“Irgendwie doof”

Screenshot: ZDF heute journal

Der 29. März 2023 war ein Mittwoch; am Abend dieses Tages, genauer gesagt um 22:01 Uhr, gab es eine gute Gelegenheit, der interessierten Öffentlichkeit Einblick in den schwierigen Weg zum Schutz des Klimas zu geben.
In den Tagen zuvor hatten die Spitzen der drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP lange Verhandlungen geführt, um regierungsfähig zu bleiben. Waren die Verhandlungen für den Klimaschutz und die ökologische Transformation der Gesellschaft ein Erfolg oder ein Misserfolg? Die ZDF-Moderatorin interessierte etwas anderes mehr.

Einig wurden sich die drei Regierungsparteien schließlich, dass beim Bau von Windkraftanlagen und vor allem bei der Sanierung rund 4000 maroder Brücken ein schnelleres Tempo erreicht werden muss. Die Koalition hatte sich auf eine Liste von 144 „vordringlichen“ oder „fest disponierten“ Autobahnprojekten geeinigt, um die Engpässe, die den Bürgerinnen und Bürgern seit Jahren die Nerven raubten, zu beseitigen. Zusätzliche Einnahmen aus der Lkw-Maut sollen für die Modernisierung des Schienennetzes verwendet werden. Dafür benötigt die Deutsche Bahn bis zum Jahr 2027 schätzungsweise 45 Milliarden Euro. Bei der Erneuerung von Heizungsanlagen wurde die Bevölkerung nicht verpflichtet, sie ausschließlich durch Wärmepumpen zu ersetzen. Künftig sollen auch fossile Heizungen erlaubt sein, sofern sie etwa mit Wasserstoff betrieben werden können; und für bestimmte Alters- und Einkommensgruppen soll es Ausnahmen geben.

Pfadabhängigkeiten und Interessenlagen

Das Ergebnis dieses Verhandlungsmarathons war der Modernisierungspakt für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung. Bei der Arbeit daran hatten sich die konträren Interessenlagen in ihrer Macht und Härte gezeigt. Für aufgeschlossene Bürgerinnen und Bürger waren in diesem Moment die Mühen alltäglichen Regierens für eine Transformation und Zeitenwende greifbar.

Sind die Verhandlungsergebnisse für den Klimaschutz und die ökologische Transformation der Gesellschaft ein Erfolg oder ein Misserfolg? Die Antwort hängt davon ab, wie man die realen Kräfteverhältnisse einschätzt. Immerhin wurde die Pfadabhängigkeit der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland erkennbar. Sie zeigte sich in der gesellschaftlichen Bedeutung der Automobilindustrie, ja der Industrie insgesamt; und sie zeigte sich in der Bedeutung der Alltags- und Zukunftserwartungen der Bevölkerung. Wie gehen Politikerinnen und Politiker, die sich tagein tagaus für eine nachhaltige Entwicklung engagieren, mit diesen Kräften um?

Für Fragen dieser Art hatte sich der Wirtschafts- und Umweltschutzminister dem ZDF in einem Interview zur Verfügung gestellt.1 Ein maßgeblich an den Verhandlungen beteiligter und für das Ergebnis verantwortlicher Politiker hätte den Fortschritt beim Klimaschutz und die Qualität der Kompromisse erläutern können. Habeck muss dazu wohl bereit gewesen sein, denn er sagte am Schluss des Interviews: „Ist es nicht vielmehr so, dass irgendjemand mal einen halben Schritt auf die anderen zugehen müsste?“ und „dass man vielleicht sogar fast stolz darauf sein kann, dass wir die Kraft haben, eine Regierung wieder mit zum Arbeiten zu bringen?“

Aktuelle parteipolitische Scharmützel

Die Moderatorin Marietta Slomka hatte hingegen das Gespräch mit einer anderen Frage eröffnet: ob die Situation für den Wirtschaftsminister nicht „irgendwie doof“ sei? Immerhin müsse er seiner Partei und ihrer Wählerschaft die Abweichung von der Programmatik und Beschlusslage erklären. Die Journalistin fokussierte die zur Verfügung stehende Zeit – das Interview dauerte sieben Minuten – auf tagesaktuelle Fragen: Wer waren die Gewinner? Und was sagen die (vermeintlichen) Verlierer, also Habecks Anhängerinnen und Anhänger?

Der Minister war bestrebt die Ergebnisse des Koalitionsausschusses auf die Transformationsprozesse zu beziehen. Aber er war dabei nicht sehr präzise, hat von „verhakten Problemen“ gesprochen und darauf hingewiesen, dass die Bundesländer in Wahrheit darüber entscheiden, ob die Autobahnen beschleunigt, geplant oder gebaut werden. Und er hat die eigentliche Bedeutung dieser außerordentlichen Zusammenkunft herausgestellt: dass die vielen Blockaden, die eigentlich entscheidungsreifen Gesetze nicht entscheiden zu können, aufgelöst worden sind.

Die Moderatorin nahm diese diskursiven Fäden nicht auf, sondern machte die Antworträume eng. Sie wiederholte einfach ihre Fragen, oder besser gesagt, ihre in Frageform gefassten Meinungen. Was war „denn die schlimmste Kröte“, die eine der drei Koalitionsparteien hatte schlucken müssen? In Klartext übersetzt: „Die Grünen haben im Koalitionsausschuss am meisten nachgeben müssen! Nicht wahr?“ Oder: „Wenn durch neue Autobahnabschnitte Verbrennermotoren mit 200 Sachen rattern und links und rechts stehen ein paar Solarpanele“, dann würde dies die Anhänger seiner Partei wohl kaum „versöhnen“. Oder?

So brachte die Moderatorin den Minister in Bedrängnis. Dies ist nicht schwer, wenn man das tagesaktuelle Interesse auf mittel- und langfristige Zielsetzungen treffen lässt. Am Ende dieses Gesprächs, es muss gegen 22:08 Uhr gewesen sein, schien es, dass Frau Slomka das Interview an diesem Abend gewonnen hatte. Mag sein, dass sie es 2:0 zu ihren Gunsten entschieden hat. Wenn aber Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über die Mühen der ökologischen Transformation die Maßstäbe sind, dann war es 0:2 zu ihren Ungunsten ausgegangen.


1  Ergebnisse der Ampel-Beratungen: „Haben die Grünen nachgegeben, Herr Habeck?“ in: ZDF heute journal mit Moderatorin Marietta Slomka und Robert Habeck, www.zdf.de, 29.03.2023 22:01 Uhr (E: 30-03-2023)

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Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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