Eine Frage, mit der mich eine amerikanische Bekannte dieser Tage in Verlegenheit brachte. Tun wir mal kurz so als ob und stellen uns einen Moment lang vor, Europäerinnen und Europäer haben am 3. November 2020 ihren EU-Präsidenten gewählt, ausgestattet mit den Machtbefugnissen einer US-Präsidentschaft. Den vorgelagerten Wahlkampf zwischen der demokratischen Ursula von der Leyen und dem republikanischen Silvio Berlusconi lassen wir mal weg. Auch soll unerwähnt bleiben, dass sich Boris Johnson von seiner Insel aus noch eingemischt hat…
In den Vereinigten Staaten von Europa (USE) zählen die Wahlhelfer*innen gerade, in jedem Land nach seinen gewachsenen Traditionen und seinen eigenen Regeln, die abgegebenen Stimmen aus. Währenddessen beschützt der Front National in den großen französischen Städten die Wahllokale, damit in Ruhe gerechnet werden kann. Die AfD-Spitze hat den Berliner Migrationsrat zu ihrer Wahlparty eingeladen und die ungarische Fidesz-Regierung bekennt sich anlässlich der demokratischen Wahl zu den Grundwerten der USE. Die deutschen Reichsbürger schauen bei Retsina und Souvlaki öffentlich-rechtliches Fernsehen. Die Kreuzberger Anarcho-Szene besucht mit Bionade und Tofu im Reisepäck Heinz-Christian Strache auf Ibiza, um ihn zu trösten, dass er nicht kandidieren durfte.
Es sieht nach einem äußerst knappen Wahlergebnis aus, aber Europa, entspannt, tolerant und respektvoll, reitet in seiner Einbildung auch den wildesten Stier und sagt sich: Europa, du weißt, kannst und hast es besser.