Die Nachrichten aus der malischen Hauptstadt Bamako waren irritierend. Es war im August des vergangenen Sommers, im angeblichen Sahel-Vorzeigeland stürzte ein „Nationales Komitee zur Errettung des Volkes“ den amtierenden Präsidenten, und schnell sprach sich herum: Der Anführer der Junta, General Assimi Goita, hatte in früheren Jahren Antiterror-Lehrgänge unter anderem in Deutschland und Frankreich besucht.
Deutschland bildet Offiziere und Sicherheitsexperten aus der ganzen Welt aus. Aber was machen die eigentlich mit ihren erworbenen Fähigkeiten?
Im Fall Mali währte der Schreck nur kurz, dann war zumindest in der EU die Sprachregelung gefunden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell verkündete: „Wir bilden keine Soldaten zu Putschisten aus.“ Die Anführer der Revolte seien in den USA und Russland trainiert worden. Und mit hörbarer Erleichterung teilte auch im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ein Vertreter des Verteidigungsministeriums mit: Goita und seine Leute hätten vor allem in den USA ihr Handwerk verfeinert. Die Aufregung legte sich alsbald, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas schaltete sich ein, Berlin akzeptierte die Putschisten, und andere Themen schoben sich in den Vordergrund.
Doch Fragen blieben. Seit Jahrzehnten ist die Bundeswehr in Mali beratend aktiv. Auch die USA und Frankreich sind seit langem mit Trainings- und Aufbauprogrammen präsent. An die 70 Projekte sollten den malischen Sicherheitskräften zuletzt zu neuem Wissen unter anderem in Führung, Einsatztaktik oder Anti-Terrorkampf verhelfen. Und doch war die Überraschung groß, als General Goita und seine Helfer im August den Präsidenten festsetzten.
Seither fragen sich Experten in Berlin und anderswo: Wen bilden wir da eigentlich aus? Zumal im Sahel, „dessen Stabilität für Deutschland und Europa von ganz unmittelbarer Bedeutung“ sei, wie es im Auswärtigen Amt heißt. Was machen die geschulten Offiziere mit ihrem Wissen? Und treten sie in ihrer Heimat wirklich für die Werte ein, die ihnen in Europa oder den USA vermittelt werden?
Mali ist nur ein Beispiel von vielen: Ob Afghanistan, Saudi-Arabien, mit Ägypten, dem Irak oder gar China – zuhauf pflegt die Bundesregierung Kooperationsvereinbarungen mit fragwürdigen Regierungen. Freie Wahlen? Unabhängige Justiz? Rechtsstaatsgarantien? In vielen dieser Länder ist es eher Nebensache, so scheint es.
„Auf welche Partner haben wir uns eingelassen?“
Mal sind deutsche Ausbilder vor Ort, mal kommen die Lehrlinge nach Europa. Tausende von Sicherheitsexperten aus der ganzen Welt haben in Deutschland in den letzten Jahrzehnten Lehrgänge durchlaufen, darunter Generäle, Polizeichefs, Kriminalisten. Ob Großlagen, Waffenkunde, das Beenden von Geiselnahmen, Demokratietheorie oder Menschenrechte – vermittelt wird so gut wie alles, was auch in Deutschland zum Curriculum gehört.
Hinzu kommen Materialhilfen, Fahrzeuge, Funkgeräte oder Nachtsichtgeräte, die die Bundesregierung im Rahmen sogenannter Ertüchtigungsprogramme spendiert. Nachgefragt und bezahlt wird aber auch größeres Gerät. Im Sahel gehört zum Beispiel Algerien zu den Großkunden deutscher Militärtechnologie. Im vergangenen Sommer tauchten im benachbarten Mauretanien in einer versteckten Lagerhalle des langjährigen Ex-Präsidenten Mohamed Ould Abdel Aziz an die 100 Fahrzeuge auf, darunter nagelneue deutsche LKWs und Toyota-Pickups für den Wüstenkrieg.
„Auf welche Partner haben wir uns eingelassen?“ stöhnen inzwischen Diplomaten im Auswärtigen Amt. Zumal gerade aus Mali bekannt ist, dass die höchsten Militärs zur Vermögenselite im Land gehören und grenzüberschreitend mit kriminellen Organisationen zusammen arbeiten. Nachfrage deshalb bei Sicherheitsexperten. „Wir wissen nicht, was mit den Ausgebildeten geschieht“, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Schon vor zwei Jahren, lange vor der Revolte, hatte sein damaliger Kollege Denis Tull für die Mali-Hilfe eine Überprüfung angemahnt:
„Für Ertüchtiger kann es nicht darum gehen, die Politik der Vergangenheit fortzusetzen – mit noch mehr Mitteln.“ Die Bundesregierung müsse „erheblich darin investieren, ihre eigenen Vorhaben zu beobachten und zu evaluieren, um Anpassungs- und Lernprozesse zu ermöglichen“.
Auch der Europäische Rechnungshof hatte damals schon in einem Bericht über die EU-Programme in Mali und Niger die Ertüchtigungsprogramme nachdrücklich in Frage gestellt.
Ertüchtigung als nachrangiges Motiv
Aber an einer gründlichen Evaluierung und Überprüfung ihrer Hilfen hatte die Bundesregierung bisher kein Interesse. Immer wieder wollten etwa die Grünen im Bundestag die deutsche Afghanistan-Mission auf Erfolge und Defizite abklopfen lassen. Ebenso regelmäßig blockte die schwarz-rote Regierung ab.
Der Grund: Die Ergebnisse wären ernüchternd. Denn zumeist geht es gar nicht darum, ein Land militärisch oder in seinen zivilen Strukturen zu stärken. Die Ertüchtigung kann sogar ein eher nachrangiges Motiv sein. Wie etwa in Mali. In dankenswerter Klarheit formulierte es einst ein Referatsleiter des Bundesverteidigungsministeriums: „Wir sind nicht zuallererst für Mali in Mali. Wir sind erstens in Mali wegen unserer Kooperation mit Frankreich; weil wir ein Interesse haben, dass die EU ein aktiver Akteur in der Sicherheitspolitik bleibt; und weil wir wollen, dass die UN ein Akteur in der internationalen Konfliktbewältigung bleibt. Und erst dann, nach all diesen Faktoren, beteiligen wir uns an einer militärischen Mission, damit Mali stabil wird und zu einem Frieden findet.“
In Mali kommt erschwerend hinzu, dass im Sahel viele globale Akteure ihren Fuß in der Tür haben wollen. Zuletzt haben die Briten hunderte Soldaten und Berater an den Niger entsandt, chinesische Soldaten sind im Rahmen der UN-Blauhelmtruppe aktiv, und auch die Russen haben militärische Ausbildungsprogramme im Angebot.
Young-Leader-Prinzip
Dass sich selbst die westlichen Bündnispartner dabei nicht immer einig sind, erleichtert die Sache nicht gerade. Schon in Afghanistan verfolgten die Amerikaner eine andere, robustere Strategie als Deutsche oder Franzosen. Nicht anders in Mali: Für die Franzosen steht im Sahel vor allem Terrorismusbekämpfung im Vordergrund, weshalb die französischen Einheiten bisweilen wenig zimperlich vorgehen und dies auch von den Deutschen erwarten. Die hingegen wollen zuerst zivile Strukturen stärken und versuchen, ihre Strategie begleitend militärisch abzusichern.
Die allerdings basiert auf einem grundsätzlichen Missverständnis. Denn die Ausbildungsprogramme, die ausländische Generäle oder Polizeioffiziere in Deutschland durchlaufen, gehen vom Young-Leader-Prinzip aus. Sie gründen auf der Annahme, dass die Ausgebildeten – wie im Westen – eine Karriere anpeilen, die auf Engagement, Lernbereitschaft und Leistung beruht. Und dass auch Beförderungen entsprechend verlaufen. Auf Prinzipien also, wie sie in Bundeswehr-Hochschulen, US-Militärakademien und anderen westlichen Kaderschmieden üblich sind. Damit verbunden ist die Hoffnung, die Kursteilnehmer von einst später einige Ränge höher als Entscheider wiederzutreffen.
Nur: In Kenia oder Afghanistan, in Mali oder – wie gerade anschaulich zu besichtigen – in Äthiopien spielen für Karrieren ganz andere Faktoren als Ehrgeiz, Effizienz oder gar der Glaube an den Rechtsstaat eine Rolle. In der Regel geht es vielmehr um Kategorien wie ethnische Zugehörigkeit, Loyalität, Netzwerke – und manchmal auch um das nötige Maß an Gerissenheit und Brutalität.
„Es ist ein unauflösliches Dilemma“
„Ertüchtigung basiert auf der Annahme stabiler Verhältnisse“, konstatiert Sicherheitsexperte Kaim. Auf der Annahme, dass die Programm-Absolventen zumindest Teile des aufgeklärten westlichen Wertekanons übernommen und verinnerlicht haben. Doch verlässliche Verhältnisse gibt es in jenen Staaten, aus denen die Gäste kommen, zumeist nicht. Geordnete Regierungswechsel? Eine funktionierende unabhängige Justiz? Wirksame Anti-Korruptionskampagnen? Alles in der Regel nicht vorhanden. „Es ist ein unauflösbares Dilemma“, bilanziert Kaim. „Aber man muss sich Rechenschaft darüber ablegen.“
So erscheint eine Grundsatzdebatte um die Ausbildungs- und Trainingsprogramme überfällig. Auch im Bundestag sind die Fraktionen auf die Missstände aufmerksam geworden. Linkspartei und Grüne sind ohnehin skeptisch, wenn fremde Armeen ertüchtigt werden sollen. „Es muss nachvollziehbar sein, wer wie oft und zu was ausgebildet wurde“, meint nun auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich. Verbleib und Einsatzverwendungen von Materialhilfe als auch von in EUTM und EUCAP (Trainingsprogramme für Mali und Niger) ausgebildeten Sicherheitskräften müssten dokumentiert werden. „Darin müssen wir und die Missionen besser werden.“
Es ist schon in Vergessenheit geraten, aber es ist nicht lange her, da waren auch hunderte von Grenzschützern, Milizionären und Kriminaltechnikern aus Weißrussland von deutschen Experten ausgebildet worden, teils in Deutschland, teils in der Heimat. Im August 2010 durften sich weißrussische Grenzschützer mit der Arbeit der Elitetruppe GSG9 vertraut machen, einige Wochen später waren Weißrussen dabei, als 20.000 Polizisten Castro-Transporte ins niedersächsische Gorleben eskortierten. Ziel der Schulung war es, den weißrussischen Kollegen „das transparente und bürgernahe Verhalten der Polizei“ zu demonstrieren.
Irgendwas scheinen die damals missverstanden zu haben: Heute sichern sie mit Knüppelorgien und willkürlichen Verhaftungen den Machterhalt ihres Diktators Alexander Lukaschenko ab.