Gerechte Kompromisse für die Biodiversität

Pyramide der Biodiversität
Bild: Fährtenleser auf wikimedia commons

Die Vereinten Nationen haben mit der Agenda 20301 den Versuch unternommen, die Entwicklung auf unserem Globus nachhaltig zu gestalten. Dazu dienen 17 sogenannte SDG (sustainable developement goals). Für mindestens zwei ihrer Nachhaltigkeitsziele – des SDG 14, die Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung zu erhalten und nachhaltig zu nutzen, und dem SDG 2, das den Hunger in der Welt bis 2030 beenden soll – war dieses Bestreben bisher nicht erfolgreich. In beiden Fällen, so lauten die Bewertungen der Weltozeankonferenz und des UN-Welternährungsbericht aus dem Jahr 2022, sind die Staaten den Zielen nicht näher gekommen. Auch bei SDG 15, das dem Schutz der Biodiversität gilt, war bestenfalls Stillstand zu verzeichnen. Wie kann und sollte es weitergehen?

Bei der Rettung der Weltmeere war selbstkritisch von kollektivem Versagen die Rede.2 Sie ließ sich mit freiwilligen Initiativen und Selbstverpflichtungen einzelner Staaten offenkundig nicht erreichen. Es fehlte an einer Roadmap und praktischen Maßnahmen gegen die Vermüllung der Meere, gegen Überfischung und die Zerstörung maritimer Lebensräume. Es ist ein bedeutsamer Zwischenschritt, dass sich die UN nach 15 Jahren Verhandlungen Anfang März 2023 auf ein Hochseeabkommen zum Schutz der Hohen See geeinigt haben. Nun muss das Abkommen von den Staaten ratifiziert werden.

Die Welthungerhilfe erarbeitete Handlungsempfehlungen des Welt-Hunger Index 2021, um SDG 2 zu erreichen. Die Empfehlungen sehen vor,

  • die Resilienz von Ernährungssystemen zu stärken, um Konflikte und Klimawandel zu adressieren und Ernährung zu sichern;
  • Kontexte zu analysieren und inklusive, lokal geführte Initiativen zu stärken.
    Es muss eine flexible, bedürfnisorientierte, sektorübergreifende und mehrjährige Planung und Finanzierung garantiert werden; Konflikte müssen politisch gelöst, das Völkerrecht gestärkt und Rechtsverletzungen sanktioniert werden. Und es muss beim grundlegenden Wandel der Ernährungssysteme vorangehen.

Die Ziele könnten mit Hilfe einer Roadmap besser erreicht werden. Ich habe angeregt, dass die strategisch relevanten Akteure (SRA) dies auf der Grundlage einer pragmatisch-provisorischen Moral tun könnten, die ein effektives und effizientes Handeln verspricht beim Schutz der Weltmeere und der Bekämpfung des Hungers. Wenn also die Agenda 2030 von praktischer Vernunft getragen werden soll, empfiehlt es sich, Kriterien wie Flexibilität, Stabilität, Sturm- und Krisensicherheit sowie Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Erfordernisse und Situationen anzuwenden.

Das SDG 15: die Biodiversitätskonvention

Naturkunde Museum Berlin: Biodiversität( Foto.: Anagloria auf wikimedia commons

Auch bei SDG 15, das den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten und eine nachhaltige Nutzung der Biodiversität gewährleisten will, gibt es nach langer Zeit des Stillstands neuerdings einen Fortschritt. Die 15. Konferenz der Vertragsparteien des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt in Montreal verabschiedete das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF). Bis 2030 sollen 30 % des Landes, der Ozeane, Küstengebiete und Binnengewässer der Erde geschützt werden. Umweltschädliche staatliche Subventionen sollen jährlich um 500 Milliarden Dollar reduziert werden. Und die Masse verschwendeter Lebensmittel gilt es zu halbieren.3 Damit wird SDG 15 in praktisches Handeln übersetzt. Das GBF strebt an, Landökosysteme zu schützen, sie wiederherzustellen und ihre nachhaltige Nutzung zu fördern. Wälder sollen nachhaltig bewirtschaftet, Wüstenbildung bekämpft, Bodendegradation beendet und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende gesetzt werden.

Für diesen Zeitraum legt der Biodiversitätsrahmen vier übergreifende Ziele (overarching global goals) und 23 Zielvorgaben (targets) fest. 

  • Ziel A: Die Unversehrtheit, Vernetzung und Widerstandsfähigkeit aller Ökosysteme wird erhalten, verbessert oder wiederhergestellt. Auch das vom Menschen verursachte Aussterben bedrohter Arten wird gestoppt. Und die genetische Vielfalt innerhalb der Populationen wildlebender und domestizierter Arten wird erhalten.
  • Ziel B: Die biologische Vielfalt wird nachhaltig genutzt und bewirtschaftet, und die Beiträge der Natur für den Menschen, einschließlich der Ökosystemfunktionen und -leistungen, werden geschätzt, erhalten und verbessert.
  • Ziel C: Die monetären und nicht-monetären Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen und digitaler Sequenzinformationen über genetische Ressourcen sowie von traditionellem Wissen über genetische Ressourcen werden fair und gerecht aufgeteilt.
  • Ziel D: Angemessene Mittel zur Umsetzung einschließlich finanzieller Ressourcen, Kapazitätsaufbau, technischer und wissenschaftlicher Zusammenarbeit sowie Zugang zu und Weitergabe von Technologie sind gesichert und für alle Vertragsparteien gleichberechtigt zugänglich.

Die drei Grundsätze der Biodiversitätskonvention

Denn internationale Abkommen versuchen schon seit 30 Jahren, den Artenschwund zu stoppen. Nord und Süd sollen dabei gleichberechtigt nach Lösungen suchen. Doch es hakt in der Zusammenarbeit für einen gerechten Naturschutz.

Seit langem verfolgt die Weltgemeinschaft das große globale Ziel, Baumriesen, bedrohte Insekten und seltene Orchideen zu erhalten, Vogelschwärmen und Wildherden Raum zu geben, damit sie wandern können. Sie will mit einer intakten Natur deren Lebensgrundlagen schützen. Im Jahr 1992 waren die Vereinten Nationen in Rio de Janeiro zur Konferenz für Umwelt und Entwicklung zusammengekommen. Die Delegierten beschlossen, dass internationale Abkommen den Planeten schützen und den Verlust der Artenvielfalt stoppen sollen. Damals wurde der Grundstein der Biodiversitätskonvention, des Abkommens zwischen Staaten zum Schutz der Natur gelegt. Viele der 178 Nationen waren arm und wirtschaftlich unter Druck. Deshalb setzte sich die Konvention nicht nur den Schutz der Natur zum Ziel. Menschen sollten die Natur nachhaltig nutzen können und die Gewinne aus der Artenvielfalt sollten gerecht geteilt werden.

In diesem Jahrzehnt sollen Schutzgebiete konsequent ausgebaut werden. Heute sind auf der ganzen Welt rund 16 Prozent der Landfläche geschützt. In Europa gibt es 13 Prozent Naturschutzgebiete, in Afrika 14, in Südamerika 24 Prozent. Bei der UN-Weltbiodiversitätskonferenz in Montreal wurde darüber verhandelt, dass der Anteil der Schutzgebiete noch in diesem Jahrzehnt auf 30 Prozent steigen soll. Der Großteil der besonders artenreichen Regionen liegt rund um den Äquator: Das Amazonasgebiet und Teile der Anden, die Wälder Südostasiens und das Kongobecken.

Schutzgebiete – ein Segen für alle?

Wenn wir zum praktischen Handeln kommen, erweist sich die Schaffung von Wildnisgebieten als kompliziert. Hungrige Tiere, etwa Waldelefanten in einem Schutzgebiet in Nigeria, können dies vereiteln.4 Eine junge afrikanische Forscherin hatte für ihre Arbeit unzählige Fotos von Elefanten an Wasserlöchern, Elefanten-Familien im Gebüsch oder Spuren gesammelt. Sie hatte herausgefunden, dass die Felder der Menschen und die Tiere sich immer näher kommen. Elefanten kommen immer wieder an die Orte zurück, an denen sie Nahrung gefunden haben. Dann zertrampeln sie Setzlinge und fressen den Kakao, den die Menschen dort zwischenzeitlich angebaut haben. Solche Mensch-Wildtier-Konflikte nehmen zu, wenn die Bevölkerung wächst und gleichzeitig die Welt-Biodiversitätskonvention mehr Schutzgebiete fordert.

Die Konflikte scheinen sich durch rigide Grenzen nicht lösen oder regulieren zu lassen. Die Menschen in Afrika werden nicht aufhören, Lebensmittel zu produzieren, um ihre Wälder zu erhalten, sagt der senegalesische Anthropologe Mariteuw Diaw. Wenn die bisherigen Entwicklungsprogramme alles unverändert bewahren wollen, werden die Menschen vor Armut sterben. Deshalb darf die Biodiversitätspolitik nicht verhindern, dass Menschen die Natur für sich nutzen. Folglich hat das African Model Forest Network für eine nachhaltigere Nutzung beispielsweise Projekte ins Leben gerufen, bei denen Frauen Früchte im Regenwald sammeln, sie verarbeiten und die Produkte verkaufen. Für die Bevölkerung hat der Wald einen Mehrwert gewonnen und sie erachtet ihn als erhaltenswert.

Dies ist Anlass, das Verhältnis von Menschen und Natur differenziert zu betrachten. Ausbeuterische Mensch-Natur-Beziehungen sind mit fürsorglichen und pflegenden nicht gleichzusetzen, sondern sollten unterschieden werden. Die Naturschutzethikerin Uta Eser plädiert dafür, andere Qualitäten der Beziehung Mensch-Natur in den Vordergrund und ihre Opposition zurück zu stellen. Untersuchungen aus den Gebieten von Indigenen in Australien, Brasilien und Kanada haben gezeigt, dass bewirtschaftetes Land in einigen Fällen die Artenvielfalt ebenso gut erhält wie ein Schutzgebiet. Deshalb sollten unterschiedliche Wissensformen und unterschiedliche Weltbilder gleichermaßen zugelassen werden, und der Naturschutz nicht mit den europäischen und nordamerikanischen Augen des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet werden. 

Ein gutes Beispiel für fürsorgliche und pflegende Naturbeziehungen ist der Ausgleich für Ernteschäden. Im Grenzgebiet der Staaten Namibia, Botswana, Angola, Sambia und Simbabwe ist ein riesiges Netz von Schutzgebieten, das sogenannte KAZA Gebiet, entstanden. Es hat einen Korridor geschaffen, der es speziell den Elefanten, Giraffen und Impalas wieder erlauben soll, von den höher gelegenen Gebieten zu den Tränken am Flussufer zu wandern. In kleinen Stützpunkten, die Conservancies genannt werden, überwachen Wildhüter-Teams Wildtiere auf ihrem Land und führen Buch darüber, an welchen Orten sie die Ernten zerstören. Die Bauern werden entschädigt und erhalten stabile Zäune von den lokalen Behörden. Tourist:innen, die KAZA besuchen, um die Tiere zu sehen, bringen in Andenkenläden, Kulturzentren oder Hotels Geld in die Kassen. Die Gemeinden haben nun auch einen finanziellen Anreiz, ihre Tiere zu schützen. Hier scheint es gelungen zu sein, die Konflikte zwischen den Menschen und den Wildtieren zu entschärfen.

Partizipation der lokalen Bevölkerung

Heute bestimmen die Staaten selbst, wo Schutzgebiete eingerichtet werden. Das war nicht immer so. Die Geschichte afrikanischer Schutzgebiete hat ihre Wurzeln in der Kolonialzeit. Dies hat der Mainzer Historiker Bernhard Gißibl beschrieben. Sowohl der Krüger-Nationalpark in Südafrika als auch die berühmten Nationalparks in Ostafrika gehen zurück auf Wild-Schutzgebiete, die in den 1890er Jahren eingerichtet wurden. Sie wurden in den folgenden Jahrzehnten allesamt zu Nationalparks mit fest umrissenen Grenzen ausgebaut, waren aber häufig von Umsiedlungsmaßnahmen begleitet. Dass die Menschen damals ihre Heimat verloren haben, sorgt bis heute für Konflikte. Mit den Schutzgebieten wurden Humanökologien geschaffen, die von den europäischen Kolonialherren und in ihrem Gefolge von Touristen bis in die Gegenwart als Wildnis mehr oder weniger missverstanden werden. Gegenwärtig unterstützen Naturschutz- und Entwicklungshilfe-Organisationen die Staaten oft als Berater oder Geldgeber. Aber manchmal stellen die Menschen der kleinen lokalen Gemeinden fest, dass die Konventionen, die Länder ratifiziert haben, schon zu vieles bestimmen, und dass ihr Einfluss auf das Geschehen gering ist. So kann die Einrichtung von Schutzgebieten die Menschen stark einschränken.

Auch das Wissen der lokalen Bevölkerung findet in der Praxis wenig Beachtung. Fischerfamilien, die seit Generationen mit ihren kleinen Booten vor der Ostküste Kanadas unterwegs sind, hatten lange vor den Forschern bemerkt, dass der Kabeljau dort seine Wanderrouten veränderte. Und als immer mehr Tiere nach dem Laichen nicht mehr genug Futter fanden und schließlich starben, hatten die Fischer früh gewarnt. Der Forscher Jake Rice ist der Meinung, sie hätten von Anfang an mit einbezogen werden sollen. Sie hätten vielleicht Ideen, die nicht aus einem Lehrbuch stammen, sondern aus ihrer Erfahrung. Also sollte wissenschaftliches Wissen mit praktisch erfahrungsbasiertem der lokalen Bevölkerung zusammengebracht werden. Dafür müssen sich Forscher:innen und die dort lebenden Menschen respektvoll begegnen.

Um die Partizipation der Einheimischen zu stärken, müssen mehr Fachleute aus dem Globalen Süden ausgebildet werden. Mehr Respekt und mehr Mitbestimmung sind ein Weg, den Naturschutz gerechter zu gestalten. Es muss Forschende geben, die die Menschen vor Ort gut kennen. Die schon erwähnte junge Frau, die in ihrer Masterarbeit den Konflikt zwischen Menschen und Elefanten untersucht hat, benutzt manchmal Pidgin-Englisch, damit sie die Leute besser verstehen. Bei ihrem Studienabschluss an der Universität war sie eine der Studierenden, die aus fünfzehn Ländern Westafrikas kamen. Jede und jeder von ihnen haben ein Masterprogramm absolviert, das sie dafür ausbildet, Naturschutz nicht nur zu erforschen, sondern auch umzusetzen und die internationale Zusammenarbeit zu verbessern. „Im Niger ist ein Ergebnis der Masterarbeit schon in ein nationales Programm zum Schutz von Oasen aufgenommen worden. In Burkina Faso hat ein Wald, der abgeholzt werden sollte, dann doch einen Schutzstatus zurückerhalten, den er vorher hatte. Und da gibt es noch weitere Beispiele, wie sich die Arbeit ganz konkret vor Ort schon auszahlt.“ (Henning Sommer, Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn)

Bild: Post of Indonesia auf wikimedia commons

Ausgleichszahlungen auch für lukrative Gen-Sequenzen

Gerechter Vorteilsausgleich besagt, einfach formuliert, dass jeder Mensch, der etwas besitzt, gefragt werden möchte, bevor man seine Dinge nutzt. Dieser Grundsatz soll nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Staaten gelten. Staatliche Gebilde haben Rechte an den Pflanzen und Tieren, die sich auf ihrem Hoheitsgebiet befinden. Nach den Regeln der Internationalen Konvention für die Biologische Vielfalt darf man nur dann genetische Ressourcen wie eine Pflanze aus einem anderen Land nutzen, wenn dafür die Zustimmung eines Landes oder einer lokalen Gemeinschaft oder einer indigenen Gruppe vorliegt. Und wenn jemand aus ihren Ressourcen Produkte wie Medikamente, Kosmetik oder Chemikalien entwickelt und verkauft, sollen diese Menschen davon profitieren. Ein gerechter Vorteilsausgleich kann aus Zahlungen bestehen, aber auch in nicht-monetären Formen wie Trainings oder Wissenschaftskooperationen.

Doch ob und wie diese Regelungen im Einzelfall eingehalten werden, darüber gibt es immer wieder StreitSo auch in einem Dorf im Hochland von Südafrika, in dem die Einwohner:innen die bekannte Heilpflanze Pelargonium sidoides ernten, die gegen Husten, Müdigkeit und andere Beschwerden helfen soll. Eine von ihnen ist eine traditionelle Heilerin, die eine Mischung aus Pelargonien und anderen Kräutern in einem großen Topf über einem Feuer kocht und die braune, bittere Flüssigkeit zum Filtern durch ein Handtuch gießt. Damit ist die Medizin fertig. Die deutsche Firma Schwabe kauft hingegen die Wurzeln aus Südafrika, verarbeitet sie und macht daraus das Medikament Umckaloabo. Über Jahre gab es Streit darüber, ob das Unternehmen die Regeln zum Vorteilsausgleich einhielt. Das Bundesamt für Naturschutz schätzt mittlerweile beim Pelargonium den Vorteilsausgleich für gelungen ein. Die Menschen hätten Arbeit gefunden, weil sie die Pflanze sammeln und an das Unternehmen verkaufen. Der Konzern hat im Gegenzug lokale Projekte gefördert. Er hat eine Stiftung gegründet, eine Highschool finanziell unterstützt und Kleinkindern eine bessere Gesundheitsversorgung ermöglicht.

Der Vorteilsausgleich soll für Länder mit großer Artenvielfalt einen Anreiz schaffen, die Natur zu erhalten. Das gegenwärtige Verfahren ist aber kompliziert, der bürokratische Aufwand erheblich und die Vorteile für die Ursprungsländer sind gering. Einerseits ist der Ausgleichsmechanismus reformbedürftig, andererseits kommt seit einigen Jahren ein neues Problem hinzu. Für viele Forschungszwecke wie der Entwicklung von Medikamenten werden Pflanzen, Pilze oder Mikroorganismen heute nicht mehr materiell benötigt, sondern es reicht ihr genetischer Code. Er befindet sich von vielen Arten längst in Datenbanken, so dass ihn jeder ohne Vorteilsausgleich nutzen kann.

Die Entwicklungs- und Schwellenländern fordern finanzielle Entschädigungen für digitale Gensequenz-Informationen. Sie wissen um ihren Rückstand gegenüber dem Norden und insbesondere Staaten wie Brasilien, Indien oder Südafrika besitzen schon eine eigene Infrastruktur in dem Bereich Sequenzierung. Diese Staaten haben beim Thema digitale Sequenzinformationen und Zahlungen eine bottom upVision entwickelt. Sie wollen mehr und mehr in die Lage versetzt werden, selber Rohmaterialien, Ingredienzien für Fertigprodukte und Produkte zu entwickeln. Dazu benötigen sie Infrastruktur, Technik und Menschen mit dem entsprechenden Wissen vor Ort.

Wissenschaftliches und erfahrungsbasiertes Wissen

Der Leitgedanke der Biodiversität kann gestärkt werden, wenn Regierungen und Geldgeber die drei Ziele der betreffenden Konvention berücksichtigen: den Schutz der Umwelt, die Natur nachhaltig zu nutzen und die Gewinne aus der Artenvielfalt gerecht zu teilen. Damit sind die Kriterien für eine radikale Politik, die eine Wende herbeiführen kann, genannt. Sie bedeuten den Abschied von den Vorstellungen reiner Naturschutzgebiete oder Wildparks.

Wenn Bevölkerungen wie in Afrika wachsen, treten Mensch-Wildtier-Konflikte auf. Sie müssen vom globalen Norden und einer Biodiversitätskonvention, die mehr Schutzgebiete fordert, auf- und ernst genommen werden. Dabei sollte man sich von rigiden Grenzen zwischen Mensch und Umwelt trennen, um fürsorglichen und pflegenden Mensch-Natur-Beziehungen Raum zu geben. Der Ausgleich von Ernteschäden hat sich in diesem Zusammenhang als ein wirkungsvolles pragmatisches biodiverses Instrument erwiesen. Natur und Tiere „sind“ dann nicht mehr allein Werte, sondern „erhalten“ einen Wert auch als Quelle von Einkommen.

Die Länder und Regionen des Südens wollen partizipieren und müssen dafür Partizipationskompetenz aufbauen. Deshalb sollten den lokalen Bevölkerungen Partizipationsmöglichkeiten offen stehen. Der Aufbau von Kompetenz ist im Gange. Die Fachleute aus dem Globalen Süden werden seit Jahren an den wissenschaftlichen Einrichtungen ausgebildet. So steigt die Chance, dass sich wissenschaftliches Wissen mit praktisch erfahrungsbasiertem der lokalen Bevölkerung zusammenführen lässt. Grundsätzlich ist zu überprüfen, welchen Partizipationsraum Biodiversitätskonventionen den afrikanischen Staaten lassen. In der Vergangenheit hat die Einrichtung von Schutzgebieten diese Möglichkeiten stark eingeschränkt.

Wenn es um die vermittelnde Rolle der G7-Staaten bei konkreten Problemlösungen geht, kann eine intelligente Kombination aus Top-down- und Bottom-up-Ansätzen neue Kooperationspotenziale erschließen. Um lokale und regionale Lebensumstände angemessen zu berücksichtigen, werden echte Kompromisse erforderlich sein. Lösungsansätze müssen sowohl global als auch regional gesucht werden und Strukturen vor Ort dürfen nicht einfach von außen geändert werden. Dabei ist ein kluges Management von Dissensen zwischen den Akteuren gefragt, das an der Akzeptanzfähigkeit von Lösungen ausgerichtet ist.

Ein wahrer Prüfstein hierfür ist die Ausgestaltung eines gerechten Vorteilsausgleichs. Er ist längst ein Kriterium für Ausgleichszahlungen bei Thema lukrative Gen-Sequenzen geworden. Die Staaten des globalen Südens haben bottom up – Perspekiven entwickelt, um zunehmend eigene Entwicklungspotenziale aufzubauen. Die Akteure in diesen Ländern und Regionen müssen darüber entscheiden, welche Maßnahmen für ihre Landwirtschaft sinnvoll sind. Und sie müssen selbst aktiv werden und Privatinvestoren anlocken. Dafür sollte die gewonnene Expertise aller Beteiligten in unternehmensinterne und externe Bildungsprozesse einfließen.


1  Vereinte Nationen, Resolution der Generalversammlung: Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, verabschiedet am 25. September 2015
2  Vgl. „Ozeane ohne Schutz“ Die Staatengemeinschaft verspricht auf der Weltozeankonferenz einen besseren Schutz der Meere gegen Verschmutzung und Raubbau. FAZ 2-7-2022
3  Vgl. Official CBD Press Release – 19 December 2022, Montreal
4  Vgl. Alexandra Hostert, Mehr Vielfalt, global, 04.12.2022, DLF

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Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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