Bisher keine „rechte Landnahme“ in der Zivilgesellschaft

Ist die Zivilgesellschaft Hort der Demokratie oder das Einfallstor für rechts? Dieser Frage widmet sich die druckfrische Studie „Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts. Interventionsversuche und Reaktionsmuster“, die an der Universität Kassel im Fachgebiet „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“ erarbeitet, von Wolfgang Schroeder verantwortet, von der Otto Brenner Stiftung finanziert und publiziert wurde. Methodisch transparent, konzeptionell klug, theoretisch-begrifflich auf hohem Niveau – ein solches Lob kann man angesichts der allgemeinen Studien-Inflation nur selten aussprechen, diese Studie hat es verdient. Den vier AutorInnen gelingt es nicht nur, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus gut konturiert voneinander abzugrenzen. Sie schaffen es auch, die oft hilflos-schwammig verwendete Bezeichnung „Zivilgesellschaft“ als Analyse-Werkzeug präzise zu handhaben.

Die Studie, die hier heruntergeladen werden kann, untersucht zivilgesellschaftliche Organisationen aus den Bereichen der Arbeitswelt, der Religion, der Wohlfahrtspflege, der Kultur und des Sports. Ihre beiden Leitfragen sind, erstens ob und wie die organisierte Zivilgesellschaft mit Interventionen von rechtsaußen konfrontiert ist, zweitens ob und wie sie auf den „Marsch durch die Organisationen“ reagiert, den die AfD 2019 als offizielle Strategie verkündet hat. Die Studie erinnert eingangs daran, dass das AfD-Strategiepapier bereits gewisse Affinitäten in sicherheits-relevanten Berufsgruppen (z. B. Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr) erkennt sowie in Vereinen und Verbänden vermutet, die Tradition und Brauchtum in diesen Arenen pflegen (z. B. Schützenvereine)“.

Das rechtsextreme Machtstreben, das mit den beiden Konfliktlinien ‘unten gegen oben’ sowie ‘innen gegen außen’ aggressive Feindbilder zu etablieren versucht, hat, so das Fazit der Studie, bisher nicht zu einer „rechten Landnahme“ in der Zivilgesellschaft geführt. „Die Interventionen haben zwar zugenommen, aber bislang noch keine umfassendere Veränderung bewirken können.“

Entwarnung könne dennoch nicht gegeben werden: „Bislang changieren die Reaktionen der organisierten Zivilgesellschaft häufig zwischen Abgrenzen und Auseinandersetzen“, wobei „das Risiko einer stillschweigenden Zustimmung oder Normalisierung gegeben ist“. Als politischer Auftrag bleibe, Sorge zu tragen, dass der demokratische Basiskonsens, für den die organisierte Zivilgesellschaft stehe, nicht geschwächt werde. Damit er erfüllt werden kann, „sind Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und der organisierte Sport- und Kulturbereich zunächst herausgefordert, ihre inneren Widersprüche zu bearbeiten, um ihren Aufgaben und ihrem Anspruch als Hüter des Basiskonsenses gerecht zu werden. Ob ihnen dies gelingt, entscheidet mit darüber, inwiefern sie als Schutzfaktor oder Einfallstor für Rechtspopulismus wirken können.“

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Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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