Was bewegt die Bewegung?

Fridays for Future ist wieder aktiv. Corona-bedingt aber dominant online. Eine Art Re-Start unter medial erschwerten Bedingungen. In der bisherigen Hochphase der Bewegung im letzten Herbst wurden über 5.000 Aktivisten vom Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung offline wie online zu ihren Meinungen befragt. Die Resultate wurden mit einer weiteren Studie verglichen, die zuvor in 13 europäischen Städten durchgeführt worden war.

Nun ist die Auswertung abgeschlossen und steht unter dem Titel „Protest for a future II“ in englischer Sprache zum Download bereit. Die Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti hat die wichtigsten Ergebnisse in einem informativen Artikel auf klimafakten.de zusammengefasst:

Im Anschluss ein paar Überlegungen zu den Motiven der Bewegung.

Einige Fragen zu Mentalitäten der Fridays-for-Future-Aktivisten

Was bewegte uns vor Corona? Das Klima. Wer erinnerte uns nahezu tagtäglich jenseits der sommerlichen und herbstlichen Dürre daran? Die AktivistInnen von FFF. Haben wir das Thema vergessen oder verdrängt, wie manche Kommentare befürchten? Haben wir nicht. Eine frische repräsentative Civey-Umfrage vom 23. April lautete „Ist Ihnen der Schutz von Natur und Umwelt durch die Corona-Pandemie eher wichtiger oder unwichtiger geworden?“. Gut 50 Prozent ist das Thema gleich wichtig geblieben. Und sogar knapp 30 Prozent ist es eher oder eindeutig wichtiger. Das könnte man nachhaltige Wirksamkeit nennen. Die Politik wird sich, sofern wir Corona gesamtgesellschaftlich einigermaßen glimpflich überstehen, zwar gestärkt in ihrer Entscheidungsbereitschaft sehen, hat dann aber sofort das unerledigte Klima auf dem Tisch.

Regierungspolitik? Nein Danke!

Bei Corona konnte sie mit der restriktionstoleranten Akzeptanz der Bevölkerung rechnen. Bei den FFF-Aktivisten aber nicht. Hier koppeln sich hohe Bildung, hohe Motivation und große Skepsis: Nur ein Prozent der in Deutschland Befragten traut der Bundesregierung eine Lösung der Umweltprobleme zu. Aber 80 Prozent vertrauen der Wissenschaft mit ihren Analysen und daraus abgeleiteten Vorschlägen. (Wir reden vom Vor-Corona-Herbst; die Wissenschaft dürfte dieweil nochmals an Vertrauen gewonnen haben. Bei der Politik lässt sich beim FFF-Milieu nur prognostizieren, dass ein weiteres Absinken gar nicht mehr möglich ist.)

(Foto: report19 / Unsplash)

Bleiben wir bei dem einen Prozent beim Zutrauen in die Politik. Fragen wir nicht, ob das berechtigt ist oder nicht. Was sagt es jenseits von Triftigkeit? Doch wohl so viel: Eine bestausgebildete Elite (etwa 70 Prozent Akademiker – deutschlandweit sind es gerade 21 Prozent) traut der Regierung als demokratischer Institution absolut nicht zu, ein als absolut drängend angesehenes Problem zu lösen. Ohne tiefere historische Parallelen zu bemühen: Wir haben es hier funktional mit einer außerparlamentarischen Opposition zu tun (ehedem „APO“ genannt).
Passend zu dieser Positionierung die Zustimmungswerte auf eine Schlüsselaussage der Umfrage: „Die Regierung muss ihr Handeln an den Aussagen der Klimawissenschaftler ausrichten, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist“ In Deutschland stimmten 69 Prozent der Jugendlichen und sogar 78 Prozent der Erwachsenen aus dem Aktivisten-Milieu dieser Aussage zu.

Ist Überzeugung wichtiger als demokratische Entscheidungen?

Übersetzen wir es in aller Klarheit: Eine leidenschaftlich überzeugte Elite neigt mehrheitlich dazu, den gängigen Abstimmungsprozess in Demokratien unbeachtet zu lassen, wenn es um Probleme geht, die als existenziell erachtet werden. (Nochmals: Ich bestreite nicht die existenzielle Bedeutung des Klimaproblems. Es geht um die gesellschaftlichen Prozeduren bei der Lösung. Das sollte man auseinanderhalten.)

Wenn einflussreiche Gruppierungen in einer Demokratie demokratische Mittel (Demonstration, Öffentlichkeitsarbeit) nutzen, um demokratische Prozeduren in Frage zu stellen, sollte das zu Denken geben. Sehr distanziert würde ich von einer Krise der demokratischen Partizipation wie auch einer Krise der Institutionen (denen nicht getraut wird) sprechen. (Gegner der Klimabewegung nutzen diese Lücke natürlich und sprechen sogleich von terroristischen Zügen.)

Aktivisten vor allem von Extinction Rebellion (XR) berufen sich hier auf ein Recht zum Widerstand, zum „Aufstand gegen das Aussterben“. (Ich weiß: FFF und XR sind nicht über einen Kamm zu scheren; es gibt aber Übergänge und Verbindungen.) Ziviler Ungehorsam, der öffentliches Leben aushebeln will, gerät unumgänglich ins Visier der Rechtsprechung. Eine sehr alte, in Deutschland seit den 1960er Jahren bekannte Spirale ist bei Fortsetzung solcher Aktivitäten absehbar: Leidenschaftlicher Protest führt zu Gewalt zu Opfern zu Märtyrern zu weiterer Gewalt.

(Foto: Radu Stanescu / Unsplash)

Aber auch das kann dem, der in einer aktionistischen Überzeugungs-Spirale gefangen ist, nicht nur egal sein. Er (oder sie) mag die Zuspitzung sogar freudig begrüßen, weil in der Rebellion, der Revolte plötzlich das heiße Herz einer von sich überzeugten Existenz spürbar wird, das so ganz anders als das laue Walten demokratischer Prozeduren klopft. (Der Autor erinnert sich sehr genau an ältere, eigene Empfindungen. Ich nenne es heute romantischen Protest-Existenzialismus.)

Demokratie ist ein Reibungsprozess

Wie wird es weitergehen? Die Politik wird es schwer haben. Mehrheiten haben zwar Vertrauen in Entscheidungsprozesse gewonnen; das „Volk“ hat aber schwankende Gesinnung (Volatilität nennt man das auch). Parteipräferenzen haben sich bemerkbar (aber korrigierbar) zu Regierungsparteien verschoben, die plötzlich wieder auf das Etikett „Volkspartei“ hoffen dürfen. Nun kommt es darauf an, ob die Grünen wieder erstarken und nach Corona regierungsfähig wirken.

Das ist aus demokratiestrategischen Gründen zu wünschen (der Autor müht sich um maximale Parteiferne). Widerstandsbewegungen müssen sich an demokratischen Prozessen reiben. Nicht um stromlinienförmig, aber eben: um demokratiekompatibel zu werden. Die Evolution der Grünen (manche sagen „Schicksal“) ist beredtes Beispiel. Grüne in Regierungsverantwortung werden manche Aktivisten anziehen, andere werden sich radikalisieren, damit aber auch Sympathieverluste erleiden. Unterm Strich ein Gewinn für Demokratie und das in der Tat dringliche Thema der Ökologie.

Wir Deutschen – Oder: Hohe Gedanken und tiefe Empfindungen

Was bleibt: „Wir“ Deutsche sind ein emotionalisierbares Völkchen. Dies seit Jahrhunderten und einigen merkwürdigen „Revolutionen“; sehr auffällig seit den 1960er-Jahren und allen weiteren Trends von ökologischer Spiritualisierung und emotional aufgeladener Ganzheitlichkeit. (Immerhin 50 Prozent der Deutschen glauben daran, dass Bäume und Pflanzen Gefühle haben. Und darüber lässt sich auch rational nicht reden.) Nennen wir es ein tief eingeschliffenes Versachlichungsmanko. Dennoch wäre es uns ohne die leidenschaftlich Überzeugten, die Gesinnungs-Moralisten verdammt dreckig gegangen. Ein ungezügelter Machbarkeitswahn der Wirtschaft wurde heute noch weit schlimmere ökologische Folgen zutage treten lassen.

Die Impulse sind also essenziell für unseren Fortschritt. Die Umsetzung muss aber rationalen Kriterien folgen. „Tatschlich wurden alle ökologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte durch Politik und Technik erzielt. Dass im Rhein wieder Lachse schwimmen, unser Leitungswasser bedenkenlos getrunken werden kann, die Luftqualität dramatisch besser wurde und die europäischen Wälder wieder wachsen, ist Folge von Umweltgesetzen und technischen Innovationen.“ Das sagt kein Wirtschaftsfunktionär, sondern Ralf Fücks, Jahrgang 1951 vom Bündnis 90/Die Grünen, ehemals Bürgermeister von Bremen und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in einem Zeitungskommentar von 2019. Für einen XR-Überzeugten wird das schon als Korruption erscheinen. Für eine hoch komplexe Gesellschaft ist es der einzige Weg.

Jo Wüllner
Jo Wüllner, studierte Philosophie, Germanistik und Soziologie, arbeitete als freier Journalist und Chefredakteur (PRINZ), Umschulung zum Medienentwickler in Mailand und New York (Roger Black). Seit 1993 Umbau und Neukonzeption von gut 100 Zeitungen, Zeitschriften und Unternehmensmagazinen. Bücher zu Medientheorie und Sprachentwicklung.

3 Kommentare

  1. Man kann das Recht auf Peinlichkeit verteidigen, ohne deswegen jede taktvoll übergehen zu müssen. Ein gutes Blog braucht peinliche Beiträge, „Was bewegt die Bewegung“ ist einer. Zwei Gründe spreche ich an, weitere könnten geliefert werden.
    1. Dem Beitrag fehlt ein Verständnis für die Protestkultur moderner Gesellschaften. Moderner Protest versucht, „die Gesellschaft gegen die Gesellschaft zu mobilisieren“ (Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997, S. 847ff; hier auch alle weiteren Zitate). Er äußert sich „aus Verantwortung für die Gesellschaft, aber gegen sie“. Rein funktional gesehen, leistet moderner Protest das, was der Satan in der christlichen Welt macht. Er beobachtet Gott und die Welt von außen, dafür wird er verteufelt, hält sich selbst aber für was Besseres, weil er einen privilegierten Beobachtungsposten hat. „Unreflektiertes Sich-für-besser-halten“ plus Schuldzuweisungen an die anderen sind logische Folgen. Es ist oberflächlich, die Protestierenden dafür zu schelten, denn die Schelte läuft auf die Forderung hinaus, den Protest zu unterlassen. Moderner Protest geht so oder gar nicht.

    1. Der Autor ist beunruhigt über den Zorn der Ohnmächtigen, die entschlossen sind, ganz wie Theodor Adorno es für geboten hielt, sich von der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen. Er unterstellt ihnen, demokratische Verfahrensregeln missachten zu wollen. „Mit der Form des Protests“, schreibt Luhmann, „wird sichtbar gemacht, dass die Teilnehmer zwar politischen Einfluss suchen, aber nicht auf normalen Wegen. Dies Nichtbenutzen der normalen Einflusskanäle soll zugleich zeigen, dass es sich um ein dringliches und sehr tiefgreifendes, allgemeines Anliegen handelt, das nicht auf die übliche Weise prozessiert werden kann.“ Protestierende sind keine Reformer, aber ohne sie gäbe es keine Reformen.
      „Was bewegt die Bewegung“ artikuliert altväterliche Bedenken.
    1. VON SYMPATHISANTEN UND DISTANZIERTEN
      Lesezeit: knapp 2 Min.

      Paul Püls spricht von „Peinlichkeit“. Ich unterstelle, er spürt einen – hier wohl eher psychischen – Schmerz bei der Lektüre. Ich entschuldige mich; er möge mir keine Absichten unterstellen. Es ist wohl eher ein Kollateralschaden, der beim Bemühen um distanzierte Unparteilichkeit aufgetreten sein mag.

      Die Wendung „peinlicher Beitrag“ geht aber wohl einen Schritt weiter. Hier wird die Wahrnehmung eines Lesers verabsolutiert, im älteren philosophischen Jargon: ontologisiert. Resultat: Der Beitrag soll „an sich“ peinlich sein. Was eine bedenkliche Verschiebung bedeutet. Pein – egal welcher Natur und Intensität – empfinden Menschen. Spricht Herr Püls also für „den Menschen“? Das ist schwerlich möglich; es würde einen papstähnlichen Status benötigen. (Was andere Probleme nach sich zöge.) Ich reduziere also gutmeinend den Wirkungsgrad der Pein auf die empfindende Person.

      Nun zur Kritik selbst:
      Dem Autor (mir) fehle „Verständnis für die Protestkultur moderner Gesellschaften“.
      Ich gebe zu, mir fehlt bei manchen Formen des Protestes das Verständnis. Das heißt: Ich spüre weder eine duldende, noch eine freundlich zustimmende Akzeptanz. So bei den regelmäßig und bald wieder zum 1. Mai in Berlin anstehenden Protesten des sogenannten Schwarzen Blocks, dessen Neigung zum vandalisierenden Zündeln gerne auch die allzu neu aussehenden Kleinwagen von jüngeren Bankkauffrauen zum Opfer fallen. (Ich kenne eine.)

      Allerdings verstehe ich solche Formen des Protestes (analytisch – nicht jedoch duldend oder akzeptierend). Dass ich hier strikt zwischen Verständnis und Verstehen unterscheide, ist wohl wieder Symptom meiner Unparteilichkeit. Ich bin – im weitesten Sinne – kein Sympathisant. Also kein Freund leidenschaftlicher Identifikation oder emotionalisierter Parteilichkeit. Mit Nichts und Niemanden, außer meiner Familie und wenigen Freunden. Was bewegungsaffine Menschen grundsätzlich stören muss.

      In meinem Text habe ich ein Umfrageergebnis ins Zentrum gestellt: Hochgebildete Akademiker mit FFF-Identifikation misstrauen zu 99 Prozent der Politik bei Klimafragen und wollen zu etwa 75 Prozent demokratische Prozesse bei diesem Thema nicht gelten lassen. Das ist ein statistischer Fakt, erhoben von einer eher sogar sympathisierenden Institution wie dem Institut für Bewegungsforschung.

      Paul Püls konstatiert hier selbst (den zu wenig rezipierten Soziologen Niklas Luhmann zitierend) ein „unreflektiertes Sich-für-besser-halten“. Eine „Schelte“ für solchen Protest sei aber naiv. Ich stimme – fast sympathisierend – vollends zu. Genau gelesen, schelte ich aber auch nicht. Ich beschreibe die Ablehnung des Regierungsbetriebs der FFF-Sympathisanten funktional als „außerparlamentarische Opposition“ und weise darauf hin, dass eine APO jedweder Art auf eine Krise der politischen Institutionen hinweist. „Böse“, „schuldig“ ist da keiner. (Ich unterstelle dabei, dass die Zuweisung von „außerparlamentarisch“ schon lange nicht mehr als Vorwurf gedeutet wird.)

      Ich kritisiere nicht, sondern bekenne im Text, dass ich auf eine demokratiestrategische Wende hoffe: Die Grünen in Regierungsverantwortung. Und eine Stärkung der Partei durch „abtrünnige“, sich der Realpolitik zuwendende Bewegte. Auch das ist distanziert argumentiert; eher auf dem Level, auf dem zur Macht strebende Politiker ihre Wahlchancen analysieren.

      Paul Püls fasst zusammen: „Protestierende sind keine Reformer, aber ohne sie gäbe es keine Reformen.“ Wiederum meine volle Zustimmung. Ich gönne mir nur die Spekulation, wie der Übergang von Protest zu Reform demokratie-effizient vonstattengehen kann. So lasse ich mir unwidersprochen mangelndes Sympathisantentum vorwerfen, aber keine moralisierenden („altväterlichen“) Vorwürfe gegen Protestkultur.

      Ich schließe mit dem auch von mir sehr geschätzten Herrn Luhmann – ein Vorbild an analytischer Versachlichung -; wenige Seiten nach den von Paul Püls zitierten Sätzen konstatiert er, dass von Protestbewegungen auch nicht erwartet werden kann, „daß sie sich klarmachen können, was die Folgen sein werden, wenn die Gesellschaft dem Protest nachgibt.“ So wäre für Gesellschaft wohl zu wünschen, dass Ziele des Protestes möglichst verzögerungsfrei von denen adaptiert werden, die sich Gedanken über Folgen machen und sich daran gewöhnt haben, dafür als „Politiker“ beschimpft zu werden. Immerhin hat auch diese Gilde augenscheinlich in diesen Monaten einiges dazugelernt.

  2. Eine Replik, die gefällt – mir, füge ich sofort hinzu, um kein ontologisches Missverständnis aufkommen zu lassen. Was machen wir jetzt mit so viel Einverständnis? Konsens beendet Kommunikation, mindestens macht er sie langweilig. Schreiben Sie doch einen neuen Beitrag, möglichst einen, der (mir) peinlich ist.

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