Natur und Arbeit – Freunde oder Feinde?

Natur…

…schutz.
——————————————————-Fotos: Fabian Arlt

Ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sind viel beschworene, weil gründlich verfehlte politische Ziele. Bei aller Distanz und gegenseitiger Kritik zwischen Grünen und Roten (nicht partei-, sondern gesellschaftspolitisch gemeint) fehlt es gleichwohl nicht an Hoffnungen und Beteuerungen, umweltpolitisch Engagierte und gewerkschafts- wie sozialpolitisch Aktive könnten und sollten mehr kooperieren, öfter gemeinsame Initiativen und Projekte auf den Weg bringen; Demokratie und Solidarität seien ihnen doch gleichermaßen wichtig. Aber alte Aversionen stehen neuen Allianzen im Weg, Barrieren zwischen grün und rot wurzeln tief in Geschichte und Struktur der Moderne.

Die soziale Frage – (zu) viele Arme und sozial gefährdete Existenzen in der arbeitenden Bevölkerung –, ist aus der Geschichte der Neuzeit nicht wegzudenken. Für einen unkritischen Blick mag es so aussehen, als würde sich einfach der ewige Unterschied zwischen Reich und Arm fortpflanzen: Hier Herrschaften, die für ihr Vermögen und ihren (Luxus-)Konsum Schätze, Güter, Arbeitskräfte rauben und plündern, dort arme Schlucker, die sich abschuften und am Hungertuch nagen. Tatsächlich hat im 18. Jahrhundert eine tiefer Umbruch, eine Revolution stattgefunden zusammen mit einer radikalen Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit – von Herrschaft zu Wirtschaft. Wo vorher Burgen und Schlösser Politik und (Land-)Wirtschaft gleichzeitig repräsentierten, teilen sich jetzt Regierungssitze und Konzernzentralen die Macht. Die feudal beherrschte bäuerliche und handwerkliche Familienarbeit wurde „befreit“, Arbeit in eigens dafür gegründeten Organisationen (Fabriken, Betrieben) zusammengefasst und industrialisiert, nämlich technisch und wirtschaftlich rationalisiert.

Eine Hochburg der Wirtschaft
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Eine Hochburg der Herrschaft
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Ein Geizhals mit einem Gierschlund

Wirtschaften heißt, das Verhältnis von Aufwand und Ertrag, Kosten und Nutzen, Ausgaben und Einnahmen wichtig zu nehmen. Ein ökonomisches Optimum wird erzielt, wenn der Aufwand möglichst klein und der Ertrag möglichst groß ist. Wer kompromisslos wirtschaftet, gibt so wenig wie möglich und nimmt so viel wie möglich. Der Vollblutökonom ist ein Geizhals mit einem Gierschlund, ein Kapitalist eben. Weil Kapitalismus Ökonomie pur ist, können seine Interessenvertreter alles als „unwirtschaftlich“ zurückweisen, was daneben berücksichtigt werden möchte, zum Beispiel soziale Sicherheit, (Gender-)Gerechtigkeit, Solidarität (inzwischen auch Nachhaltigkeit). Parteien und alle anderen, die sich so etwas auf die Fahne schreiben „verstehen nichts von Wirtschaft“.

Über ihre Bewirtschaftung ist die Arbeit glücklich und unglücklich zugleich. Einerseits sieht sie sich dringend gebraucht, denn wo keine Arbeit ist (sie muss nicht von Menschen, sie kann auch von Maschinen geleistet werden), dort ist auch keine Wirtschaft. Andererseits wird die Arbeit ziemlich böse zugerichtet mit den bekannten Folgen für die Arbeitskräfte: Arbeitszeiten so lang, Arbeitsumstände so billig, Arbeitsintensität so hoch, Arbeitsentgelte so niedrig wie möglich. Werden Arbeitskräfte gerade nicht gebraucht oder dauerhaft maschinell ersetzt, will die Wirtschaft mit ihnen nichts mehr zu tun haben, es sei denn, sie treten als zahlungsfähige Kunden auf.

Konfliktbeladene Kooperation

Der organisierte Widerstand der Arbeitskräfte gegen die Ökonomisierung der Arbeit hat Geschichte gemacht. Durch die Geschichte der Arbeiterbewegung ziehen sich viele Risse, dieser eine ist besonders tief, der Riss zwischen Konflikt oder Kooperation als bessere Antwort auf die ökonomische Machtübernahme. Denn wenn sich die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit einmal unter der Regie der Wirtschaft etabliert hat, dann entfaltet diese Tatsache starke Wirkungen: Die bezahlte Arbeitsleistung wird zum wichtigsten sozialen Integrationsfaktor, die Wirtschaftsunternehmen werden zur Verteilstation für Gewinne, Arbeitsentgelte (inklusive Sozialabgaben) und Steuern, letztlich werden Gemeinden, Städte, Regionen, Nationen zu (konkurrierenden) Wirtschaftsstandorten.

Durchgesetzt hat sich zwischen Arbeit und Wirtschaft – in vielen nationalen Variationen (der Tarifpolitik, der Mitbestimmung, des Sozialstaates) – eine konfliktbeladene Kooperation. “Die Arbeiterklasse hat einen langen Weg zurückgelegt von der Absicht, das Lohnverhältnis abzuschaffen, bis zum Anliegen, niemand davon auszuschließen.“ (Adam Przeworski). Die Interessenorganisationen und Parteien der Arbeit konnten eine Vielzahl an Kompromissen erreichen, großenteils haben sie ihren „sozialen Frieden“ mit der kapitalistischen Wirtschaft gemacht.

Ausbeutung der Natur als Fortschritt

„Die Arbeit“ hat sich lange und aufopferungsvoll gegen ihre Bewirtschaftung gewehrt – einig war sie sich mit der Wirtschaft von Anfang darin, dass die Natur für Ausbeutung zur freien Verfügung steht. Natur zu instrumentalisieren, sie zu unterwerfen – zu roden, Unkraut zu vergiften, Nutzpflanzen zu dopen, zu schürfen, zu zähmen, zu mästen, zu schlachten –, und ihre Ressourcen zu verbrauchen, lief unter dem Namen Fortschritt; das sahen Christen und Marxisten, Konservative, Progressive und Revolutionäre bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fast uneingeschränkt so.

Sich bei der Natur kostenlos zu bedienen, vergrößert den Ertrag, der für Gewinne, Arbeitsentgelte und Steuern verteilt werden kann – deshalb stellen sich die Forderungen der Umweltbewegung als Problem, geradezu als Provokation dar, nicht nur für das rein ökonomische Denken und Handeln, sondern auch für soziale Erwartungen und Ansprüche; bekommen diese doch einen zusätzlichen Konkurrenten im Verteilungskonflikt. In der Konsequenz, wenn die ökonomische Sichtweise als genereller, alles dominierender Maßstab zugrundegelegt bleibt, liegt ein Bündnis von Wirtschaft und Arbeit nahe gegen den Naturschutz; oder auch, zusammen mit der Politik, ein „Bündnis für Arbeit“. Die Natur war nie mit im Bunde.

Seit den 1970er Jahren hat die Ökologiebewegung Erhalt, Pflege und Erneuerbarkeit der natürlichen Umwelt zu einem immer größeren gesellschaftspolitischen Thema gemacht. Klimawandel und Klimakatastrophen, Verschmutzungen und Vergiftungen von Erde, Wasser und Luft mit allen negativen Folgen für Flora, Fauna und humane Lebensräume, lassen keinen vernünftigen Zweifel mehr zu: Die vorherrschende Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensweise bedroht die Zukunft der Zivilisation auf dem blauen Planeten. „Hitzewelle in Sibirien. Der Klimawandel erreicht eine gefährliche Schwelle“, meldet die FAZ in diesen Tagen. Die Erde dreht sich auch ohne Menschen, aber Menschen verlieren ohne eine ökologisch intakte Erde ihre Lebensgrundlage.

Schlüsselrolle für die Arbeit

Bis vor einem halben Jahrhundert basierte die konfliktreiche Kooperation zwischen kapitalistischer Wirtschaft und Arbeit auf der Ausbeutung der Natur. Inzwischen kommt der Arbeit eine Schlüsselrolle zu. Die Streiter für soziale Gerechtigkeit müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin mit der kapitalistischen Wirtschaft gegen die Natur handeln oder ob sie sich zusammen mit den umweltpolitischen Akteuren für Nachhaltigkeit stark machen. „Für eine andere Politik“ gehört zu den Lieblingsforderungen soziale engagierter Organisationen – weil sie sich „für eine andere Wirtschaft“ nicht (mehr) zu sagen trauen.

„Bevor wir wissen, was wir tun, müssen wir wissen, wie wir denken“, weiß Joseph Beuys. Es kann keinen sozialen Frieden und es kann erst recht keinen ökologischen Frieden geben, ohne dass sich die Arbeit vom Primat purer Wirtschaftlichkeit befreit. „Die Wirtschaft“ ist kein Feind. Zu wirtschaften, also das Verhältnis von Aufwand und Ertrag nicht aus den Augen zu verlieren, ist eine Bedingung der Möglichkeit von Wohlstand. Aber wenn Wirtschaftlichkeit höchster und letzter gesellschaftlicher Maßstab bleibt, wenn kaum noch etwas gedacht, gesagt und gemacht werden kann, ohne dass sich jemand eine goldene Nase daran verdient, dann wird es wahr werden: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

National und international gibt durchaus beachtliche Ansätze, Initiativen, Projekte, Foren, soziales und ökologisches Engagement zusammenzubinden – aber es sind noch viel zu wenige und sie sind nicht haltbar, nicht entschlossen, auch nicht groß genug. Wirtschaftsorganisationen werden ihre Entscheidungen nicht aus freien Stücken gleichberechtigt auch an sozialen und ökologischen Kriterien orientieren. Ohne dass die Arbeiter- und die Ökologiebewegung sich verbünden, ohne dass die großen Ziele soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu einem gemeinsamen Programm werden, wird es auch keine andere Politik geben.

Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

3 Kommentare

  1. … dabei wäre zu unterscheiden: “Nachhaltigkeit” ist nicht identisch mit “Schutz der Natur” (natürlich gibt es Überschneidungsbereiche). Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist die Natur kein “zusätzlicher Konkurrent im Verteilungskonflikt”; der – zusätzliche – Verteilungskonflikt findet vielmehr zwischen den jetzigen und den zukünftigen Generationen statt, also wie immer: zwischen Menschen und Menschen. Gegenwärtig dient “die Wirtschaft” der Produktion von Tauschwerten durch die ein (abstrakter, d.h. in seiner Substanz beliebiger) Mehrwert realisiert und gesteigert werden soll (g-W-g’). “Die Arbeit” muss sich daher entscheiden, ob sie (nur, wenn es ihr überhaupt gelingt) für ihren “fairen” Anteil an der Mehrwertproduktion eintreten will oder „für eine andere Wirtschaft“, in der die Produktion von Gebrauchswerten das Ziel ist. Dadurch könnte auch die abstrakte Arbeit zu einer zweckorientierten (sinnvollen und möglicherweise sinnstiftenden) Arbeit werden. Durch die Emanzipation vom Wachstumszwang, der sich aus dem Mehrwert-Prinzip (fast) zwangsläufig ergibt, könnten darüber hinaus Produktivitätsfortschritte zu Arbeitszeitverkürzung für alle führen. “Die Arbeit” hat also offensichtlich in einem Bündnis mit “der Nachhaltigkeit” nichts zu verlieren, aber – heute und erst recht in Zukunft – viel zu gewinnen.

  2. Vielleicht können wir im Widerstreit mehr Klarheit gewinnen, Michael. Aus meiner Sicht stellst du das happy end groß heraus und verschweigst die Schwierigkeiten, dorthin zu gelangen. “Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist die Natur kein ‘zusätzlicher Konkurrent im Verteilungskonflikt’”, schreibst du – und hast völlig recht. Aber das Problem ist doch, dass – keineswegs die ganze, jedoch – ein zentraler Teil der real existierenden gesellschaftlichen Arbeit gerade nicht “unter dem Gesichtspunkt” der Nachhaltigkeit geleistet wird, sondern unter der Regie purer Wirtschaftlichkeit. Das bedeutet, dass jede Rücksicht auf die Natur eben so wie jede Rücksicht auf die Arbeitenden als Kostenproblem behandelt und negativ bewertet wird. Solange die Wirtschaft aus dieser Perspektive nicht herauskommt, solange die übrige Gesellschaft dem im großen und ganzen beipflichtet, dass Wirtschaft so und nur so richtig verstanden wird, solange hat Nachhaltigkeit keine wirkliche Chance genau so wenig wie soziale Gerechtigkeit.
    Ich sehe wie du eine wichtige politische Aufgabe darin, verständlich zu machen, dass es der Arbeit in einer auf Nachhaltigkeit gepolten Wirtschaft (sehr viel) besser ginge. Aber die Frage, die uns mindestens eben so beschäftigen muss, ist doch die, wie wir dorthin kommen: Dass die Entscheidungen im Wirtschaftssystem – die Entscheidungen der Produktion, der Dienstleistung und des Konsums – ökologischen und sozialen Gesichtspunkten den gleichen Rang geben wie ökonomischen, das bedeutet für mich “große Transformation”.

  3. Sicher dürfen wir die “Schwierigkeiten” der Transformation nicht verschweigen – und auch nicht unterschätzen: Sie sind ja offensichtlich und immens. Ich wollte darauf hinweisen – und Hansjürgen tut das ja auch -, dass die Konkurrenz zwischen “Arbeit” und “Wirtschaft”, d.h. zwischen Menschen und Menschen möglicherweise die größere (und zumindest in einigen Diskursen vielfach übersehene oder unterschätzte) Schwierigkeit auf dem Weg zu Nachhaltigkeit darstellt, als die (eigentlich immer nur vermittelt zu sehene) “Konkurrenz” zwichen Menschen und der Natur. Mein (vielleicht naiver) Optimismus ist, dass eine Veränderung der Mensch-Mensch-Verhältnisse, d.h. zentral auch der Rolle / des Zwecks von Arbeit sich positiv auf das Mensch-Natur-Verhältnis auswirkt; mein Pessimismus ist, dass in den Nachhaltigkeitsdiskursen letzteres fokussiert und ersteres nicht angemessen berücksichtigt wird – wie sich z.B. bei den “alten Aversionen, die neuen Allianzen im Weg stehen”, zeigt.
    Vielleicht lohnt sich ein Blick auf die “Elefantenkurve” (Piketty: Kapital und Ideologie 2020): Demnach ist das weltweite Wachstum 1980-2016 zu 12% den ärmsten 50% weltweit zugute gekommen und hat offensichtlich vor allem in “Schwellenländern” zur Verringerung extremer Armut beigetragen; jedoch sind 27% davon allein dem reichsten 1% der Weltbevölkerung zugute gekommen; den Unter- und Mittelschichten in alten Industrieländern ist dagegen – trotz oft gestiegener Arbeitsproduktivität und -belastung – kaum etwas zugute gekommen. Nun hat dieses Wachstum den ökologischen Fußabdruck der Menschheit (über die planetaren Belastungsgrenzen hinaus) vergrößert. Wenn wir also Verteilungsfragen nicht ins Auge fassen und auch international sinnvolle Allianzen hinbekommen, werden, so fürchte ich, identitäre und nationale Strömungen insbesondere in den Industrieländern gestärkt, die sich als ein zentraler Faktor für die Verhinderung einer Nachhaltigkeitstransformation erweisen. In Bezug auf “Arbeit” also: zu welchem Zweck wird sie geleistet und wie werden ihre Ergebnisse verteilt.

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