„Beim RBB gab es ein Organversagen“  

Trotz der fristlosen Kündigung der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger droht die Krise beim RBB die ARD und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt in Verruf zu bringen. Forderungen nach einer Reform der Aufsichtsgremien werden lauter. Diemut Roether, verantwortliche Redakteurin des Evangelischen Pressedienstes (epd), sprach mit dem Medienwissenschaftler Otfried Jarren über das Versagen der Aufsicht beim RBB und darüber, wie die Aufsicht in der ARD und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk organisiert werden müsste. Bruchstücke dankt, das Interview übernehmen zu können, das vor dem Hintergrund des Aufruhrs um eine vorgeschlagene Interims-Intendantin umso erhellender ist .

epd: Was wir in den vergangenen Wochen über den RBB erfahren haben, ist besorgniserregend: Da soll es zwischen der Intendantin Patricia Schlesinger und dem Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf ein System der gegenseitigen Gefälligkeiten gegeben haben. Hinzu kommen Vorwürfe wegen Essenseinladungen in Schlesingers Privatwohnung, die die Intendantin beim RBB abgerechnet haben soll, und ein teurer Umbau der Etage der Intendanz im Fernsehzentrum des RBB in Berlin. Inzwischen ermittelt die Generalstaatsanwalt- schaft Berlin gegen Wolf, Schlesinger und ihren Mann Gerhard Spörl wegen des Verdachts der Untreue und der Vorteilsannahme. Und die ARD-Intendanten haben der amtierenden Geschäftsleitung des RBB das Vertrauen entzogen. Hat beim RBB die Aufsicht versagt?

Otfried Jarren: Ja, aber es handelt sich bei Causa RBB zudem um einen spezifischen Fall. Man darf das jetzt nicht politisch nutzen wie Rainer Robra, der Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, oder andere das tun, um alles Mögliche anzusprechen. Das ist ein Einzelfall. Neben dem Einzelfall – das ist ja immer abhängig von spezifischen Personen und Konstellationen – gibt es gewisse strukturelle Auffälligkeiten und Defizite bei der Governance des RBB, die verallgemeinert werden können.

Im Staatsvertrag des RBB sind sehr wenig Berichtspflichten und Transparenzpflichten festgelegt. Und auch für den Verwaltungsrat gibt es keine Vorgaben, welche Kompetenzen die Menschen mitbringen sollen, die vom Rundfunkrat in dieses Gremium gewählt werden. Ist das so ein strukturelles Problem?

Otfried Jarren: Das ist auffällig. Es kommt noch hinzu, dass der RBB eine Anstalt ist, die für zwei ganz unterschiedliche Bundesländer sendet. Da kommen kulturelle Besonderheiten hinzu: Ost und West und Stadtgesellschaft versus Land. Man konnte ja bei den öffentlich gewordenen Namen sehen, dass Frau Schlesinger Mitglieder der Berliner Stadtgesellschaft zu sich nach Hause eingeladen hat. Anscheinend war niemand aus Brandenburg dabei.
Der RBB-Leitungsskandal ist auch vor dem spezifisch kulturellen deutschen Ost-West-Hintergrund zu sehen. Hinzu kommt die besondere Stadtkultur Berlins mit Verfilzungen, die seit Jahrzehnten bekannt sind. Auch die Verwaltungsstrukturen in Berlin funktionieren nicht wie sie sollten. Ich frage mich: Warum wurde das Thema Schlesinger in Potsdam im Parlament ausgiebig diskutiert, aber nicht in Berlin?

Sehen Sie da auch ein Versagen der beiden Länder Berlin und Brandenburg? Hätten sie bei der Formulierung des Staatsvertrags für den RBB besser aufpassen müssen?

Otfried Jarren: Vielleicht ist das auch eine Frage von kultureller Annäherung: Man lässt Dinge offen, legt nicht sogleich alles fest. Ich schaue respektvoll auf die Ost- West-Problematik. Wo sind im Osten die Menschen, die Erfahrung mit dieser sehr spezifisch westlichen Institution einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt mit ihrer im hohen Maße informellen Kultur sammeln konnten? Aber es stimmt schon: Man hätte von vornherein im Rundfunkstaatsvertrag mehr regeln können – es gibt ja Vorbilder aus anderen Ländern. Und der Rundfunkrat hätte sich Satzungen, Geschäftsordnungen et cetera geben können, und nach den ersten Erfahrungen modifizieren können, auch hier hätte man Vorbilder gehabt. Der Sender verfügt ja über eine Rechtsabteilung und die Intendanz. Aber auch die staatlichen Medienreferate und die Rechtsaufsicht hätten hier dienlich sein können. Gab es keinen Austausch?

Prof. Dr. Otfried Jarren ist ehemaliger Direktor des Hans-Bredow-Instituts, des Leibniz-Instituts für Medienforschung und Lehrstuhlinhaber in Hamburg und Zürich. An der Freien Universität Berlin hat er eine Honorarprofessur. Er war Prorektor der Universität Zürich und Präsident der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK) der Schweiz.
Siehe auch das Bruchstücke-Interview „Ein Einzelfall, der Strukturdefizite bloßlegt und in das Bild von Berlin passt

Die Gründung des RBB ist jetzt knapp 20 Jahre her, man hatte bei der Gründung doch schon einige Erfahrung mit dem Zusammenwachsen der Systeme.

Otfried Jarren: Die hatte man zwar, aber wenn Sie vergleichbare Institutionen anschauen wie die Humboldt-Universität und die Freie Universität in Berlin, dann sehen sie, welche unterschiedlichen Verfassungen die beiden Hochschu- len im gleichen Bundesland haben. Die HU gilt als eine nicht regierbare Universität. Ich denke, das hat auch kulturelle Gründe. Das Zusammengehen zweier Sender ist ähnlich wie die Wiedervereinigung ein längerer kultureller Prozess. Deswegen glaube ich, dass man dort nicht alles so scharf geregelt hat. Man hat gesagt, das ist eine Annäherung, hier müssen wir im gemeinsamen Prozess viele Dinge klären. Der SFB war stark im Westen verankert, also in Berlin-West. Der ORB war in Brandenburg 1991, nach der Wende, gegründet worden. Ein junger Sender, der wenig Zeit für die Ausbildung eines eigenen Profils hatte. 2003 kam es zur Zusammenlegung von ORB und SFB als RBB. Viele institutionelle und organisationale Veränderungen in kurzer Zeit. Auch das dürfte noch nachwirken.

Wie sehen Sie die Rolle des Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf in dem Skandal?

Otfried Jarren: Nach allem, was man über ihn lesen konnte, zu seiner Herkunft, seinen Tätigkeiten, war er für den RBB die falsche Person, ein Unglück. Dass er in diese Position kam, haben diejenigen entschieden, die ihn in den Verwaltungsrat gewählt haben, also der Rundfunkrat. Nach allem, was man jetzt über die Arbeitsweisen in den Gremien lesen konnte, war dort viel Intransparenz. Vor allem wohl im Verwaltungsrat. So gab es keine Informationen über Ausgaben, obwohl die Höhe der Ausgaben dies zwingend erfordert hätte. Da liegen meines Erachtens schwere Defizite im Gremium selbst. Die anderen Gremienmitglieder hätten das einfordern müssen. Oder sie hatten viel zu viel Vertrauen, haben zu viel delegiert.

Screenshot: Website RBB, 22. Oktober 2013

Wolf ist eine zentrale Figur in dem Skandal. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen ihn.

Otfried Jarren: Es gab in Berlin diese Tradition von Filz und Vetternwirtschaft. Es gab die Wohnungsbauskandale, es gab den Skandal mit der Landesbank. Es gibt auch Politik- und Verwaltungsdefizite. Da spielen gewisse Personen wie Wolf eine Rolle. Ich will Frau Schlesinger sicher nicht zum Opfer erklären, aber dass jemand durch die Art, wie man etwas offeriert und möglich macht, in etwas reinrutscht, das halte ich nicht für ausgeschlossen.

Offenbar hat Wolf-Dieter Wolf die Verträge mit ihr alleine ausgehandelt. Wie kann ein Gremium wie der Verwaltungsrat das mitmachen? Ist das Überlastung? Die inzwischen zurückgetretene Rundfunkratsvorsitzende Friederike von Kirchbach hat gesagt: Wir machen das alle ehrenamtlich.

Otfried Jarren: Bei der Größenordnung und dem Finanzvolumen dieser Anstalt ist die Praxis unverantwortlich. Vertragsverhandlungen beispielweise sind eine seltene und herausgehobene, wichtige Angelegenheit. Es ist ein Kerngeschäft. Hat man sich da nicht kümmern wollen oder können wegen Überlastung? Herr Wolf sollte eigentlich die formalen und sozialen Regeln kennen und entsprechend handeln. Und die Rundfunkratsvorsitzende hätte spätestens zu Beginn der Krise eindeutig und klar handeln müssen, als sie sah, in welche Richtung das geht. Das hat sie unterlassen. In den Pressemitteilungen, die vom Rundfunkrat herausgegeben wurden, heißt es zwar, dass es etwas gibt, das aufzuklären ist, aber das Gremium sagt nicht: Wir sind diejenigen, die das aufklären müssen. Wer handelt? Der Rundfunkrat war in der Pflicht als Aufsichtsorgan. Es gab kein Verständnis für die Risiken für die gesamte Institution.

War der Rücktritt von Frau von Kirchbach also konsequent?

Otfried Jarren: Sie hat ja damit argumentiert, dass sie in ihrer Integrität als Pastorin angegriffen wird. Das halte ich für legitim. Aber das befreit sie nicht von der Kritik, dass sie als Vorsitzende des Rundfunkrats hätte handeln müssen. Beim RBB gab es ein Organversagen. Es gibt den Rundfunk- und den Verwaltungsrat, also zwei Vorsitzende, die institutionell in einem Spannungsverhältnis stehen, die unterschiedliche Aufgaben wahrzunehmen haben und sich gegenseitig kontrollieren müssen. Hier hatte man wohl kein Verständnis für die eigene Rolle und über die wechselseitigen Informations- und Kon- trollpflichten. Und wo war, bitte, bei all diesen Prozessen und vor allem in der Krisenphase die Rechtsaufsicht? Sie hätte die Intendantin oder die Gremienvorsitzenden einbestellen oder das Gespräch suchen können. Die interne Berichts- und Kontrollpraxis sollte ja auf Regelwerken basieren, es müsste Protokolle geben et cetera: Stoff für die Rechtsaufsicht. Dass die Intendantin nicht zum Parlament gegangen ist, finde ich richtig. Allenfalls kann man über den Kommunikationsstil kritisch sprechen. Denn es kann nicht sein, dass ein Parlamentsausschuss entscheidet, ihr habt hier anzutreten. Der Rundfunk ist staatsfern und sie hat dem Parlament keine Rechenschaft unmittelbar abzulegen.

So ein Sender ist ein recht großes Schiff

Die Rechtsaufsicht haben die Staatskanzlei in Potsdam und die Senatskanzlei in Berlin, zurzeit führt Potsdam die Rechtsaufsicht. Hätten die früher aktiv werden müssen?

Otfried Jarren: Sie haben die Rechtsaufsicht, sie dürfen auch in den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehmen, sie haben Zugang zu allen Dokumenten. Die Rechtsaufsicht hätte handeln können. Es ist offenkundig ein systemisches internes und – mit Blick auf die Aufsicht – zugleich auch externes Versagen.

Kann sich die Rundfunkratsvorsitzende nach einem solchen Skandal hinstellen und sagen: Wir sind ja hier nur ehrenamtlich, wir machen das alles nur nebenbei?

Otfried Jarren: Als Rundfunkratsvorsitzende muss man sich bewusst sein, dass man eine Verantwortung hat. So ein Sender ist ein recht großes Schiff, wenn man sich das Finanzvolumen anschaut.

Der RBB hatte im Jahr 2020 immerhin knapp 500 Millionen Euro an Einnahmen. Ein Mitglied des Rundfunkrats des RBB erhält 400 Euro pro Monat als Aufwandsentschädigung, die Rundfunkratsvorsitzende bekommt 700 Euro monatlich. Ist das angesichts des Finanzvolumens des Senders zu wenig?

Otfried Jarren: Das ist angesichts der Aufgabenfülle und der Verantwortung klar zu wenig. Für eine solche Tätigkeit muss eine angemessene Alimentation bewilligt werden. Und das Gremium muss über eigene Ressourcen unmittelbar verfügen können, um Kontroll- oder Beratungsaufgaben wahrnehmen oder delegieren zu können – bei Bauvorhaben, für das Risikomanagement, für Personal, für den Haushalt. In den Verwaltungsrat sollte man Menschen wählen, die fachspezifische Kompetenzen mitbringen, um die interne Beratung zu professionalisieren und die Kontrolltätigkeit zu verbessern. Die beiden Aufsichtsgremien müssen gestärkt werden gegenüber der Anstaltsleitung.

Was muss sich in den Gremien ändern?

Otfried Jarren: Meines Erachtens haben die Gremien kein klares Rollenverständnis. Aufsicht, Kontrolle und Beratung sind da verwischt. Je näher so ein Gremium an den Programminhalten ist, umso stärker darf die Rolle der gesellschaftlich relevanten Gruppen werden. Für die Aufsicht über das Management oder die Organisation eines Senders aber braucht man Leute, die spezifisch qualifiziert sind für diese Aufgaben aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse.

Sollte der Verwaltungsrat ein Expertengremium sein?

Otfried Jarren: Er sollte stärker ein Expertengremium sein, es sollten auch Expertinnen und Experten vertreten sein. Der Rundfunk ist ja eine kulturelle Einrichtung, die auch eine politische Funktion hat, und die Institution Rundfunk kann und darf nicht nur nach Management-Kriterien beurteilt werden. Der Rundfunk macht beispielsweise Programme für Minderheiten und das hat Folgen für die Organisation, erfordert die Anstellung oder Beauftragung von Personen mit sehr spezifischen Kompetenzen, das hat besondere Kosten zur Folge. Es darf und kann also nicht alles ausschließlich aus der Perspektive der Effizienz beurteilt werden. Aber in der Tat sollten da Leute sitzen, die wissen, dass hier über Geld gesprochen wird oder über Organisationsentwicklung und darüber, wie Dinge geprüft werden können. Das kann man meines Erachtens nicht über eine Stabsstelle lösen, die man dem Rat anhängt, sondern das müssen Fachleute sein. Entweder holt man die Fachleute in das Gremium oder man delegiert das an Dritte, die berichten und Empfehlungen aussprechen können. Die Expertise muss in den Gremien selbst erhöht werden, man sollte nur hochspezielle Aufgaben an Dritte delegieren. Die Professionalisierung ist kein großer Aufwand: Man muss den Anteil der als fachkompetent anzusehenden Personen für Haushalt und Finanzen in den Gremien gesetzlich oder per Satzung regeln.

Transparenz, daran mangelt es in der ARD generell

Im WDR-Gesetz ist geregelt, dass die Mitglieder „Erfahrungen auf dem Gebiet der Medienwirtschaft, der Wirtschaftswissenschaften, der Wirtschaftsprüfung, der Personalwirtschaft, der Informations- und Rundfunk- technologie sowie des Rechts“ aufweisen müssen. Diese Erfahrungen müssen durch eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung in dem jeweiligen Bereich nachgewiesen werden.

Otfried Jarren: Das ist auch richtig so. Im Kern geht es hier um eine Institution, die in der Organisation gewisse Risiken zu sehen und zu bewältigen hat. Meines Erachtens braucht es auch einen Ausschuss, der sich mit Risikofragen beschäftigt. Dieser Ausschuss muss sich mit Fragen beschäftigen wie: Wohin entwickelt sich der Rundfunk? Welche Risiken gibt es beim Bau? Bei der Werbung? Beim Sponsoring? Welche Risiken gibt es bei den Töchtern? Das sind erhebliche Risiken, die auf dem Radar der Gremien sein müssen. Was beispielsweise das Gesamtprogramm der ARD angeht, haben wir nur die Gremienvorsitzendenkonferenz, die nach dem Delegationsprinzip funktioniert. Kontrolle und Steuerung über Konferenzen? Was haben die zu sagen? Können die der Programmdirektion Vorgaben machen? Sie wissen nicht, was das Programm kostet. Da besteht die Notwendigkeit, Aufgaben festzulegen, Rollen zu definieren und Kompetenzen zu regeln – und darüber Transparenz herzustellen. Transparenz: Daran mangelt es in der ARD generell. ARD-intern wie extern muss eine Gesamtsicht auf die ARD entwickelt werden können. Das gilt vor allem für die Gremien des Rundfunks.

Sie fordern also mehr Transparenz für die ARD-Strukturen?

Otfried Jarren: Man muss deutlich mehr Transparenz schaffen, damit man klar weiß: Wer nimmt welche Aufgaben wahr? Die Bezeichnungen „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland“ und „Gremienvorsitzendenkonferenz“ machen schon deutlich, dass das keine festen Gremien sind. De facto haben wir es bei der ARD aber mit einer Art Holding zu tun, die jedoch nicht wie eine Holding funktioniert, weil sie kein übergeordnetes Gremium hat. Es gibt keinen Aufsichtsrat, der die Holding steuert und Radio Bremen genauso im Blick hat wie den WDR. Es gibt auch keine integrale Geschäftsführung. Ebenso fehlt, sieht man einmal von der Finanzkommission KEF ab, auch den staatlichen Instanzen ein Gesamtblick. Das ist ein Problem. Das zweite Problem haben alle Medienunternehmen: Es sind hochkomplexe Matrix-Organisationen, die zum einen differenziert sind nach Programmen und Wellen und zum anderen nach Landesfunkhäusern und Studios, also nach politischen Räumen, organisiert sind. Und zum dritten machen sie noch ein gemeinsames Gesamtprogramm.

Was bedeutet das?

Otfried Jarren: Man weiß aus der Forschung, dass Matrix- Organisationen Vorteile haben: Sie können dynamisch reagieren und differenziert anbieten. Auf der anderen Seite sind sie schlecht führbar, kaum gut kontrollierbar – selbst für die operativen Geschäftsleitungen. Wenn man dann auch noch Tochterunternehmen hat, die teilweise am Markt in Konkurrenz zueinander und zu privaten Akteuren stehen, dann hat man da noch eine Ebene drin, die nicht koordiniert wird. Und das alles kann kaum verlässlich durch gesellschaftliche Gremien kontrolliert werden, eben wegen der Komplexität und weil in deren Aufsichtsgremien meistens ganz andere Personen sind als die, die im Rundfunkrat sitzen. Man könnte sagen, das ist gut so, denn dadurch wird Kreativität gefördert und Unterschiedlichkeit ermöglicht. Das Problem ist aber, dass die Verantwortungsstrukturen aus der Sicht eines Rundfunkrats oder Verwaltungsrats eines Einzelsenders relativ schwach sind. Der Einzelne hat strukturell die Schwierigkeit, das Ganze überblicken zu können. Und die Delegierten in den Gremien, die das rückkoppeln müssten, können das zum Teil nicht, weil nicht jede Anstalt in den Konferenzen oder Aufsichtsgremien vertreten ist.

Für einen moderierten Prozess unter Einschluss der Belegschaft

Was muss jetzt beim RBB passieren? Trauen Sie dem Rundfunkrat zu, dass er die Affäre aufklärt?

Otfried Jarren: Ich habe die Sorge, dass er das nicht kann, weil die Gremien zu sehr verstrickt erscheinen. Wahrscheinlich gibt es auch persönliche Verletzungen, Misstrauen. Der Vertreter des DGB hat schon von Gereiztheiten gesprochen. Es müsste ein moderierter Prozess her.

Das heißt, es müsste jemand von außen kommen, um das aufzuklären?

Otfried Jarren: Von außen wird ja schon aufgeklärt. Anwälte sind schon damit beschäftigt. Aber die lösen die Probleme nicht. Und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen werden eine gewisse Zeit benötigen. Das dient alles der Aufarbeitung und die wird dauern. So viel Zeit aber hat der RBB, auch die ARD, nicht. Sie müssten einen moderierten Prozess unter Einschluss der Belegschaft beginnen, um zu versuchen, den Sender wieder in eine stabile Lage zu bekommen, um dann möglichst rasch eine neue Intendantin oder einen neuen Intendanten zu finden.

Wer könnte einen solchen Prozess moderieren?

Otfried Jarren: Das müsste entweder jemand sein, der vormals als anerkannte Person einen Sender geleitet hat und dem man auch Krisen- oder Changemanagement zutraut, also zum Beispiel ein Ex-Intendant oder eine Ex-Intendantin. Hier ist meines Erachtens ein ein Team sinnvoll. Wenn man also zum Beispiel an jemanden wie Ulrich Wilhelm denkt, den ehemaligen BR-Intendanten, dann sagen alle: Der ist ja von der CSU. Ich glaube, die Verhältnisse sind kompliziert, kulturell und politisch – zumal beim RBB. Wahrscheinlich ist eine Teamlösung besser, weil sie signalisiert, wie große Anstalten grundsätzlich geführt werden sollten, nämlich von Kol- legialorganen mit einer Persönlichkeit an der Spitze. Das hätte Folgen für die Auswahl des Personals und für Wahlverfahren. Je mehr ich über diesen Fall nachdenke, desto mehr muss ich sagen: Ein Intendantenmodell mit Massagesitzen im Dienstwagen ist schon sehr altba- cken. Es müsste, wie in allen modernen Organisationen, eine stärker kompetenz- und daher teamorientierte Leitungsstruktur geben.

„Das fand ich nassforsch“

Es werden bereits Stimmen laut, die fordern, dass der NDR oder der MDR den Laden übernehmen sollen.

Otfried Jarren: Das habe ich auch gehört. Das würde dann eine erhebliche Strukturreform auch für die ARD zur Folge haben. Ich weiß nicht, ob die Sender das überhaupt wol- len, geschweige denn können. Das würde auch die Idee infrage stellen, dass der Rundfunk in Deutschland eine Abbildung von politischen und kulturellen räumlichen Strukturen ist. Durch Größe löst man die Governance-Probleme sicher nicht. Der öffentliche Rundfunk soll die Vielfalt des deutschen Föderalismus repräsentieren. Das können Großverbünde vielfach nicht leisten. Wir sehen, dass die Konflikte zwischen West und Ost nicht nur politische, sondern auch kulturelle Konflikte sind. Diese kulturellen Konflikte löse ich nicht, indem ich einen Sender auf weitere Räume ausdehne.

Die ARD-Intendanten haben am 20. August erklärt, dass sie der Geschäftsleitung des RBB das Vertrauen entziehen. Haben sie dadurch nicht ein Vakuum geschaffen?

Otfried Jarren: Das fand ich nassforsch, auch ein bisschen unüberlegt. Man weiß ja nicht, wie die Dinge weiterlaufen. Ebenso ist es arg forsch, wenn man behauptet, bei uns gibt es diese Probleme nicht. Das lädt ja geradezu zu Recherchen ein. Der RBB ist immerhin ein Teil einer Ge- meinschaft. Es wäre eigentlich diplomatisch zwingend, dass man auf informellem Wege versucht, Lösungen zu finden. Und dazu ist und bleibt man auf Akteure vor Ort angewiesen.

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