„Putinversteher“ – ein Wort der Gegenaufklärung  

Etwas und Jemanden verstehen zu können und verstehen zu wollen, ist eine Grundhaltung der Aufklärung. Im Begriff „Putinversteher“ wird das Verstehen verächtlich gemacht.
Wer aber das Verstehen verächtlich macht, versteht das Verstehen nicht. Diese Unaufgeklärtheit wird auch nicht entschuldigt oder gerechtfertigt durch den brutalen Zivilisationsbruch des russischen Angriffskrieges. Wer in der Diskussion über den Ukrainekonflikt diejenigen, die nicht der eigenen – gelegentlich obsessiven – Befindlichkeit das Wort reden, herabsetzend als “Putinversteher” bezeichnet, kehrt selbst einer zivilisatorischen Errungenschaft den Rücken. Grundsätzlich steckt hinter dem Sprachgebrauch „Putinversteher“ kein kluger Kopf, sondern ein unaufgeklärtes bzw. die Aufklärung herabsetzendes Denken.

Thomas Weber
Thomas Weber (thw) promovierte in Klassischer Philologie, arbeitete über 30 Jahre in unterschiedlichen Funktionen in Landes- und Bundesministerien, von 2009 bis 2024 als Referatsleiter "Nachhaltigkeit" im Bundesministerium der Justiz.

5 Kommentare

  1. À propos Sprache: bislang prägen Kriege die gesamte Geschichte der europäischen “Zivilisation”. Der Begriff “Zivilisationsbruch” wurde in jüngsten Zeit allein für den Holocaust bzw die Shoa gebraucht, ausgehend von Dan Diner. Seine Steigerung im Adjektiv “brutal” entwertet die sprachlichen Abgrenzungen und das ist deutlich schlimmer als “Putinversteher”.

    1. Um Missverständnissen vorzubeugen:
      Mein “Danke!!” bezog sich auf den Beitrag von Thomas Weber.
      Das hat sich offensichtlich zeitlich mit dem Kommentar von Martin Dieckmann überschnitten.
      Ich will damit nicht den Einwand von M. Dieckmann einfach vom Tisch wischen, halte aber die Kritik an dem abwertenden Gebrauch des Worts “Putin-Versteher” (oder auch “Russland-Versteher”) für berechtigt.
      Ich selbst versuche mich übrigens – bei entschiedener Ablehnung z.B. des 100-Milliarden-“Sondervermögens” – gleichwohl als “Scholz-Versteher”.

  2. Kriege „prägen die gesamte Geschichte der europäischen ‚Zivilisation‘“, schreibt Martin Dieckmann. Unterbrechen Kriege das zivilisierte Leben oder sind sie dessen integrales Element? In meinem Verständnis sind Kriege mindestens Zivilisationsverluste, Angriffskriege Zivilisationsbrüche.
    Unter den gesellschaftlich relevanten Kommunikationsmedien wie Geld, Macht, Liebe, Wahrheit etc. sticht Sinn hervor, weil wir nichts denken und nichts sagen können, ohne uns in einem Bedeutungsgewebe zu bewegen. Was macht die Besonderheit von Sinn aus? Die Erläuterung, die mir am meisten einleuchtet, unterscheidet die je aktuelle, im momentanen Kontext brauchbare Bedeutung von den potentiellen anderen Bedeutungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
    Diesen Unterschied auszuhalten: Um die aktuell brauchbare und gültige Bedeutung zu streiten und gleichzeitig zu respektieren, dass andere zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen andere Bedeutungen für zutreffend(er) halten, das scheint mir die große Kunst zu sein. Sie zu beherrschen, ist für mich ein Stück Zivilisation. Lasse uns weiter streiten. In Kriegszeiten, wenn es wie in der Ukraine um Mord, Totschlag und Überleben geht, ist es auch in der öffentlichen Kommunikation verdammt schwer, zivilisatorische Minima einzuhalten.

  3. Jeder Krieg ist eine menschliche Tragödie. Der postkoloniale Angriffskrieg Putins ist ein Bruch mit dem Völkerrecht und dem gesamten internationalen rechtlichen und humanitären Regelwerk der Zeit seit dem zweiten Weltkrieg. Begriffe wie “brutal” und “Zvilisationsbruch” tragen eher zur Verwischung der Dimensionen bei als zur Klärung.

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