernde Wellen. Deren Auf- und Abstiege würden von bahnbrechenden Innovationen (beispielsweise Dampfmaschine, Elektrizität, Telegrafie, Digitalisierung) einerseits und von Knappheiten andererseits getrieben. Ihm war diese Präzisierung wichtig: Dass es eine neue Basis-Technik gebe, das reiche nicht. Die Unternehmen müssten zudem eine Chance sehen, mit ihr auch Profit zu machen; wenn nicht, dann bliebe die Technik ungenutzt in der Schublade liegen. Also: Erst Knappheiten plus Optionen auf profitable Einsätze trieben die jeweilige Basis-Technik in den Mittelpunkt des Geschehens.

Unter Stalin kostete ihn diese Analyse selbstverständlich das Leben (Hinrichtung 1938), weil dem Diktator Theorien, welche die Überlebenskraft des Kapitalismus nicht von vornherein negierten, gar nicht ins Programm passte; für ihn war der Kapitalismus totgeweiht.
Bis 1928 konnte der Wissenschaftler seine Ideen im Westen noch publizieren; sein Werk „Die langen Wellen der Konjunktur“ erschien 1926 in Deutschland.

Screenshot Ernst Klett Verlag, Unterrichtsmaterialien

Im Niedergang sich trösten…

Hans-Jörg Naumer hat nun in den letzten Monaten mit dem Instrumenten-Kasten von Kondratieff die heutigen Verhältnisse noch einmal vermessen und sieht (Stand: März 2021) seine Allianz und uns in diesem Übergang: Die letzte lange Welle war von der Digitalisierung getrieben. Spätestens mit der Finanzmarktkrise 2008/09 sei deren Abstieg eingeleitet. Die Krisenindizien: Das Kapital finde nicht länger ausreichend profitable Anlagen, der Überschuss an herumliegendem oder spekulativem Finanzkapital sei hoch. Die bisherigen Techniken seien ausgenutzt, die Ersparnisse stiegen, die Renditen sänken, ebenso die Arbeitsproduktivität, und es bildeten sich Blasen. In Wechselwirkung komme es zu tiefreichenden sozialen und institutionellen Veränderungen, zu Populismus und Polarisierung. Zeitgleich beginne der Einstieg in die nächste allmählich aufsteigende lange Welle, werde doch zunehmend in einen nachhaltigen grünen Kapitalismus investiert. Die Basis-Techniken seien einsatzfähig: Roboter, Künstliche Intelligenz, smarte Landwirtschaft, neue Energie- und Antriebstechniken. Die (in der Theorie vorgesehene) Knappheit gebe es auch: der eklatante Mangel an gesunder Natur. Und der Kapitalbedarf der neuen Zeit sei enorm: Billionen Dollar müssten beispielsweise in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investiert werden. Zusammengefasst: Wir stehen am Übergang zum sechsten Kondratieff-Zyklus. Die Devise der Allianz: keine Angst, bloß keine Dystopien: wegen Dürre, Wassernot, Überschwemmungen, Hitzewellen und so, das wäre ganz schlecht für`s Geschäft, die Kurve, wir kriegen sie doch.

Von Naumer noch ein kurzer Blick zurück: Gesunde Natur und Umwelt sei ein knappes Gut geworden, weil es bisher nie was gekostet habe, weshalb es künftig auch was kosten müsse. Und so nebenbei noch der kurze Satz des Chefanalysten: Nie und nimmer hätte das sein dürfen, Umwelt und Natur kostenfrei verbrauchen; Umweltverbände, deren Experten und Grüne, die sich für genau diese Erkenntnis seit mindestens 30 Jahren verkämpfen, beißen bei Lektüre sicher in die Tischkante. Da blickt Naumer aber schon wieder in die Zukunft: „Es geht um einen Übergang vom parasitären zum symbiotischen Wachstum, sollen die Ansprüche der nachkommenden Erdbewohner an ein menschenwürdiges Leben erfüllt werden.“ Der Klimawandel sei „der finale, unüberhörbare Wake-up-Call für diese ökologische Wahrheit“. Seine Prognose: Das neue Wachstum werde regenerierend sein, nicht verbrauchend.

…mit dem weiten Blick auf diese neue grüne Welle

Ein Blick auf den Stand der Dinge aus anderen Perspektiven. Der renommierte Soziologe Sighard Neckel analysierte 2013 in einem Interview: „Der Kapitalismus, der verschwenderisch und rücksichtslos mit Natur und Menschen umgeht, gerät an die Grenzen seiner eigenen Reproduktion.“ Und: „Wir befinden uns überall, ob beim Klima, beim Konsum oder bei der Staatsverschuldung, bereits in einer Phase des Schadenwachstums. Es wachsen also nicht mehr der Nutzen und der Wohlstand, es wachsen nur noch die Schäden.“ Und den daraus entstehenden Konflikt beschreibt Neckel so: Alte und neue Kräfte kämpften um Tempo und Richtung der unausweichlichen Transformation. Die entscheidenden Fragen lauteten: Wer bezahlt? Wie gelingt es, dem Einzelnen möglichst viel Freiheit zu erhalten? Wie kann sich die Gesellschaft möglichst viele Kollektivgüter beschaffen? Neckel: „Über dieser anderen neuen Wirtschaft wird die Losung stehen: Ressourcen müssen erhalten und dürfen nicht verbraucht werden.“

Wenn bisherige Denkmuster nicht länger greifen, das bisherige System bröckelt, Meinungsmacher, Manager, Unternehmer, Politiker sich von ihm abwenden, bevor sie das Neue kennen, dann empfiehlt ein weiterer Soziologe, Wolfgang Streeck, auf den Begriff des „Interregnums“ zurückzugreifen: „eine Zeit von unbestimmter Dauer, in der eine alte Ordnung schon zerbrochen ist, eine neue aber noch nicht entstehen kann“; ein Begriff den Antonio Gramsci, Philosoph und kommunistischer Politiker in Italien, geprägt hat. Der Philosoph Slavoj Zizek verweist anlässlich solcher Übergangs-Debatten unverändert gerne auf ein Wort von Mao Tse-Tung, chinesischer Diktator: „Es herrscht große Unruhe unter dem Himmel, die Lage ist ausgezeichnet.“

Goldgräber? Klimaretter? Beides?

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Da die Finanzmärkte, das von ihnen verantwortlich mit-angerichtete Unheil wohl am besten kennen, experimentieren sie als Erste (bereits seit einigen Jahren) mit neuen Kapital-Mixturen: Der Sektor Green Finance blüht und gedeiht.

So empfiehlt beispielsweise die Allianz sich und anderen: Investieren Sie bloß nicht länger in Kohleenergie. Sie selbst will sich nach und nach sogar aus bereits bestehenden Kohle-Investitionen zurückziehen. Große Rück-Versicherer wie Swiss Re haben schon vor längerem deutlich gemacht, von 2021 an wollten sie neue fossile Energie-Projekte nicht mehr versichern. Das gilt auch für RWE mit seinem Kohletagebau in Garzweiler, Nordrhein-Westfalen. Joachim Wenning, Vorstandschef des Rückversicherer-Konzern Munich Re, sekundiert: „Insbesondere dem Klimawandel müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt mit größerer Entschlossenheit und Handlungsbereitschaft entgegentreten.“

Larry Fink, Vorstandsvorsitzender von BlackRock, schrieb Anfang 2020 in einem Brief an die Vorstände der Unternehmen, an denen seine Gesellschaft beteiligt ist: „Der Klimawandel ist für die langfristigen Aussichten von Unternehmen zu einem entscheidenden Faktor geworden.“

Nachhaltigkeit — der große Bluff?

Seit Ende 2020 gibt es eine Investoreninitiative Net Zero Asset Managers, mit heute mehr als 70 Unterzeichnern, darunter Allianz Global Investors, BlackRock und Vanguard, die beiden größten Vermögensverwalter der Welt. Die Unterzeichner verwalten insgesamt Vermögenswerte in Höhe von 32 Billionen Dollar und haben sich auf das Ziel verpflichtet: Ihre Portfolios sollen bis 2050 klimaneutral sein. Bis 2030 soll sich der CO2-Ausstoss ihrer Portfolios um 50 Prozent verringern. Und die Unterzeichner wollen auf den Hauptversammlungen der Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, offensiv für eine Strategie der Decarbonisierung eintreten.

Die Europäische Zentralbank (EZB) drängt die Zentralbanken der Länder, sie sollten in ihren Bilanzen die Risiken erfassen und kontrollieren, die mit dem Klimawandel verbunden sind. Sie will das für alle von ihr gehaltenen Vermögenswerte ebenfalls tun. Die Richtung ist also klar. Was der EZB fehlt, ist Tempo. Denn für alle diese Vorhaben ist immer eine Übergangszeit von drei bis fünf Jahren vorgesehen; also ob die Klima-Katastrophe ein Bummelzug sei.

Die Asiatische Entwicklungsbank (Asian Development Bank, ADB) mit ihren 68 Mitgliedsländern plant, ihre Energiepolitik komplett umzustellen: Sie wird aus jeglicher Kohle-Finanzierung aussteigen. Eine Wende, die Umweltschutzverbände begrüßen, ihr aber nicht so recht trauen: Dieser Ausstieg müsse hart kontrolliert werden, so deren Position. Der Grund: In Indien, Indonesien und China setzen die Regierungen weiterhin auf den Ausbau der Kohleverbrennung; ein Trend, von dem auch das unbeirrbare Kohleland Australien profitiert. Ein Problem auch in Europa: Das schiere Ausmaß der Subventionen für Kohle sei „alarmierend“, versuchte jüngst der Direktor der Europäischen Energiegemeinschaft, Janez Kopac, Alarm zu geben. Vor allem die Ukraine, Serbien, Albanien und Kosovo steckten „in der Vergangenheit“ fest, planten Neubau und Modernisierung von zahlreichen Kohlekraftwerken, oft mit hunderten Millionen Euro direkt vom Staat subventioniert.

Die Fondsgesellschaften und ihre Tricks

Bild: Geralt auf Pixabay

Ach was, sagen die Kritiker, alles „greenwashing“. Vor wenigen Wochen warnten Finanzökonomen des Leibniz-Institutes für Finanzmarktforschung (SAFE) vor Euphorie. Viele Aktivitäten im Bereich des Green Finance bescherten Anlegern ein gutes Gewissen, bewirkten aber oft nicht das Versprochene, also Investitionen, welche CO2-Emissionen verringerten. Im vergangenen März schrieb Tariq Fancy in einer us-amerikanischen Publikation, das Reden über Nachhaltigkeit sei nichts anderes als ein Marketing-Hype der Investment-Gesellschaften. Was den Meinungsartikel brisant macht: Fancy war bis 2019 bei BlackRock tätig, als Chef-Anleger für nachhaltiges Investieren. Auch die größte deutsche Fondsgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Wertpapiersparen (DWS) hat nachhaltig entsprechende Probleme. Desiree Fixler war dort Leiterin der Nachhaltigkeitsabteilung. Gerade ein halbes Jahr hat sie es dort ausgehalten, dann verließ sie in diesem März das Unternehmen. Nun hat sie, laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dem Unternehmen öffentlich vorgeworfen, es übertreibe die Höhe der als nachhaltig verwalteten Gelder. Die DWS weist alle Vorwürfe zurück, auch mit dem Hinweis, es sei ja noch gar nicht klar geregelt, was Nachhaltigkeit sei und was nicht; was richtig ist. Dennis Kramer hat für seinen FAS-Bericht allerdings herausgefunden, wie Fondsgesellschaften wie die DWS tricksen. Das geht so: Die DWS erfasst in ihrem Geschäftsbericht 2020 rund 460 Milliarden Euro unter der Kategorie „ESG-Integration“, das ist beinahe die Hälfte des kompletten verwalteten Vermögens des Unternehmens; das Kürzel ESG steht für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (gute Unternehmensführung). Nun der Trick: Die 460 Milliarden Euro werden nicht nach diesen Kriterien verwaltet und eingesetzt, sie wurden lediglich nach ESG-Kriterien GEPRÜFT. Ob diese Gelder auch so eingesetzt werden, diese Kriterien also erfüllen, das ist eine ganz andere Frage. „DWS-Aktie mit Kursrutsch: US-Börsenaufsicht untersucht wohl Nachhaltigkeitsangaben der Deutsche Bank-Tochter“, berichtet inzwischen finanzen.net.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin ist dabei zu definieren, ab wann ein Finanzprodukt als nachhaltig vertrieben und verkauft werden darf. Das ist nicht einfach, wie allein das folgende Beispiel zeigt: Atomenergie gilt in Deutschland als nicht-nachhaltig, während Frankreich unverändert auf die CO2-neutrale Atomenergie setzt.

Das einzig Verlässliche: der Egoismus

Nun schieben wir diese berechtigten Bedenken und Kritiken einmal beiseite. Und rücken die Überlegung der Finanzbranche in den Mittelpunkt, die zunehmend unumstritten ist: Es ist soweit, Klimarisiken sind Finanz- und Investmentrisiken geworden. Mit klimaschädlichem Investment wird spätestens mittelfristig weniger, mit klimanützlichem mehr Geld verdient. Weshalb immer mehr Finanzakteure, ob Anbieter oder Nachfrager, aus rein egoistischen Gründen — und das sind nun einmal die verlässlichsten — klimariskante Investments meiden.

Für diesen Trend sorgen die inzwischen massiven Klima-Programme der Staaten, zunehmende Verbote und Restriktionen für klimaschädliche Geschäfte, vor allem die handfesten sichtbaren (wirtschaftlichen) Folgen der sich anbahnenden Klima-Katastrophe: ob Dürre, Überschwemmungen, Tornados, Hitzewellen um die Ecke mit bis zu 50 Grad, Waldsterben, ob im Ahrtal, den Mittelgebirgen, Spanien, Griechenland, Tschechien, Türkei, Kanada, Australien … .

Wolfgang Fink, Leiter der Europa-Zentrale von Goldman Sachs, teilte schon Anfang des Jahres der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit: „Unsere Aktienstrategen sprechen beim Thema Nachhaltigkeit sogar von der größten Investitionsgelegenheit der nächsten 20 bis 30 Jahre.“ Nikolai Kondratieff lebt.

Die wenigen Guten im Haifischbecken der Finanzindustrie

Und dann gibt es ja noch die besonders Guten, auf die wir uns immer verlassen können: Seit 2009 besteht die Global Alliance of Banking on values, heute mit 66 nachhaltig arbeitenden Mitgliedsbanken, die immerhin etwa 200 Milliarden US-Dollar von 70 Millionen Kunden verwalten; darunter die niederländische Triodos-Bank, die deutsche GLS-Bank. Verlässlich finanzieren diese Banken — bei hoher Transparenz — ökologisch, sozial und kulturell nachhaltige Projekte.

Und dann gibt es natürlich noch Ökoworld AG, eine strikt nachhaltig arbeitende Kapitalverwaltungsgesellschaft. Bereits 1975 gründete unter anderem Alfred Platow die Versiko AG. Als Ökoworld AG wagte sich das Unternehmen bereits 1999 mit seinen strikt ethisch-ökologischen Fonds an die Börse. Heute gedeiht auch dieses Unternehmen. Ein Indiz: Seit März diesen Jahres hat sich der Aktienkurs gut verdreifacht, auf nun etwa 100 Euro. Und: Die Höhe des verwalteten Vermögens wächst und wächst. Aus Sicht der Klimakatastrophe der einzige, aber entscheidende Nachteil: Ökoworld AG ist ein Winzling, mit einem verwalteten Vermögen von gerade mal drei Milliarden Euro.

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

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