Die Arbeit-anti-Kapital Rhetorik, ein traditionslinkes Dilemma

Foto: Martin Heinlein auf Flickr CC VON 2.0

Nach dem katastrophalen Wahlergebnis der Partei Die Linke bei der deutschen Bundestagswahl im September 2021 setzen die großen Abgesänge auf linke Politik ein – oft mit oberflächlichen, schiefen Texten. Davon hebt sich die Argumentation von Horst Kahrs in dem bruchstücke-Podcast „Die Linke vor dem Absturz“ erfreulich ab, und trotzdem denke ich, dass noch gründlicher gebohrt werden sollte. Die Probleme der Traditionslinken, von der Die Linke ein Unterfall ist, sind älter und liegen sehr tief. Sie hören bei dem politisierten Sprachgebrauch, der Arbeit und Kapital einander gegenüberstellt, bestimmt nicht auf, aber sie beginnen damit.

Die Redeweise Arbeit gegen Kapital macht eine Differenz auf, die auf einer Ebene liegt mit der Unterscheidung Fahrrad gegen platte Reifen, Haus gegen gefangene Zimmer, Wald gegen kahle Bäume. Die besondere Form eines Teilphänomens des Ganzen wird zum Konfliktgegner erklärt. Die Traditionslinke hat sich immer schwer damit getan, den Eindruck zu vermeiden, dass sie gegen Fahrräder, Häuser und Wälder ist, obwohl sie bei Lichte besehen doch nur bessere Reifen, anders geschnittene Zimmer und schönere Bäume will. Verlassen wir die Metaphern, kommen wir zum Eingemachten des traditionslinken Dilemmas.

Ausbeutung – die präzise Bezeichnung

Man liegt wohl nicht ganz daneben, wenn man unter wirtschaftlichem Kapital das Geld versteht, das in den Leistungsprozess der Arbeit („in die Produktion“ wie auch in Dienstleistungen) mit dem Ziel und Zweck investiert wird, dass der Erlös der verkauften Produkte und Dienste den Wert der Investition möglichst (weit) übertrifft. Es lässt sich auch allgemeiner ausdrücken und zwar am leichtesten englisch: Kapital ist nicht einfach nice to have, sondern in ihm steckt immer auch ein have to. Kapital, das gilt auch für soziales und kulturelles Kapital, ist ein Haben und Sollen zugleich, ein Besitz, der die Aufforderung enthält, mehr daraus zu machen.

Ökonomisch klappt es mit der Vermehrung, wenn sich hohe Verkaufspreise und niedrige Investitionskosten realisieren lassen. Mit dem Verkaufspreis gestaltet es sich oft schwierig, weil die Kunden nicht blöd sind und die Konkurrenz nicht schläft. Aber Kosten lassen sich niedrig halten, solange Arbeits- und Naturkräfte ausgebeutet werden können. Seit dem real existierenden Sozialismus ist bekannt, dass auch Staaten Arbeits- und insbesondere Naturkräfte ausbeuten lassen können. Jedenfalls hat die Ausbeutung, und eine präzisere Bezeichnung findet sich im deutschen Wortschatz nicht, inzwischen Ausmaße, die nach wissenschaftlichen Diagnosen eine große sozial-ökologische Transformation notwendig machen, um die Voraussetzungen irdischen Lebens zu erhalten.

Nun gibt es keine Arbeit ohne Investitionen in den Leistungsprozess und seien es „nur“ die geistigen und körperlichen Kräfte eines Mannes, der ausnahmsweise Hausarbeit verrichtet. Aber es existiert ein Unterschied zwischen solchen Investitionen, die nur dann getätigt werden, wenn sie möglichst großen Gewinn versprechen, und anderen Investitionen, die alleine oder wenigstens vorrangig dem Zweck dienen, einen bestimmten Bedarf zu befriedigen. Auch solche bedarfsorientierten Investitionen können wirtschaftlich oder unwirtschaftlich eingesetzt werden, das heißt, man kann das Verhältnis von Aufwand und Ertrag wichtig nehmen oder eben nicht. „Wichtig nehmen“ bedeutet noch nicht, dass der Ertragsüberschuss das ausschlaggebende Kriterium dafür ist, ob überhaupt investiert wird.

So viel Differenzierung muss leider sein, wenn wir auf der Möglichkeit bestehen wollen, dass man wirtschaftlich arbeiten kann, ohne kapitalistisch zu arbeiten. Wirtschaften heißt im Kern vorzusorgen, nämlich so zu arbeiten, dass der gegenwärtige Bedarf gedeckt, aber auch die zukünftige Versorgung möglichst sichergestellt ist.

Keine Wirtschaft ohne Arbeit

Im Grunde fällt die Traditionslinke mit ihrer Arbeit-anti-Kapital-Rhetorik auf die bürgerlich-liberale Redeweise von „Wirtschaft und Arbeit“ herein, die ja so tut, als ob es Wirtschaft ohne (lebendige und/oder technische) Arbeitsleistungen gäbe, als ob Wirtschaft und Arbeit zwei unabhängig voneinander operierende Handlungsfelder wären. Arbeit ist ohne Wirtschaft möglich, aber Wirtschaft nicht ohne Arbeit (das bekommt das abgedrehte Finanzsystem immer wieder zu spüren).

Mindestenst seit es Landwirtschaft gibt, wird Arbeit bewirtschaftet mit allen daraus resultierenden Produktivitäts- und sich anschließenden Wohlstandszuwächsen; aber auch mit allen damit verbundenen Möglichkeiten, den einen die Leistungen aufzubürden, während andere die Erträge genießen. Unter der Maxime „ora et labora“ ist es dem europäischen Adel ein ganzes Mittelalter lang gelungen, eine solche „Arbeitsteilung“ als Gottes Wille im herrschenden Weltbild zu verankern. – Diese Zusammenhänge treten besser hervor, wenn der Arbeitsbegriff nicht auf seine Leistungskomponente reduziert, sondern Arbeit verstanden wird als Komposition aus Bedarf, Leistung und Gebrauch/Konsum. Aber das nur nebenbei, etwas ausführlicher findet es sich in dem bruchstuecke-Beitrag „Arbeit unter der Regie des Geldes, leben im Bann der Arbeit“.

Geld, das zentrale Kommunikationsmedium

Ich bin ziemlich sicher, dass viele Linke, die vom Grundkonflikt zwischen Arbeit und Kapital reden, wissen und meinen, dass es um eine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit geht, die gerne wirtschaftlich funktionieren, aber eben nicht, oder zumindest nicht auf den wesentlichen Bedarfsfeldern, kapitalistisch praktiziert werden soll. Aber es gelingt der Traditionslinken hervorragend, den Eindruck zu erwecken, als sei sie überall dort gegen „die Wirtschaft“, wo sie gegen eine kapitalistische Wirtschaftsweise auftritt. In einer Gesellschaft, die das Geld zu ihrem allerwichtigsten Kommunikationsmedium erkoren hat, die über Geld inzwischen die meisten Zugänge nicht nur zum Angenehmen im Leben, sondern auch zum Lebensnotwendigen regelt, kann schon das alleine Böse enden, nämlich genau dort, wo „Die Linke“ jetzt gelandet ist.

Aber es kommt eben noch die kulturelle Dimension hinzu, dass unsere Gesellschaft inzwischen voll eingestiegen ist auf diesen prinzipiellen “kapitalistischen” Anspruch, aus jedem Haben zugleich ein Sollen zu machen. Ob jemand Geld, Wissen, Schönheit, Aufmerksamkeit oder Macht hat, es ist begleitet von der Aufforderung, mehr daraus zu machen. Der Begriff dafür lautet Karriere. Vor allem deshalb geht die Karriere der Traditionslinken so tief in den Keller.

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Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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