Moralische Abrüstung dringend empfohlen

Bei der Bewertung des Ukrainekrieges beobachte ich zwei Kategorienfehler.
Erstens wird ein zwischenstaatlicher Krieg mit den Kategorien einer innerstaatlichen Ordnung (Recht, Werte, Demokratie) gewertet. Die internationale Politik zeichnet sich aber gerade durch das Fehlen einer zentralen Autorität mit Gewaltmonopol aus. Das Anrufen von Normen und Idealen bleibt in einem anarchischem Raum aber ohnmächtig.
Zweitens ist das Hauptmotiv dieses Krieges die Weltordnung. Russland (und indirekt China) fordern die Pax Americana offen heraus und wollen eine neue Weltordnung. Gelingt es den USA nicht, ihre Hegemonie zu verteidigen, ist die Ordnung (die manche je nach Standpunkt “liberale Weltordnung” nennen, andere “amerikanisches Imperium”) der letzten 30 Jahre zu Ende. Damit endet aber nicht nur die Rolle der USA als Weltpolizist, sondern auch die völkerrechtlichen Normen, multilateralen Institutionen und universellen Werte stehen zur Disposition. Das Beharren auf diesen Prinzipien der liberalen Weltordnung verkennt, dass exakt darum gekämpft wird.

Aus diesen Kategorienfehlern entspringt die Gefahr, der Ukraine falsche Signale zu senden. Wenn sich Washington, Moskau und Peking auf einen geopolitisch tragfähigen Kompromiss einigen, endet die Unterstützung der Ukraine, egal wie sehr diese im Donbass und auf der Krim weiterkämpfen will. Missversteht die ukrainische Regierung diese Logik, wird sie das Schicksal der Kurden, Georgier und Afghanen erleiden. Daher empfiehlt sich dringend moralische Abrüstung in der Debatte.

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Marc Saxer
Marc Saxer ist ein politischer Analyst und Autor. Er ist Mitglied der SPD Grundwertekommission. 2021 erschien sein Buch "Transformativer Realismus. Zur Überwindung der Systemkrise".

1 Kommentar

  1. Sehr geehrter Herr Saxer,

    herzlichen Dank für diese hilfreichen Hinweise.
    Ich erlaube mir gleichwohl zwei Anmerkungen:

    Wenn Sie schreiben
    “Damit endet aber nicht nur die Rolle der USA als Weltpolizist, sondern auch die völkerrechtlichen Normen, multilateralen Institutionen und universellen Werte stehen zur Disposition”,
    dann bin ich mit dem bestimmten Artikel vor “völkerrechtliche Normen …” nicht einverstanden:
    Tatsächlich stehen dann völkerrechtliche Normen etc. der “liberale(n) Weltordnung” (oder eben auch des “amerikanische(n) Imperium(s)”) zur Disposition.
    Der bestimmte Artikel suggeriert, dies seien die einzig denkbaren völkerrechtlichen Normen etc.. Das möchte ich ausdrücklich bezweifeln.

    Die zweite Anmerkung bezieht sich darauf, dass wohl nicht nur die ukrainische Führung dem genannten Kategorienfehler unterliegen kann, sondern auch PolitikerInnen bei “uns”.

    In der Konsequenz bin ich aber mit Ihnen 150-%-ig einverstanden.

    Nochmals besten Dank und
    Gruß
    Bernhard Pfitzner

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