„Der Markt hat bei der Kreditvergabe klar versagt“

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„Das Geldwesen ist ein zentraler Ort, an dem Macht ausgeübt wird […] Ein Kreditsystem, das auf Profit basiert, wird immer nur den Leuten Kredit gewähren, die keinen brauchen. Und die Leute, die Kredit brauchen, haben gerade keinen Zugang […] Das wird noch offensichtlicher, wenn wir uns die Herausforderungen der Klimakrise und des Energiewandels vor Augen halten. Diese Lücke zwischen dem, was wir als Gesellschaft erreichen wollen und wo also Kredit hinfließen sollte, und dem, was aus Sicht der Banken am profitabelsten ist, wird immer größer.“ Ein Gespräch über die politische Ideengeschichte des Geldes und was Linke für heutige Kämpfe aus ihr lernen können.

Du hast dich durch die ganze politische Geschichte der Konzeption von Währung gearbeitet, seit Aristoteles. Würdest du sagen, dass das immer schon ein frommer Wunsch war, die Menschen in ein Verhältnis von Gerechtigkeit und gegenseitigem Austausch zu bringen durch Geld?

Stefan Eich: In der ganzen Ideengeschichte des Denkens zum Geld haben ganz unterschiedliche Schulen jeweils ihren Ansatz in Aristoteles wiederentdeckt. Heute wahrscheinlich am stärksten in Vergessenheit geraten ist das Versprechen, Geld könne tatsächlich ein Mittel der Gerechtigkeit sein. Selbst Aristoteles gibt sich nicht der Vorstellung hin, dass dies mit dem relativ neuen Münzgeld, das die meisten griechischen Stadtstaaten selber herausgaben, verwirklicht sei. Dennoch besteht er darauf, dass geldpolitische Entwicklungen eine wichtige Rolle in der Demokratisierung Athens spielten und Geld, richtig genutzt, als Mittel funktionieren kann, politische Gemeinschaften zusammenzubinden.

An diese Vorstellung knüpft die Analogie an, dass Geld eine ähnliche Funktion hat wie Kommunikation. Gibt es außer Aristoteles andere Denker, die diesen kommunikativen Aspekt auch betonen?

Stefan Eich: Bei Aristoteles steht Geld in der Tat in enger Analogie zu Sprache, zu Rhetorik, aber auch zu Recht. Diese Verbindung spielt auch in der Ideengeschichte danach eine Rolle. Recht wie Geld sind nicht durch eine vorgegebene Art der Nutzung definiert, sondern dienen als Kanal oder Medium. Genau wie Recht in den falschen Händen ein Mittel der Tyrannei werden kann, so kann Geld sowohl ein Instrument der Gerechtigkeit als auch ein Mittel der uneingeschränkten Akkumulation und Korruption sein.

Abschaffung des Geldes, eine falsche Faszination

Unter Denker:innen, die versuchen, sich eine bessere Gesellschaft vorzustellen, gibt es aber auch Stimmen für die komplette Abschaffung des Geldes. Denn wenn etwas lange genug immer falsch benutzt worden sei, sei es mehr Arbeit, es neu zu definieren, als es ganz loszuwerden. Dieser Argumentation schließt du dich dezidiert nicht an. Warum ist eine moderne Gesellschaft ohne Geld nicht vorstellbar?

Stefan Eich: Das ist eine Tradition, die sich auch von den Griechen bis heute durchzieht. Die perfekte Stadt Kallipolis in Platons Republik steht ja unter anderem für die Abschaffung des Geldes zumindest für die Wächter, und Thomas Morus schließt an dieses wichtige Beispiel an, wenn er Utopia als ein Land ohne Geld darstellt. Die gesamte utopische Tradition ist fasziniert von der Abschaffung des Geldes. Aber ich glaube, diese Fantasie führt uns in die Irre.
Schon bei Platon ist bei genauerer Betrachtung nie das Geld selber der Ursprung des Übels. Das wahre Problem liegt im Fehlverständnis, das Geld zum Endzweck erhebt. Das ist ein wichtiger Unterschied. Geld als variables Mittel strukturiert gesellschaftliches Zusammenleben und reflektiert in diesem Sinne die Werte der jeweiligen Gesellschaft. Das deckt sich interessanterweise auch mit Debatten um Marx, was denn genau mit dem Geld im Kommunismus passiert. Eng ökonomisch verstanden mag es so erscheinen, dass es dann kein Geld mehr gibt, weil es ja kein Kapital mehr gibt. Aber wenn wir Geld in einem breiteren politischen Sinne verstehen, als ein Mittel, das jegliche gesellschaftlichen Wertvorstellungen – nicht nur die des Kapitals – reguliert, wird es auch nach dem Kapitalismus Geld geben, nur wird dieses Geld eine radikal andere Form und Aufgabe haben.

Damit gehört es zur öffentlichen Infrastruktur, deren Abbau auch auf anderen Feldern zu beobachten ist. Dennoch fällt es mir schwer, Geld auf einer Ebene mit Straßen, Wasserversorgung, Krankenhäusern zu denken.

Stefan Eich: Dabei ist die Idee des Geldes als Infrastruktur schon tief in der politischen Ökonomie angelegt. Adam Smith zum Beispiel beschreibt Geld als eine Straße, durch die Kommerz effizienter fließen kann – und Papiergeld als einen noch effizienteren, aber auch riskanteren »waggon-way through the air«. Genau wie Aaron Sahr bin ich überzeugt, dass diese Analogien sehr produktiv sind und dass wir Geld wieder als zentrales öffentliches Gut verstehen sollten.
Aber Geld ist sogar noch mehr. Im Gegensatz zu einer Straße, einer Brücke, einem öffentlichen Schwimmbad oder selbst einem Kraftwerk macht Geld unser Leben nicht nur effizienter, angenehmer oder einfacher, sondern es macht das politische Zusammenleben überhaupt erst möglich. Ähnlich wie bei Sprache und Recht spielt außerdem bei Geld, anders als beim Straßenbau, die Vorstellungskraft eine ganz interessante Rolle: Ideen, wie denn genau Geld funktionieren sollte, was es erreichen oder nicht erreichen kann, sind Teil der Infrastruktur selbst. Ein Beispiel für diese selbstreflexive Qualität stammt von dem politischen Ökonomen Jonathan Kirschner. Er vergleicht ein Flugzeug mit dem Geldwesen und sagt: »Wenn alle Leute, die im Flugzeug sitzen, davon überzeugt sind, dass es nicht fliegen kann, ist das folgenlos. Ob das Flugzeug abhebt oder nicht, hängt von der Aerodynamik und der Technik ab. Aber wenn alle Leute davon überzeugt sind, dass ein gewisses Geldsystem nicht funktionieren kann, dann funktioniert es nicht.«

Diejenigen, die beispielsweise an der Börse spekulieren, wissen ganz genau, dass Faktoren wie der Verbraucher-Index und das Stimmungsbarometer unmittelbaren Einfluss auf den Wert haben. Das wird sogar in den Börsennachrichten so erklärt. Also, eigentlich ist diese selbstreflexive Qualität des Geldes bekannt, wird aber politisch geleugnet.

Stefan Eich: Die selbstreflexive Qualität des Geldes ist sowohl unser Segen als auch unser Fluch. Deshalb befinden sich Zentralbanken zum Beispiel ganz häufig in der unangenehmen Situation, dass sie die Erwartung des Geldmarktes erfüllen müssen. Wenn sie etwas anderes machen würden, dann gäbe es eine Krise. Das heißt, sie versuchen immer, diese Erwartungen des Kapitals, das ihnen einen Schritt voraus ist, zu erfüllen. Aber gleichzeitig sollte uns das vor Augen führen, dass wir es eben nicht mit einer Situation zu tun haben, wo die Natur von uns irgendwelche Opfer erfordert und wir uns einfach fügen müssen. Sondern wir erfüllen die wahnwitzigen Erwartungen einer gewissen Gruppe von Leuten, die im Finanzmarkt aktiv sind und unsere Zukunft monopolisiert haben.

Repolitisierung des Geldes von links?

Du sagst, die Linken habe es seit Längerem ein bisschen vernachlässigt, sich mit einer politischen Ökonomie des Geldes zu beschäftigen. Mit welchen Folgen?

Stefan Eich: Also, erst mal will ich vorausschicken, dass es sich dabei nicht um einen konstitutiven blinden Fleck handelt, gegen den man nichts machen kann. Ich wollte mit dem Buch auch versuchen, Traditionen auf der linken ideengeschichtlichen Seite aufzudecken, die zeigen, wann genau dieser blinde Fleck entstand und welche Ressourcen es gibt, dem entgegenzuwirken. Denn dessen Konsequenzen sind ziemlich fatal: Bis vor Kurzem zeigten die Linken relativ wenig Interesse an der Politik der Zentralbanken und den vermeintlich technokratischen Regulierungen, die den Finanzmarkt prägen.
Ich glaube, die Finanzkrise 2007/2008 und vor allem auch die dramatische geldpolitischen Reaktion auf Covid im Frühjahr 2020 haben das inzwischen verändert. Man hat gemerkt, selbst wenn alles irgendwie vorbestimmt erscheint, gibt es dennoch Institutionen und Personen, die durchaus Macht haben. Das sind aus meiner Sicht die Ansatzpunkte, an denen eine Linke sich wirklich politisch engagieren sollte, um kreativ darüber nachzudenken, wie man diese Machtpunkte am besten sichtbar machen kann. Das erfordert natürlich politischen Kampf, aber mit der richtigen Strategie zum richtigen Zeitpunkt kann man da durchaus Effekte erzielen.

Europäische Zentralbank in Frankfurt (Foto: Kiefer auf wikimedia commons)

Ganz konkret geht es dann um die schon erwähnten Zentralbanken, die ja eigentlich öffentliche Einrichtungen sind, aber dennoch vollkommen undemokratische Institutionen. Wären die ein vernünftiger Ansatzpunkt für die Repolitisierung des Geldes von links? Oder braucht man noch einen Schritt davor? Eine Art verfassunggebende Versammlung zu Währungsfragen?

Stefan Eich: Diese Aufmerksamkeit gegenüber dem politischen Handeln der Zentralbanken ist wichtig, weil man so überhaupt erst einmal erkennt, dass ein System, das vermeintlich einfach Disziplin von allen erfordert, Raum für politische Entscheidungen hat. Die entweder auf konservative und plutokratische Art getroffen werden können oder eben auf einer demokratischeren, egalitären Basis. Gerade wenn es darum geht, was die Zentralbanken in der Krise machen und wie sie uns aus der Inflation führen, sind diese Momente enorm wichtig für die Herstellung politischen Bewusstseins: zu erkennen, dass es da jemanden gibt, der einfach Nullen in einem Computer eintippen kann und dann ist das echtes Geld. Aber auch zu erkennen, dass Arbeitslosigkeit ganz bewusst herbeigeführt wird, um vermeintlich die Inflation zu bekämpfen.
Aus der Einsicht folgt natürlich nicht, dass es einfach ist, das Geldsystem zu demokratisieren oder dass man andere Orte des politischen Konflikts vernachlässigen sollte. Aber das Geldwesen ist ein zentraler Ort, an dem Macht ausgeübt wird.

Bei Brücken und Straßen lässt sich ja noch argumentieren, dass es handwerklich Sinn ergibt, den Bau an den privaten Sektor zu delegieren. Aber bei Geld ist es eigentlich überhaupt nicht gerechtfertigt, oder?

Die Abhängigkeit vom Finanzwesen wird immer größer

Stefan Eich ist Assistant Professor für Politikwissenschaften an der Georgetown University in Washington, D.C.

Stefan Eich: Der größte Teil des Geldes, das wir tagtäglich benutzen, wird nicht durch den Staat geschaffen, sondern durch private Banken. Das ursprüngliche Versprechen dieser Privatisierung lautete, sie seien besser in der Lage, zu entscheiden, wer Kredit erhalten sollte. Diese Annahme sollte man heute in Frage stellen. Zumindest in den USA und auch zunehmend in Europa hat sich das Bankensystem von den Leuten entfernt, die tatsächlich Kredit brauchen und sich stattdessen dem Finanzmarkt zugewandt. Ein Kreditsystem, das auf Profit basiert, wird immer nur den Leuten Kredit gewähren, die keinen brauchen. Und die Leute, die Kredit brauchen, haben gerade keinen Zugang. Wer sowieso schon mit Eigenkapital bei der Bank auftaucht, bekommt die besten Konditionen. Das heißt, das ganze System ist nicht nur schlecht darin, die ursprüngliche öffentliche Leistung der Kreditvergabe zu erfüllen, es erreicht genau das Gegenteil. Das wird noch offensichtlicher, wenn wir uns die Herausforderungen der Klimakrise und des Energiewandels vor Augen halten. Diese Lücke zwischen dem, was wir als Gesellschaft erreichen wollen und wo also Kredit hinfließen sollte, und dem, was aus Sicht der Banken am profitabelsten ist, wird immer größer. Der Markt hat bei der Kreditvergabe klar versagt.

Haben wir einen Zustand erreicht, wo sich die politische Klasse selbst in ihren progressiven Ausprägungen gar nicht mehr vorstellen kann, wie sich Geld als öffentliches Gut grundsätzlich anders handhaben ließe?

Stefan Eich: Die Tragik liegt darin, dass Geldpolitik nur noch im Sinne eines technokratischen Intervenierens und Krisenmanagements verstanden wird. Darüber haben monetäre Ökonomen seit der Finanzkrise enorm viel gelernt. Aber das hat einen paradoxen Effekt. Genau weil Zentralbanken inzwischen so gut darin sind, Liquiditätskrisen zu managen, wird die Abhängigkeit vom Finanzwesen immer größer. Egal wie groß das Risiko, wenn etwas schiefgeht, kommt die Zentralbank zu Hilfe und bezahlt die Rechnung. Gleichzeitig werden so die politischen Vorbedingungen für wirkliche strukturelle Debatten untergraben. Die Krise ist immer vertagt, wir sind gefangen in einem Prozess, in dem unser Zeithorizont auf die nächsten sechs Monate geschrumpft ist. Erst mal Inflation bekämpfen und dann sorgen wir uns um das Klima und um fundamentale Fragen zum globalen Geldsystem in ein paar Jahren. Genau das führt dazu, dass die Debatte immer technischer wird und immer weniger mit einem wirklichen politischen Diskurs zu tun hat.

Das Gefühl, dass es mit dieser technokratischen Geldpolitik so nicht mehr lange gut gehen kann, teilen ja viele Leute ohne großes ökonomisches Vorwissen. Daraus entsteht leicht so eine nostalgische Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit mit Euroskepsis, D-Mark, dem Goldstandard. Das wird dann Teil eines rechten Diskurses, so dass man als Linke geneigt ist, bestimmte unzulängliche EZB-Maßnahmen lieber zu verteidigen und deswegen ist es aus meiner Sicht enorm wichtig, das Terrain weder den Technokraten noch den reaktionären Nostalgikern zu überlassen, sondern wirklich als demokratische Plattform neu zu entdecken.

Trauen wir uns das zu? Alle möglichen Dinge sind wegen der Kriegsführung, wegen der Sanktionen knapp, werden teurer, es werden schon wieder unzulängliche Rettungspakete geschnürt. Wenn wir demokratisches Geld hätten, was könnten wir jetzt stattdessen anders machen?

Stefan Eich: Ich habe natürlich keine Lösung für den Ukrainekrieg. Aber in Krisen ist es möglich, Rettungspakete zu schnüren, die sowohl fiskalpolitisch als auch irgendwie bürokratisch eigentlich unmöglich sein sollten. In der zweiten Phase einer Krise wird dann immer schnell erklärt, warum eine gewisse Lösung auf Dauer nicht möglich ist. Ich glaube, das ist der Moment, aus einem demokratischen Verständnis von Geldpolitik heraus zu fragen: »Warum gibt es diese Krisenmaßnahmen nur in Kontexten, in denen es gewissen Leuten hilft, aber nicht in Situationen, in denen andere das genauso bräuchten?« In diesem Moment lässt sich aufzeigen, was tatsächlich möglich ist: Zentralbanken können auf diese Weise handeln, das Geldwesen könnte so und so umstrukturiert werden.

Es ist nicht so, dass wir nur vom Finanzmarkt abhängen, dieser uns aber gar nicht braucht. Ganz im Gegenteil. Banken brauchen Konsument:innen und vor allem den Staat, der für das Funktionieren des Finanzwesens essenziell ist. Das ist der Punkt, wo man mit Mut und Selbstbewusstsein diesen Bluff einfach herausfordern sollte, um zu sagen: »Wir lassen uns nicht mehr erpressen.«

Unter dem Titel „Wir lassen uns nicht länger erpressen“ erschien der Beitrag zuerst in der Oktober-Ausgabe (Thema: Geld) von OXI. Wirtschaft anders denken.

Sigrun Matthiesen
Sigrun Matthiesen ist freie Journalistin in Berlin und beschäftigt sich häufig mit gesellschaftspolitischen Themen. Sie arbeitet unter anderem als Redakteurin für die Monatszeitung „OXI – Wirtschaft anders denken“ und betreibt die Textagentur "Worte und Geschichten”.

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