Mit Erfolg und Untreue
Bruchstück 1 Marie-Luise Anna Dreyer – wir alle nennen sie „Malu“ – und Winfried Kretschmann gehören zu den deutschen Politiker*innen, die eine sympathische Ausstrahlung haben. Das ist nicht selbstverständlich. Friedrich Merz wirkt nicht sympathisch, Saskia Esken und Markus Söder auch nicht, Angela Merkel nur so irgendwie. Und diese beiden Sympathischen haben zudem keine größeren Fehler (Skandale, Fehlentscheidungen) aufzuweisen. In unserer Gegenwart ist das bereits mehr als die halbe Miete, werden heute doch mehrheitlich Politiker*innen nicht an Visionen, Programmen oder Zukunftsprojekten gemessen. Sondern daran, ob sie aus der Rolle fallen oder nicht, ob sie verbindlich oder arrogant wirken; wie würden denn heute wohl schroffe Politiker vom Typ Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß ankommen.
Je weniger die jeweilige Amtsführung Anlass zu Kritik gibt, desto gewichtiger der menschliche Faktor. So wurden dieses Mal eine gute Landesmutter und ein guter Landesvater wiedergewählt. Beider Gesichtsphysiognomie ist allerdings auch anzumerken, dass sie keine Lämmer sind, obwohl (oder weil) sie beide in der katholischen Kirche erwachsen geworden sind. Ihre politischen Biographien zeigen: beide sind Machtmenschen. Eines ihrer (Wahl-)Geheimnisse: Sie wirken nicht so. Das haben sie Markus Söder voraus. Wer das alles zu bieten hat, dem wird großzügig verziehen, wenn er seinem Parteiprogramm untreu wird; bei Kretschmann im „Autoland“ Baden-Württemberg ist dies offensichtlicher als bei Dreyer im „Winzerland“ Rheinland-Pfalz. Winfried Kretschmann surft trotz seiner Untreue mit anderen zusammen auf der Monsterwelle Ökologie. Bisher mit Erfolg, denn ihre politische Biografie passt, der Zeitgeist ist grün, und es gab noch keine Gelegenheit, vor verbindlichen präzisen Erwartungen zu versagen. Des Kretschmanns Welle hat die gesamte Republik erfasst. Für die Erzählung von Malu trifft das nicht zu.
Wiederwähler am Werk
Bruchstück 2 Wiederwahl ist Volksbrauch. Obwohl am laufenden Band von Veränderung, Innovation, Beschleunigung, Disruption geredet und geschrieben wird, ist nichts typischer als Amtsinhaber*innen wieder zu wählen. In Fußball- und Kaninchenzüchtervereinen, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsverbänden, Parteien, Stiftungen und Skatclubs, überall neigen die Mitglieder dazu, Vorsitzende im Amt zu bestätigen. Wo Führungskräfte nicht gewählt, sondern von oben herab bestimmt werden, passiert es schon mal öfter, dass sie gehen müssen. Aber als normal gilt auch das nicht.
Ein interessantes Phänomen ist, dass es zu unserem Alltag gehört, über Vorstände und Vorsitzende herzuziehen — so wie es der Journalismus und die Online- wie Offline-Stammtische mit den Regierenden machen. Nur dass in der großen Politik alle die Anschuldigungen, Klagen, Proteste öffentlich mitbekommen; sogar eigene Satiresendungen knöpfen sich das politische Führungspersonal vor. In den vielen Vereinen und Verbänden äußert sich die Kritik mehr hinter vorgehaltener Hand. Mitglieder, die allzu offen und lautstark kritisieren, müssen sich fragen (lassen), warum sie noch Mitglied sind, wenn ihnen alles nicht passt. Unzufriedene politische Wählerinnen und Wählern hingegen werden nicht gleich an Auswandern denken, obwohl „dann geh doch rüber“ einmal eine bekannte Einladung war.
Vertrauen kommt von Vertrautsein
Führungskräfte sind für Entscheidungen zuständig. Entscheider haben es gut, denn sie bestimmen, wie es weiter geht. Entscheider sind nicht zu beneiden, denn alle, die von ihren Entscheidungen betroffen sind, wissen: Es hätte auch anders oder gar nicht entschieden werden können. Wo es (und sei es noch so wenig) demokratisch zugeht, muss Führung mit Widerrede rechnen; zumal unter Lebensbedingungen, die wirtschaftlich so weit auseinander driften, sozial so zerrissen und kulturell so uneinheitlich sind. Da trifft jede Entscheidung fast Jede und Jeden irgendwie anders. Überhaupt macht eine richtige Demokratie Widerspruch sogar zu einem Grundgesetz: Sie stellt der Regierung eine Opposition gegenüber, die sagen soll, wie es auch anders ginge. (Ob es die Opposition dann wirklich so viel anders macht, wenn sie die Entscheidung und damit die Verantwortung hat, ist wiederum eine ganz andere Frage.)
Der große Vorteil des Führungspersonals liegt woanders. Weil es die Entscheidungen trifft, steht es unter ständiger Beobachtung. Die Vereinsvorsitzende, der Verbandsboss, die Regierungschefin sind prominent. Sie sind so etwas wie Stars ihrer Organisationen beziehungsweise ihres Landes. Klatsch und Tratsch in Organisationen, Berichte und Kommentare in der allgemeinen Öffentlichkeit tun ein Übriges, um Führungskräfte ständig beim Namen zu nennen, sie immerfort hervor- und herauszuheben. Kurzum: Mitglieder und Publika sind mit dem Führungspersonal vertraut. Vertrautsein heißt, nicht so leicht misstrauen zu können. Worin soll man in diesem Wimmelbild der Welt, das Tag und Nacht über unsere Bildschirme tobt, noch Vertrauen investieren, wenn nicht in die paar Gesichter, die dabei ständig auftauchen? Da weiß man, was man hat, gerade auch dann, wenn einiges an ihnen auszusetzen ist.
Die politisch Engagierten, besonders ahnungslos
Seit sich die Umstände immer schneller ändern, sich Menschen, Märkte, Meinungen im Schleuderwaschgang befinden, seit – unter Krisenbedingungen allemal – schon am nächsten Morgen falsch erscheinen kann, was noch am Abend zuvor für eine gute Lösung gehalten wurde, wächst die Ungeduld mit dem Führungspersonal; vor allem mit Entscheidern, die (sich) nicht erklären, die schlecht kommunizieren. Je mehr Krisen und je längere, desto größer der Entscheidungsbedarf. In Krisen „entscheidet es sich“. Die Frage der Wiederwahl beginnt zu einem Ritt auf der Rasierklinge zu werden. Die Wiederwahl kann gerade deshalb funktionieren, weil so viel Unruhe und Risiko herrscht – und sie kann gerade deshalb nicht mehr funktionieren. Wer vorgibt, die Wahrheit über den Kipppunkt zu kennen, darf als ahnungslos gelten.
Besonders ahnungslos sind politisch Engagierte. „Politische Menschen“ erklären Politik mit politischen Kriterien so wie Kunstinteressierte Kunst mit künstlerischen und Sportinteressierte Sport mit sportlichen. Viele Wahlberechtigte interessieren sich aber wenig bis gar nicht für Politik, sie haben – siehe oben – andere Kriterien für ihre Meinung, die nur dadurch politisch wird, dass sie sich im Wahlergebnis niederschlägt.
Eine eigene Meinung zu haben, ist ein — historisch relativ junges — gutes Recht und eine Zumutung zugleich.
„Als man im frühen 20. Jahrhundert begann, Meinungsumfragen zu führen, mussten die Bürger erst einmal lernen, dass sie überhaupt Meinungen zu allem Möglichen haben sollen. Zur Regierung, zu einer neuen Seife, zu aktuellen Kinofilmen. Das war alles andere als selbstverständlich, wie der berühmteste Meinungsforscher, der Amerikaner George Gallup, im Jahre 1940 schrieb: ‚Der Bauer, der Arbeiter, der Diener muss sich politisch so artikulieren wie ein Unternehmer oder ein Experte.’ Das hatte zuvor niemand von den ‚einfachen Leuten’ verlangt. Erst die Meinungsumfragen machten die Bürger zu Menschen mit Meinungen. Die Messung erzeugt das Gemessene.“
Christoph Kucklick: Die granulare Gesellschaft, Berlin 2016, S. 24f.
Die parlamentarische Demokratie proklamiert in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Selbstbeschreibung das Bild politisch vielseitig interessierter, sich laufend aktuell informierender Bürgerinnen und Bürger, die sorgfältig an ihrer politischen Meinung feilen. Dieses Bild hat mit den Realitäten des Alltagsverhaltens nicht viel zu tun — was nicht gegen die Leute spricht, die genug damit zu tun haben, irgendwie über die Runden zu kommen. Es spricht nur für die Betriebsblindheit des politischen Geschäfts, das wiederum nicht betriebsblinder ist als jedes andere Geschäft. Politisch engagierte Menschen werden Wahlergebnisse nie begreifen.
Die alte SPD
Bruchstück 3 Malu Dreyer, die alte und neue Ministerpräsidentin, strahlte, fast das Ergebnis von 2016 erreicht, die CDU weit hinter sich gelassen und erneut ein klarer Regierungsauftrag. In Stuttgart stand für den SPD-Spitzenkandidaten Andreas Stoch am Wahlabend kurz sogar eine grün-rote Koalition im Raum, es könnte immer noch für eine Ampel-Allianz reichen, und in Berlin träumte sich Kanzlerambitionär Olaf Scholz das Abschneiden seiner Genossen in den beiden Südwest-Ländern zurecht: Es gebe in Deutschland Mehrheitsoptionen jenseits der CDU/CSU.
Wer bei den Wahlanalysen jedoch genauer hinschaut, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Schwäche der Union vieles gnädig überdeckt und dass die SPD ihr eigenes Tal der Tränen noch längst nicht durchschritten hat: In Rheinland-Pfalz konnte die Partei trotz des überlegenen Erfolgs und ihren 35,7 Prozent in absoluten Zahlen 80.000 Stimmen weniger bei sich verbuchen als vor fünf Jahren. Malu Dreyer hat ihren Sieg vor allem den Frauen und da insbesondere den über 60jährigen zu verdanken. 45 Prozent der Stimmen gewann sie in dieser Altersgruppe bei den Frauen. Überhaupt wählten, so die Analyse von Infratest dimap, 45 Prozent der Rentnerinnen und Rentner SPD oder zugespitzt formuliert: Je älter, desto SPD.
Ganz anders die politische Attraktivität der früheren Zukunftspartei bei den Jungwählern: Desaströse 24 Prozent der 18- bis 24jährigen fanden die Sozialdemokratie und ihr Angebot noch attraktiv. Alarmierend für Dreyer und ihre Strategen muss vor allem sein, dass das zehn Prozentpunkte weniger waren als vor fünf Jahren. Die Analyse lässt erahnen, welche Kalamitäten den Genossen bevorstehen, wenn die nächste Spitzenkandidatin nicht mehr Malu Dreyer heißt. Der Trend deckt sich mit den letzten Landtagswahlen in Bayern, Hessen oder Nordrhein-Westfalen: Junge Menschen erwarten nicht mehr viel von der Sozialdemokratie, die Partei vermag bei den jüngeren Generationen nicht mehr zu glänzen; was einst ganz anders war.
Olaf Scholz müsste es angst und bange werden
Noch desolater ist die Lage in Baden-Württemberg. 11,0 Prozent — das schlechteste Ergebnis jemals bei einer Landtagswahl, noch einmal 144.000 Stimmen weniger als 2016, wo soll da der Rückenwind für mögliche Sondierungsgespräche herkommen. Auch in Baden-Württemberg hievten allein die Senioren die Partei über die Zehn Prozent-Hürde — etwa 15 Prozent der Rentnerinnen und Rentner wählten SPD.
Ähnlich dramatisch sind die Ergebnisse in den Städten ausgefallen. Jahrzehntelang waren die urbanen Zentren sozialdemokratische Hochburgen, Willy Brandt und auch noch Gerhard Schröder legten dort die Grundlagen für ihre Erfolge. Das ist längst vorbei. In Freiburg kam die SPD am vergangenen Sonntag noch auf 16,1 Prozent (Grüne: 49,1 Prozent), in Tübingen auf 13,3 Prozent (Grüne: 45,1), in der Landeshauptstadt Stuttgart gar nur auf 11,0 Prozent (Grüne: 39,0). Die Grünen haben der SPD — nicht nur in Baden-Württemberg — den Rang als Großstadtpartei in einer Preisklasse abgelaufen, dass Olaf Scholz angst und bange werden müsste. Auch bei der Kommunalwahl in Hessen am vergangenen Wochenende haben die Grünen die SPD beispielsweise in Frankfurt deutlich distanziert: Die Grünen verbuchten dort Ende 25,6 Prozent, die Sozialdemokraten nur magere 16,6 Prozent.
Das Phänomen ist nicht neu. Bei allen Wahlen der letzten Jahre war für die SPD in den Städten nicht mehr viel zu gewinnen. Es gehört in den vergangenen 20 Jahren zu den gravierendsten Versäumnissen der verschiedenen SPD-Führungen, diesen Trend komplett verschlafen und keinerlei Gegenstrategien entwickelt zu haben. Keine Antworten auf die kulturellen und habituellen Bedürfnisse der modernen Großstädter zu haben, ist ein dramatisches SPD-Defizit. Auf die Schnelle lässt sich das nicht beheben, weshalb derzeit auch wenig für einen Kanzler Olaf Scholz spricht.
Die effektivste Partei
Bruchstück 4 Ist die Klimaliste die effektivste Partei Deutschlands? Reichen 0,9 Prozent um einer anderen Partei endlich Beine zu machen? Die Vorgeschichte: Die Klimaliste kandidierte auch in Baden-Württemberg, um die Grünen `von außen` zu einer härteren Umweltpolitik zu drängen. Die neue Partei freute sich auf bis zu vier Prozent, die Grünen befürchteten es, es wurden dann klägliche 0,9; der Bewegungsforscher Dieter Rucht hatte letzteres prognostiziert. Im bruchstücke-Interview sah er „nur magere Erfolgsaussichten für eine weitere grüne Partei.
Trotzdem: Robert Habeck meinte in einer Talkrunde am Wahlsonntagabend, es sei doch „ein Treppenwitz der Geschichte“, wenn jetzt ausgerechnet diese radikalen Klimaschützer die Option auf rotgrüne Regierung verhinderten, weil sie die letzten entscheidenden Stimmen dafür raubten; vermutlich die absolute Lieblingskonstellation von Kretschmann, wie allgemein bekannt. Es kam dann anders. Aber: Wäre es so gekommen, wer trüge dann die Schuld an dieser Tragik einer versäumten Gelegenheit? Die neue Partei? Nein, eher doch der alte und neue grünlich angehauchte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der vor kurzem noch mit Verve für Subventionen an die (auch in Corona-Zeiten sehr gut verdienenden) Autokonzerne warb, damit die ihre Verbrenner-Autos günstiger loswerden. Hoffentlich lassen sich die Klimalistler nicht entmutigen und treten auch zur Bundestagswahl an, um ihrer Aufgabe, die Grünen in die richtige Richtung zu drücken, nachzugehen; eventuell in einem Klima-Bündnis mit anderen kleinen Parteien. Sonst wird das nichts.
Am Zerbröseln
Bruchstück 5 Die Wahlergebnisse passen mehr und mehr zu den Wirtschaftsdaten. Ein Blick auf Wohlstand und Alltag der Menschen, verteilt in dieser Republik: In Hamburg erwirtschaftet jeder Einwohner pro Jahr — im Durchschnitt, ohne Berücksichtigung der Preissteigerungen, also nominal —, knapp 65.000 Euro. Im Regierungsbezirk Stuttgart sind es knapp 52.000 Euro, in Brandenburg knapp 30.000 und in Mecklenburg-Vorpommern liegt die Wertschöpfung bei 27.000 Euro. Da geht es nicht um ein paar Prozente mehr oder weniger, sondern um grundsätzlich verschiedene Wirtschafts- und damit Lebenswelten. Dazu passen politische Trends: Bei dieser Landtagswahl erreichten die Grünen in manchen Stadtteilen des badischen Freiburg bis zu 50 Prozent; die AfD verlor in Baden-Württemberg allerorten und blieb knapp oder deutlich unter zehn Prozent. Die nächste Landtagswahl ist in wenigen Monaten in Sachsen-Anhalt: Dort erreichte die AfD bei der letzten Wahl in 2016 gut 24 Prozent, die Grünen gerade mal 5,2.
In der Schwebe
Bruchstück 6 Olaf Scholz schwingt, swingt, hebt ab. Unterstellen wir, die gute Laune ist nicht drogenbasiert, dann kann es sich nur um Autosuggestion handeln. Ein Mensch trainiert sein Unbewusstes, wiederholt und wiederholt und wiederholt Wünsche, bis sie zu Überzeugungen werden, die sein Verhalten positiv prägen. Schon am Wahlabend bei Anne Will sagte der SPD-Kanzlerkandidat unvermittelt: „Die SPD ist eine fröhliche Partei“. Gut zu wissen. Am Morgen danach hatte er keinen schweren Kopf, er schwebte, strahlte im Willy Brandt-Haus seinen Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans, die Wahlsiegerin Malu Dreyer und die Kameras an, diese gestrigen Wahlergebnisse verliehen seiner SPD „Flügel“; natürlich „besonders“ das von Dreyer. Also beflügelt auch das Ergebnis in Baden-Württemberg: elf Prozent, noch einmal 144.000 Stimmen weniger als 2016.
Auch Andreas Stoch, dortiger Spitzenkandidaten, schwebt. Er redet den halben Wahlabend von Tatkraft und Regieren. Der Nachrichtenagentur dpa teilte er mit, wenn die SPD mitregiere, dann sei das ein starkes bundespolitisches Signal. Minuten nach seinem Stimmenwurf in die Urne twitterte er vom Wahllokal aus: „Meine Stimme für mehr Tatkraft in der Regierung habe ich heute Vormittag in meinem Wahllokal in Heidenheim abgegeben.“ Klar, ist doch naheliegend, was will man anderes machen als regieren, mit elf Prozent. Eine ausgeklügelte Strategie, die Olaf Scholz mit 16 Prozent zum Kanzler macht.
Die Stabübergabe, oft verpatzt
Bruchstück 7 Eine Reihe von Ministerpräsidenten, auch Malu Dreyer, SPD, in Mainz, werden die Legislaturperiode kaum im Amt beenden. Winfried Kretschmann, Grüner, hat in Stuttgart längst begonnen, Ausschau nach einem Nachfolger (oder einer Nachfolgerin) zu halten. Ungleich mehr steht Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen unter Druck: Er will Kanzlerkandidat der Union werden. Sollte es so kommen, muss er in kürzester Zeit einen neuen Ministerpräsidenten auf den Schild heben; der obendrein 2022 auch noch die Landtagswahl gewinnen soll. In Hessen hat Volker Bouffier, CDU, bereits angedeutet, dass er über ein Ende seiner politischen Laufbahn nachdenkt.
Die Nachfolge gut vorzubereiten, ist eine Herausforderung. Denn empirisch betrachtet ist die Gefahr des Scheiterns hoch. Selbst Angela Merkel, die einen sicheren politischen Instinkt besitzt, der obendrein viel gelungen ist in ihrem politischen Leben, versagte. Die von ihr favorisierte Kandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer gab bereits nach gut zwei Jahren auf.
Auch in den Bundesländern ist das Scheitern die Regel, nicht die Ausnahme. David McAllister scheiterte 2013 in Niedersachsen als Nachfolger von Christian Wulff. Stefan Mappus verspielte 2011 in Baden-Württemberg das Erbe von Günther Oettinger, und im Saarland hatte Reinhard Klimmt 1999 vergeblich versucht, Oskar Lafontaine nachzufolgen. Gerhard Schröder wurde in Niedersachsen dreimal hintereinander zum Ministerpräsidenten gewählt, seine Nachfolger Günter Glogowski und Sigmar Gabriel hielten sich jeweils nur kurz im Amt. . Und wer kennt noch Christoph Ahlhaus, der 2012 in Hamburg einen Anlauf nahm, es dem Dreifach-Sieger Ole von Beust als Bürgermeister gleichzutun? Er hielt sich gerade zwei Jahre im Amt.
Tatsächlich gehört für Kanzler und Ministerpräsidenten die erfolgreiche Stabübergabe, der eigene Abschied und der Wechsel an einen Nachfolger, eine Nachfolgerin, zu den heikelsten Operationen. Weil Amtsinhaber sich selten darüber gründlich Gedanken machen. Weil sie auf ihr Amt und sich selbst fokussiert sind, weil Förderung und Pflege von Talenten und potenziellen Nachfolgern selten zu ihrer Kernkompetenz zählt. Und weil sie sich natürlich nicht die Konkurrenz im eigenen Stall heranzüchten wollen.
Strategisch oder zufällig
Nur dann und wann gelingt es: Roland Koch, CDU, hat in Hessen Volker Bouffier ein bestelltes Feld hinterlassen. Gleiches gelang Olaf Scholz, SPD, in Hamburg mit dem Übergang zu Peter Tschenscher. Ein Meisterstück lieferte Kurt Beck 2012 in Rheinland-Pfalz, als er Malu Dreyer überraschend zu seiner Nachfolgerin ausrief — die seither erfolgreich im Amt ist, am vergangenen Wahlsonntag erneut reüssierte.
Ein Rezept für gelungene Staffelwechsel gibt es nicht. Natürlich sind Bekanntheit, gar Popularität des Neuen immer von Vorteil. Natürlich sollte der Übergang rechtzeitig erfolgen, besser drei als nur zwei Jahre vor einer Wahl. Damit der oder die Neue noch Akzente setzen und seinen Amtsbonus auch ausspielen kann. Garantien sind das keine. So verdient diese Frage in gleich mehreren Bundesländern ins Scheinwerferlicht gerückt zu werden: Gehen die bisherigen Wahlsieger und Amtsinhaber die herausfordernde Frage der Nachfolge strategisch an? Oder ergibt sich die Antwort darauf mehr zufällig denn überlegt. Mit der dann sehr hohen Chance des Scheiterns.