Ohne Bilanzkosmetik wären viele Banken bankrott

Foto: ty-yang auf Pixabay

Innerhalb von zwei Monaten sind in den USA vier Banken zusammengebrochen. Unter dem Titel „Spekulanten haben die CS [Credit Suisse] erledigt – Jetzt kommen US-Banken dran publizierte die Schweizer Internet-Zeitung Infosperber Auszüge aus einem Gespräch zwischen Michael Hudson, Wirtschaftsprofessor an der University of Missouri–Kansas City, und dem Journalisten Ben Norton, Gründer und Herausgeber des Geopolitical Economy ReportBeide argumentieren, ohne Bilanzkosmetik wären viele Banken bankrott. Die Banken würden sich auf eine unwissende Öffentlichkeit und – sofern sie groß genug seien, um als systemrelevant zu gelten – auf die Politik verlassen. Bruchstücke übernimmt leicht gekürzt.


BEN NORTON:

In nur zwei Monaten sind in den USA vier Banken zusammengebrochen. Das jüngste Beispiel ist die First Republic Bank, die grösste zusammengebrochene Bank in der Geschichte der USA. Sie wurde von der grössten US-Bank JPMorgan Chase übernommen. Kurz vorher traf es die Silicon Valley Bank, die Signature Bank und die Silvergate Bank.

Die First Republic Bank verwaltete Vermögenswerte von 207 Milliarden Dollar. Die meisten dieser Einlagen waren nicht versichert, weil fast 70 Prozent der Einlagen über dem staatlich versicherten Limit von 250’000 Dollar waren. 

First Republic Bank in Sunnyvale, Kalifornien, an dem Tag, an dem sie als Filiale von JPMorgan Chase wiedereröffnet wurde.
(Foto: Yngvadottir auf wikimedia commons)


Langfristige Staatsanleihen und Hypotheken-Schuldscheine verloren 30 bis 50 Prozent ihres Buchwerts

Von den 207 Milliarden waren etwa 120 Milliarden Dollar der Einlagen unversichert, weil die Bank besonders viele wohlhabende Kundinnen und Kunden hatte, von denen viele langfristige, niedrig verzinste Hypothekendarlehen hatten. So hatte beispielsweise Facebook-CEO Mark Zuckerberg eine Hypothek in Höhe von 6 Millionen Dollar bei der First Republic Bank, und das zu einem Zinssatz von 1 Prozent. Das liegt unter der Inflationsrate, weshalb Bloomberg darauf hinwies, dass Milliardär Zuckerberg sich für seine Villa mit einer 30-jährign Hypothek «kostenlos» verschulden konnte.

Auch die Silicon Valley Bank scheiterte daran, dass sie viele langfristige Anleihen ausgegeben hatte. Das Problem: Wenn die Notenbank die Zinssätze stark erhöht, sinkt der Kurswert dieser Anleihen und Hypothek-Schuldscheine stark, weil sie nur null oder 1 Prozent Zins abwerfen. Langfristige Staatsanleihen beispielsweise, die zu null Prozent Zins ausgegeben wurden, verlieren 40 Prozent ihres Buchwertes, wenn die Zinssätze auf 4 Prozent erhöht werden. Nach Angaben von Bloomberg betrugen die Buchverluste auf Hypothekenschuldbriefen und Staatsanleihen per Anfang Mai rund 600 Milliarden Dollar. Die Banken kommen nur deshalb nicht in die Bredouille, weil sie diese Verluste in der Bilanz nicht ausweisen müssen, so lange sie die Absicht haben, diese Wertschriften zu behalten (diese fragwürdige Bilanzregel gilt auch in der EU und in der Schweiz. Redaktion. Infosperber). 

Falls es allerdings zu einem Ansturm auf die Bank kommt, werden diese Buchverluste der Bank schnell zu realen Verlusten. Denn die Bank muss diese Anleihen, die an Wert verloren haben, zum niedrigen realen Wert verkaufen, um die Einleger auszuzahlen. Am Ende reicht das Geld nicht aus und die Bank bricht zusammen. Die First Republic Bank war nicht so stark in Anleihen engagiert wie die Silicon Valley Bank, aber sie hatte langfristige Hypotheken mit niedrigsten Zinssätzen im Wert von etwa 100 Milliarden Dollar in ihren Büchern. Mit den steigenden Zinsen verlieren diese Schuldscheine rasch an Wert. Spekulanten konnten getrost auf deren Niedergang wetten.

Fakten und Schönrederei
Der Run auf US-Regionalbanken geht weiter. Zuerst kommen die Schwächsten dran. Seit dem 1. März sind die Marktwerte (Aktien mal Börsenkurs) der Regionalbanken PacWestBank of HafaiiWestern AllianceZions Bancorp und First Horizon um 30 bis 50 Prozent gefallen (Quelle: Wall Street Journal).

Umso mehr wird versucht, die Öffentlichkeit zu beruhigen. 
Brian Moynihan, CEO der Bank of America: «Es gab ein paar Wochen lang disruptive Tendenzen im Markt, aber von einer Krise kann keine Rede sein.»
Jamie Dimon, CEO der Grossbank JPMorgan: «Das US-Bankensystem ist ausserordentlich robust.»
Mark Branson, Chef der deutschen Aufsichtsbehörde BaFin, meinte: «Bisher sehen wir keine Gefahr für eine systemische Krise.» [upg]

Die Verluste auf Hypotheken und Kredite übernimmt der Staat

Jetzt konnte JPMorgan Chase die gestrauchelte First Republic Bank zu einem Vorzugspreis übernehmen. Nach eigenen Angaben erwartet JPMorgan Chase aus diesem Geschäft einen Gewinn von 2,6 Milliarden Dollar. Als Teil der Vereinbarung muss JPMorgan Chase die Schulden der First Republic Bank nicht übernehmen. Diese übernimmt die Einlageversicherung Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), die von der US-Regierung finanziert wird. Die FDIC erklärte sich bereit, 80 Prozent der Wertverluste von Hypotheken und gewerblichen Krediten zu übernehmen. Inzwischen schätzt die Einlageversicherung FDIC, dass dies ihren Einlagenversicherungsfonds 13 Milliarden Dollar kosten wird.

JP Morgan Chase Tower in Dallas. (Foto: Nmajdan auf wikimedia commons)

Das bedeutet, dass der Einlagenversicherungsfonds der FDIC allein in den zwei Monaten seit Anfang März rund 35 Milliarden Dollar zur Rettung der Silicon Valley Bank, der Signature Bank und jetzt der First Republic Bank übernahm.

Es sind dies eklatante Beispiele, wie private Banken von der Regierung gerettet werden, während grosse Banken wie die grösste US-Bank JPMorgan Chase von einem «Sweetheart Deal« profitieren und Milliarden von Dollar verdienen werden. Pikant: Die JPMorgan Chase wurde von den Aufsichtsbehörden als die risikoreichste Bank der USA eingestuft. Trotzdem wurde ihr die Kontrolle über die gestrauchelte First Republic Bank übertragen. Damit wird die JPMorgan Chase für das US-Finanzsystem noch riskanter.

MICHAEL HUDSON: 

Das gesamte US-Bankensystem ist genauso insolvent wie die Banken, die Sie erwähnten. Denn bei allen Banken ist der Marktpreis ihrer Hypothekendarlehen und ihrer Staatspapiere stark gefallen, und zwar so stark, dass die Höhe des Rückgangs ihrer Vermögenswerte den Gegenwert ihres Nettovermögens zunichte macht. Sie weisen also ein negatives Eigenkapital auf. Sie sind technisch gesehen zahlungsunfähig. Juristisch sind sie es nicht, weil die Regierung von den Banken nicht verlangt, dass sie den tatsächlichen Marktpreis ihrer Vermögenswerte bilanzieren.

Das Verhängnis begann im Jahr 2008

Es ist erstaunlich, dass alle so tun, als sei die jüngste Bankenkrise irgendwie unvorhersehbar gewesen. Seit fünfzehn Jahren schreibe ich darüber, wie genau das passieren wird. Der eigentliche Grund, warum Banken jetzt zahlungsunfähig sind, ist die Politik von Präsident Obama und seinem Finanzminister Tim Geithner. Er hatte den derzeitigen Präsidenten der Federal Reserve, Jerome Powell, ernannt.

Obama wollte die Banken retten und gleichzeitig schonen. Er wollte weder die maroden Bankkredite auf ein vernünftiges Niveau abschreiben, noch die Opfer von Schrotthypotheken auf den Häusern retten. Vielmehr beschloss er zusammen mit seinem Berater und früheren Finanzminister unter Präsident Clinton, Robert Rubin, die Citibank und die anderen grossen Banken zu retten. Diese Grossbanken sind noch heute die am meisten in Schwierigkeiten geratenen Banken von allen, ausser dass sie eine Regierungsgarantie haben. Obama hatte sie ihnen gewährt, damit sie ihr Geld nicht verlieren. Verlieren wird die reale Wirtschaft, nicht die Banken. All das wurde klar, als die Notenbank FED beschloss, den beiden Banken, die 2008 und 2009 zahlungsunfähig waren, durch quantitative Lockerung (Ausweitung der Geldmenge) bei der Wiederherstellung ihres Nettowertes zu helfen.

Das bedeutete, dass die FED die Banken mit neun Billionen Dollar in ihrer Bilanz stützte, so dass die Banken die Zinssätze auf fast null oder 0,1 Prozent senken konnten. All diese enorme zusätzliche Liquidität liehen die Banken dann grösstenteils an private Kapitalgesellschaften aus. Also an Akteure an der Wall Street, die damit Unternehmen aufkaufen konnten.
Diese Unternehmen wiederum liehen sich von den Banken Milliarden und schütteten sie als Sonderdividenden an die privaten Kapitalgesellschaften aus, von denen sie aufgekauft worden waren. Von den Unternehmen blieben dann bankrotte Hüllen zurück. Das war beispielsweise beim Küchen- und Haushalt-Konzern Bed Bath & Beyond der Fall. Am 30. März 2023 gab Bed Bath & Beyond bekannt, man suche einen Käufer für ein Aktienpaket im Wert von 300 Millionen Dollar, um einen Konkursantrag abwenden zu können.

Solange die Zinssätze bei fast Null lagen, gab es Kredite zum Nulltarif. Es kam zu einem durch Schulden angeheizten Boom an den Aktienmärkten – dem grössten Boom an den Anleihemärkten in der Geschichte – sowie zu einem Immobilienboom. Das Drama begann, als die Notenbank FED ankündigte, die Zinssätze von 0 Prozent auf 4 Prozent anzuheben.

Geldschwemme – Inflation – Zinssprünge

Zu dem Zeitpunkt, als dies öffentlich bekannt wurde, sprach ich mit vielen Geschäftsleuten, vielen Anlegern, vielen Vorstandsvorsitzenden. Alle sagten: «Oh, das bedeutet, dass die Preise der langfristigen Staatsanleihen wie beispielsweise eine 30-jährige Anleihe oder eine 5-jährige Anleihe oder eine 10-jährige Anleihe, stark sinken werden.» Als Konsequenz davon verkauften sie ihre langfristigen Staatsanleihen und investierten in kurzfristige Staatsanleihen, das sind Schatzwechsel, dreimonatige Schatzwechsel oder vielleicht zweijährige Schatzanweisungen. Sie wollten nicht warten, bis sie auf ihren langfristigen Staatsanleihen Verluste erleiden. […]

Nachdem die Silicon Valley Bank untergegangen war, sagte Yves Smith auf Naked Capitalism, meiner bevorzugten Finanzseite in diesen Dingen, dass die Silicon Valley Bank ihr Portfolio hoffnungslos falsch verwaltet habe, indem sie an diesen langfristigen Staatsanleihen festhielt. Warum hat die Bank das getan?

Die Banken hätten ihre 30-jährigen Staatsanleihen verkaufen und dafür kurzfristige Staatsanleihen kaufen können, als sie erfuhren, dass die FED ankündigte, sie werde die Zinssätze bis auf 4 Prozent anheben. Das wird den Wert der langfristigen Wertpapiere um 30 oder 40 Prozent senken. Stossen wir sie deshalb alle ab!

Doch hätten die Banken so gehandelt, wären die Kurse der langfristigen Schuldscheine und Anleihen so stark gefallen, dass sie sofort diese für neue Schuldscheine und Anleihen erwarteten 4 Prozent abgeworfen hätten. Das allein hätte den Preis für 30-jährige Hypotheken in den Keller gedrückt.

Hoffen auf unwissende und träge Kundinnen und Kunden

Den privaten Banken blieb nur eine Möglichkeit, um einen Bilanzverlust zu vermeiden. Sie zahlten den Einlegern weiterhin das, was sie die ganze Zeit gezahlt haben, nämlich 0,1 oder 0,2 Prozent Zins.

Die Banken hofften und hoffen, dass ihre Kunden unwissend und träge sind und sich nicht die Mühe machen, Geld abzuheben, ihre langfristigen Papiere zu veräussern und durch kurzfristige Staatspapiere oder andere Finanzpapiere zu ersetzen, die mehr Rendite abwerfen. 

An der Spitze der Notenbank FED müssten dumme Leute sitzen, die nicht erkennen, dass die Banken in Tat und Wahrheit insolvent sind. Das FED benötigt Lautsprecher wie den New-York-Times-Kolumnisten Paul Krugman, der predigt: «Alles in Ordnung. Unser Finanzsystem ist grossartig. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.» Und solange man die FED zu Schönwetteraussagen bringen kann und die Zeitungen lediglich schreiben, dass die Zinssätze steigen, geht die Tatsache unter, dass, wenn die Zinssätze steigen, die Preise für Hypotheken und Anleihen stark sinken.

Wenn man diese grundlegende Bilanz-Tatsache unter den Tisch wischen kann, werden viele Sparer mit ihren 0,1 oder 0,2 Prozent auf ihrem Sparkonto zufrieden sein. Allerdings hat jeder, der schlau ist, sein Geld bereits von der Bank abgehoben und in kurzfristige Staatsanleihen investiert, die 4 Prozent Rendite abwerfen [in den USA].

Ich kenne viele Leute, Freunde von mir, die ihr Geld von der Bank abhoben und in zweijährige Staatsanleihen oder kurzfristige Geldmarktfonds investierten, und sie bekommen 4 Prozent Zins. Warum in aller Welt sollten Sie Ihr Geld bei der Bank lassen?

Die Silicon Valley Bank und die New York Bank, die gerade untergegangen sind, gingen vor allem deshalb unter, weil ihre Kundinnen und Kunden zu den  Wohlhabendsten und Einkommensstarken gehören. Diese waren klug genug, um zu wissen, dass ihre Einlagen nicht mehr sicher sind, wenn die Banken negatives Eigenkapital haben. Deshalb zogen sie ihre Einlagen rechtzeitig ab. Und statt 0,1 oder 0,2 Prozent wollen sie auch 4 Prozent verdienen. 

Die Geldschwemme führte in eine Sackgasse

Während der quantitativen Lockerung hat sich die FED selber in die Enge getrieben. Durch die Senkung der Zinssätze auf fast Null nahm die Notenbank in Kauf, dass sie Finanzinstitute in den Bankrott treibt, sobald sie jemals die Null-Zins-Politik verlassen und von der Obama-Politik Abstand nehmen muss, welche die Banken durch Aufblasen der Kapitalmärkte retten sollte.

Jetzt stehen wir also vor der Insolvenz. Mit einer anderen Politik hätten dies Obama, Trump und Biden anfangs vermeiden können. Schon ein Siebtklässler, na ja, vielleicht ein Achtklässler hätte das ausrechnen können. Denn jeder, der den Marktpreis der Bankaktiva mit dem Anschaffungspreis dieser Aktiva vergleicht und feststellt, dass die Banken 30 oder 40 Prozent ihrer Aktiva verloren haben und ihre Verpflichtungen hoch sind, kommt zum Resultat: Lasst uns unser Geld aus den Banken abziehen und viel mehr Geld verdienen, indem wir zweijährige Staatsanleihen oder neue zehnjährige Staatsanleihen kaufen und diese hohen Zinssätze jetzt festschreiben.

Das ist genau das, was jetzt passiert. Doch Zeitungen schreiben von «Überraschung» oder «Wer hätte das ahnen können?»

Und natürlich verlagern viele Leute ihr Geld und ihre Anlagen zu Grossbanken wie JPMorgan Chase oder Citigroup. Denn sie zählen auf die Regierung, die im Klartext Folgendes sagt: 

  • Kein Finanzinvestor soll Geld verlieren. Wir versprechen, dass nicht die Banken, nicht der Finanzsektor zur Kasse kommt, sondern die reale Wirtschaft.
  • Wir versprechen, dass wir, wenn wir grosse Summen zur Unterstützung des Finanzsektors ausgeben müssen, bereit sind, die Sozialversicherung zu kürzen. Wir sind sogar bereit, Medicaid und Medicare abzuschaffen.
  • Wir werden Sozialausgaben streichen, weil die Wirtschaft darauf angewiesen ist, dass die Banken kein Geld verlieren. Und für uns Politiker sind die Grossbanken unsere Wahlkampfspender. Sie sind es, für die wir wirklich arbeiten. Sie sind es, die wir beschützen müssen. Das ist unsere Aufgabe als Politiker.

Über wie viel Geld reden wir? Nun, es waren diese 9 Billionen Dollar an quantitativer Lockerung, welche die Preise der Hypotheken, der Aktien und der Staatsanleihen, welche die Banken halten, in die Höhe trieb. Um die Banken bei Verlusten zu retten, wird die Regierung weitere Billionen Dollar ausgeben müssen.

Die gesamte Wirtschaft wird nicht nur in eine Rezession abgleiten, wie Jerome Powell es nennt, sondern in eine tiefe Depression, in einen finanziellen Zusammenbruch.

Regierungen und Medien setzen sich nicht mit der Tatsache auseinander, dass die bestehende Verschuldung des Bankensystems, des Finanzsystems und des Privatkapitals nicht nachhaltig ist und wir den Punkt der Untragbarkeit erreicht haben.

Das eine Prozent der Reichsten zieht seine Vermögen rechtzeitig ab

Wenn Achtklässler erkennen können, dass die Banken zahlungsunfähig sind, können auch Investoren und sogar einige Wirtschaftswissenschaftler feststellen, wie zahlungsunfähig die Banken tatsächlich sind, und erkennen, dass wir besser unser Geld abheben und weglaufen sollten.

Das eine Prozent der Reichsten des Landes tut es. Sie sorgen dafür, dass das Finanzcasino ihnen weiter in die Hände spielt. Denn man kann davon ausgehen, dass das reichste eine Prozent sehr viel zum Präsidentschaftswahlkampf 2024 beitragen wird.

Die Regierung sagt, sie werde die kleinen, nicht «systemrelevanten» Banken nicht stützen. Sie gehören nicht zu ihren grossen Wahlkampfspendern. Die grossen Wahlkampfspender sind die grossen Finanzunternehmen und privaten Kapitalgesellschaften. In Klartext heisst deshalb die Botschaft der Regierung: Wenn Sie Ihr Geld sicher aufbewahren wollen, bringen Sie es zu einer der fünf großen, systemrelevanten Banken. «Systemrelevant» bedeutet, dass es sich um eine Bank handelt, welche die Regierungspolitik im Finanzsektor zu ihrem eigenen Vorteil kontrolliert.

Sie haben dann Ihr Geld und Ihr Vermögen bei den Grossbanken, welche die Kontrolle darüber haben, wer in die Regierung gewählt wird, um die Spitzen der Regulierungsbehörde der FED und der verschiedenen Bankaufsichtsbehörden zu ernennen.

BEN NORTON: 

Ben Norton (Foto: Flickr/ Ben Norton auf wikimedia commons)

Sie haben einen Artikel veröffentlicht, in dem es um die 247 Billionen Dollar an Derivaten geht, für welche 25 US-Banken haften. Elf grosse Banken in den USA hätten im März mit Einsätzen in Höhe von 30 Milliarden Dollar darauf gewettet, dass die First Republic Bank gerettet wird. Dies wurde als grosse Tat dieser grossen Banken dargestellt, die damit versucht haben sollen, den Untergang der First Republic Bank zu verhindern.

Aber Wall Street on Parade vermutete einen anderen Grund: Die 25 US-Banken versuchten, sich selbst zu retten. Denn sie besassen Derivate im Nominalwert von enormen 347 Billionen Dollar, die bei einem Bankrott der First Republic Bank verloren gewesen wären. Allein die vier grossen Banken, die zur Rettung der First Republic Bank am meisten beigetrugen, hätten 58 Prozent dieser Derivate gehalten, also einen Wert von über 140 Billionen Dollar. 

Dies zeigt, dass das gesamte US-Finanzsystem eigentlich ein grosses Casino ist. Es gibt Wetten, die das Mehrfache des gesamten US-Bruttoinlandprodukts ausmachen. Die meisten Banken haben die grössten Kapitalgewinne mit Derivaten, Leerverkäufen und Optionen erzielt.

Leerverkäufe kann man kaum regulieren

FED-Präsidenten Janet Yellen sagte sinngemäss: Wir werden alles Nötige tun, damit die grossen Banken kein Geld verlieren, auch wenn sie schlechte Wetten eingegangen sind, Wetten, bei denen sie alles Geld verloren hätten, Wetten, die sie zahlungsunfähig gemacht hätten, Wetten, die dazu geführt hätten, dass sie von der FDIC übernommen und von einer Privatbank in eine staatliche Bank verwandelt worden wären. Das werden wir verhindern, denn das wäre Sozialismus. Und genau dagegen kämpfen wir in Amerika, genauso wie wir in Europa dagegen kämpfen.

Unter dem Strich wird also die gesamte US-Wirtschaft den Banken geopfert, die Wetten eingegangen sind. Es waren schlechte Wetten. Es handelt sich um die harte, eiserne Faust des Finanzsystems, das als der zentrale Planer von heute die Wirtschaft kontrolliert.

Die Krise, die wir im US-Bankensystem sehen, breitet sich insbesondere auf mittelgrosse Banken aus. Neuste Berichte zeigen, dass PacWest kurz vor dem Zusammenbruch steht. Auch die Western Alliance ist ins Visier von Leerverkäufern geraten. Ihre Aktienkurse fallen sehr schnell.

Leerverkäufer nehmen diese Banken ins Visier, weil sie glauben, dass sie die nächsten Banken sein könnten, die untergehen. Sie spekulieren auf deren Untergang, um damit Geld zu verdienen.

Die US-Regierung müsste die Leerverkäufe von Aktien und Obligationen staatlich versicherter Banken aussetzen, denn es steht die Stabilität des Finanzsystems auf dem Spiel.

MICHAEL HUDSON: 

Michael Hudsond (Foto: Megan Ashcroft)

Das wäre in etwa so, wie wenn man versucht, Pferdewetten oder Casino-Wetten im Internet zu verbieten. Banken können eigentlich immer Leerverkäufe tätigen. Wenn sie es nicht in den USA tun, dann tun sie es offshore auf den Cayman-Inseln. Es ist deshalb sehr schwierig, diese Spekulationsgeschäfte zu unterbinden.

Der Finanzsektor ist nicht mehr hauptsächlich dazu da, Kredite an Industrielle zu vergeben, damit diese Fabriken bauen und Arbeitskräfte einstellen, um mehr Waren zu produzieren.

Hauptaktivität ist das Finanzieren von Zockern

Sondern er ist dazu da, Kredite an Zocker zu vergeben, denn dort wird das meiste Geld gemacht. Das ist es, was das Finanzsystem ausmacht. Es funktioniert weitgehend ausserhalb der realen Wirtschaft. Der Finanzsektor liegt vielmehr wie ein Parasit auf der Wirtschaft, der die Regierung als Mittel benutzt, um der realen Wirtschaft Geld zu entziehen. Oder es benutzt dazu seine eigenen Geldschöpfungsfähigkeiten und stellt sicher, dass die wohlhabenden Finanzinstitute nicht verlieren können.

Kleinere Finanzinstitute dürfen verlieren. Das ist für die Regierung in Ordnung. Die grossen Fische können kleine Fische auch fressen.

Das logische Ergebnis sind nur vier oder fünf systemrelevante Banken, die wir nicht untergehen lassen – egal, wie viele Milliarden sie verlieren. Wer sein Vermögen nicht verlieren will, überträgt es deshalb mit Vorteil von der örtlichen Bank in eine der grossen Banken, denn diese haben jetzt das Sagen.

Das Finanzcasino braucht eine finanziell unwissende Öffentlichkeit

Ich weiss nicht, warum Zeitungen und Medien diesen Rat nicht direkt aussprechen, oder warum die Grossbanken das nicht selbst tun. Warum veröffentlicht etwa JPMorgan Chase nicht ein einseitiges Inserat in der New York Times oder dem Wall Street Journal und sagt: «Hey, Leute, habt ihr bemerkt, wie sie uns gerettet haben? Wir werden immer gerettet werden. Sie können Ihr Geld hier nicht verlieren. Legen Sie Ihr Geld auf unsere Bank an.» Das ist ein guter Werbeslogan. Warum denken sie nicht daran?

Weil die Öffentlichkeit unwissend bleiben soll. Sie darf nicht realisieren, dass das bestehende Finanzsystem so, wie es jetzt strukturiert ist, nicht überleben kann. Denn jede Erhöhung der Zinssätze treibt die Banken in die Insolvenz. Alle Banken leiden unter dem gleichen Problem wie die Silicon Valley Bank und die anderen Banken, die untergegangen sind. [Ohne die Erhöhung der Zinssätze aber kommt es wegen der Geldschwemme zu einer galoppierenden Inflation, welche das bestehende Finanzsystem ebenfalls schwer ins Wanken bringt. Red]

Damit aber die Bankkundinnen und Bankkunden und die Öffentlichkeit ruhig bleiben, müssen sie unwissend bleiben. Das ist die Rolle der New York Times und der Washington Post und der anderen Medien. Die Unwissenheit und Dummheit wird dadurch gefördert, indem man in den Universitätsvorlesungen eine bekloppte Wirtschaftstheorie lehrt, so wie es in der Chicago School der Fall ist, dem Wirtschaftslehrplan in den USA.

Die Finanzwissenschaften lehren nur wenig über die Schuldenprobleme. Sie befassen sich zu wenig mit den aktuellen Bilanzproblemen und kaum mit Derivaten. Keines der akuten heutigen Probleme taucht in dem wirtschaftlichen Lehrplan auf, den die Studierenden lernen müssen, um zu verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert. Es ist alles eine Mythologie. Man könnte sagen, es ist so etwas wie der Aberglaube unserer Zeit. Ich würde es nicht als Religion bezeichnen, auch wenn viele Banken den antiken griechischen und römischen Tempeln ähneln.

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Das vollständige Gespräch wurde in Englisch auch auf Scheerpost veröffentlicht.

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