Ostdeutsche Enttäuschungen, westdeutsche Ohnmachtsgefühle

Foto: dmncwndrlch auf Pixabay

In Thüringen wird erstmals ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt. Die Umfragewerte der rechtspopulistischen Partei erreichen bundesweit immer neue Höchstwerte. Die „etablierten“ Parteien haben zurzeit außer staatsbürgerlicher Belehrung und Ritualen der Abgrenzung keine Rezepte, wie sie dem Höhenflug der AfD begegnen können. Im Gegenteil: Im Politikbetrieb scheint eine Panik-Stimmung einzusetzen. Deutschland wird wohl möglich demnächst unregierbar, wenn sich die AfD bei über 20% festsetzt. Höchste Zeit, sich mit den psychologischen Mechanismen auseinanderzusetzen, die hinter dem Aufstieg der AfD stehen.

Bei unseren aktuellen Interviews werden wir von den AfD-Wählern häufig direkt angefeindet. Geballte Wut und ein unausgegorenes Grollen tritt uns da entgegen. Die AfD-Sympathisanten haben sich in eine alternative Realitätskonstruktion verabschiedet, die die großen gesellschaftlichen Themen der Zeit mit fundamentalem Zweifel und Misstrauen betrachtet. Man dürfe „der Propaganda“ der „Staatsmedien“ nicht glauben. Um den Klimawandel würde eine Hysterie inszeniert, nur um die Agenda von Lobbygruppen durchzusetzen. Die Regierung lasse lauter Ausländer rein, um die Mehrheiten bei Wahlen für sich zu verschieben. Der Selenskyi würde zum Heiligen erklärt, dabei sei er genauso korrupt wie Putin und es gehe beim Ukraine-Krieg nur um amerikanische Interessen.

Ungefähres Geraune bei impliziter Distanz zu Rechtsradikalismus

Egal welches Thema wir in den Interviews thematisieren, überall ein Geraune über die „eigentlichen Hintergründe“, das sich an Verschwörungstheorien annähert, aber dann doch im Ungefähren stehen bleibt. Denn wenn wir im Tiefeninterview die Geschichten der Gesprächspartner belasten, dann fällt so manche Gewissheit in sich zusammen und es kommen andere Seiten ins Spiel. Z.B.: Am Klimawandel sei schon was dran, der Planet steuere auf den Kollaps zu. Oder: So genau wisse man es natürlich nicht, ob die Ukrainer jetzt sofort einlenken sollten. Die offen zur Schau gezeigten Wut über den aktuellen Verfall und Abstieg bleibt ungerichtet.

Nur eine deutliche Minderheit der AfD-Sympathisanten steigt auf die nationalistischen Politikentwürfe der rechtsgerichteten Partei ein. Ob das mit der Rückkehr zur D-Mark und dem Ausstieg aus der EU eine gute Idee wäre? Eher zweifelhaft. Auch Führungsfiguren wie Björn Höcke, die den Nationalsozialismus verharmlosen und rassistisches Gedankengut ausdrücken („lebensbejahender afrikanischer Ausbreitungstyp“), gehen unseren Interviewpartnern zu weit. Sie sind nicht von der Programmatik der AfD überzeugt, sondern wählen die Partei eher aus Protest und als Zeichen des Trotzes.

Verführt von populistischen Scheinlösungsangeboten

Wenn es gar nicht um die tatsächliche politische Programmatik der AfD geht, was macht die Partei so erfolgreich? Unserer Studie zeigt: Attraktiv ist vor allen Dingen der Populismus der einfachen Lösungen. Man hätte 2008 in der Finanzkrise die gierigen Banker bestrafen sollen. Man hätte 2015 in der Flüchtlingskrise die Grenzen dicht machen sollen. Man hätte statt der „Corona-Hysterie“ nur die Altenheime abriegeln sollen. Man sollte beim CO2-Ausstoß an China und USA ran anstatt in Deutschland die Wirtschaft kaputt zu machen. Oder: Man sollte sich mit Putin verständigen, dann hätten wir wieder günstiges Gas und die Inflation wäre gestoppt.

In Wirklichkeit ist die Welt komplizierter als sie die Sprüche der AfD erscheinen lassen. Das sehen unsere Interviewpartner auch oft ein, wenn man z.B. thematisiert, dass es humanitäre Verpflichtungen gegenüber Kriegsflüchtlingen gibt oder dass es problematisch ist, wenn Angriffskriege wieder zu einem legitimen Mittel der Politik werden. Dennoch: Die einfachen Scheinlösungsangebote der AfD versprechen eine Entlastung von den Konflikten einer immer komplexeren Welt. Die AfD geriert sich erfolgreich als Schutzmacht des einfachen Volkes. Ihre populistische Suggestion geht so: Wenn nur der „Wille des Volkes“ geschehen würde, wenn man die Themen so angehen würde, wie es der „gesunde Menschenverstand“ doch nahelegt, dann würde gar nicht erst der Problemdruck entstehen und sich nicht das Chaos aufbauen, was die „herrschenden Eliten“ durch ihr „rücksichtsloses Festhalten an eigenen Vorteilen“ heraufbeschwören.

„Dem System“ stellvertretend die Stirn bieten

Wie andere populistische Parteien bedient die AfD eine Denkschablone, die Populismus automatisch in diffuse Systemkritik überleitet. Das „System“ ist der Sündenbock, der die ganzen Probleme und den ganzen politischen Schlamassel verursacht. Was aber genau ist das System? Hier zeigt sich das Bild eines diffusen Gegenübers, das alle bösen Mächte umfasst: Wirtschaft, die etablierten Parteien, die Staatsmedien, die EU, USA, China usw. usf. Die AfD steht außerhalb des Systems und ist die einzige Kraft, die dem System die Stirn bietet.

Quelle für den Erfolg der AfD ist ein vollkommen zerrüttetes Demokratieverständnis. Unsere Interviewpartner sehen sich in keiner Weise als Volkssouverän, der im demokratischen Mitbestimmungsprozess entscheidenden Einfluss nimmt. „Wahlen sind doch nur vorgespielt“, so fasst es ein Gesprächspartner zusammen. „Die (=das System) tun doch nur so, als würde sich durch Wahlen was ändern. Wenn eine Partei kommt, die wirklich was ändert, dann wird sie sicher verboten. Das wird bald auch mit der AfD geschehen.“ Die AfD in der Opferrolle – hier schließt sich die Gedankenkette von Populismus, übermächtigen Systemkräften und heldenhaftem Widerstand der einzigen Anti-Systempartei AfD.

Konrad Adam (links), Frauke Petry und Bernd Lucke während des ersten Parteitags der Alternative für Deutschland (AfD) am 14. April 2013 in Berlin (Foto: Mathesar auf wikimedia commons)

Bekanntlich ist die AfD als honorige Professorenpartei im Westen gestartet. Inzwischen liegt ihr Kraftzentrum bei den ostdeutschen Rechtspopulisten des ehemaligen sogenannten „Flügels“. Wieso ist die Partei insbesondere im Osten so stark?
Auf Basis unserer Tiefeninterviews legt sich das Bild nahe, dass DDR-Sozialisationen und Enttäuschungen seit der Wiedervereinigung eine prägende Ursache sind. Die DDR-Bürger waren real mit einem Regime konfrontiert, dass ihnen keine Wahl gelassen hat außer einem Arrangement mit der eigenen Ohnmachtsposition. Vieles war in der DDR verlogener Schein: das Blockflöten-Parteiensystem, die Scheinwahlen, die Beschwörungen großartiger sozialistischer Ziele. Noch ein bis zwei Generationen nach der Wende wirkt diese Urerfahrung der Unterdrückung durch das „System“ nach.

Die Wende hat für viele Ostdeutsche nur für einen kurzen Moment Hoffnung gestiftet. Das Freiheitsversprechen der Wiedervereinigung ist schnell in diverse Kränkungen gekippt: die Abwicklung der DDR-Industrie, entwürdigende Hartz-IV-Existenzen, die Nicht-Anerkennung der Lebensleistung.

Nur eine deutliche Minderheit der AfD-Sympathisanten steigt auf die nationalistischen Politikentwürfe der rechtsgerichteten Partei ein. Ob das mit der Rückkehr zur D-Mark und dem Ausstieg aus der EU eine gute Idee wäre? Eher zweifelhaft. Auch Führungsfiguren wie Björn Höcke, die den Nationalsozialismus verharmlosen und rassistisches Gedankengut ausdrücken („lebensbejahender afrikanischer Ausbreitungstyp“), gehen unseren Interviewpartnern zu weit. Sie sind nicht von der Programmatik der AfD überzeugt, sondern wählen die Partei eher aus Protest und als Zeichen des Trotzes.

Screenshot: AfD-Website

Die Ohnmachtserfahrung greift inzwischen auch im Westen um sich. Erschüttert durch die Dauerbelastung der Poly-Krise (Corona, Krieg, Inflation) erleben die Menschen die Ampelregierung als schwach, uneinig, wenig kompetent und führungslos. Die aktuellen Regierungsprojekte wie etwa die Wärmewende wirken in Ost und West wie ein Diktat gegen den Volkswillen. Die AfD-Propaganda zeichnet das düstere Bild, dass die aktuelle deutsche Situation viele Parallelen mit dem Zerfall der DDR habe. Ein „abgehobenes Politbüro“ gaukelt nur vor, für höhere Ziele wie Klimaschutz und Frieden einzustehen – genauso wie das Politbüro zu DDR-Zeiten die Ziele des Sozialismus und Fortschritts vorgegaukelt hat.

Wie lässt sich die AfD klein halten?

Aus unserem Psychogramm der AfD-Wählern ergeben sich eine Reihe von Perspektiven, die trotz allem Anlass zum Optimismus geben. Populistische Bewegungen werden dann besonders gefährlich, wenn sie charismatische Führungsfiguren hervorbringen. Die aktuellen AfD-Sympathisanten scheinen jedoch gegenüber solchen Figuren bislang misstrauisch zu bleiben. Jedenfalls verfängt ein Höcke mit seiner blinden nationalistischen Verherrlichung bislang nicht. Es gibt also Anlass zur Hoffnung, dass das Kreuz bei der AfD eher „nur“ dumpfes Zeichen eines allgemeinen Protests ist anstatt eines klaren Bekenntnisses für die Ziele der AfD.

Ein zweiter Hoffnungsschimmer liegt darin, dass viele AfD-Sympathisanten sich betont kritisch und sogar aufgeklärt geben. Sie wüssten ja, worum es in Wirklichkeit in der Politik gehe usw. Unsere Gespräche zeigen: Es gibt eine Chance, die AfD-Wähler bei ihrer ‘kritischen Ehre‘ zu packen. Im Hinterfragen ihrer Standpunkte und in der geduldigen Diskussion, mit Aufklärung über weitere Hintergründe und Fakten, die in ihren vereinfachten Erklärungsschemata nicht vorkommen, kann man bei den AfD-Sympathisanten durchaus immer wieder ein Nachdenken und Überdenken anstoßen.

Wenn es gar nicht um die tatsächliche politische Programmatik der AfD geht, was macht die Partei so erfolgreich? Unserer Studie zeigt: Attraktiv ist vor allen Dingen der Populismus der einfachen Lösungen. Man hätte 2008 in der Finanzkrise die gierigen Banker bestrafen sollen. Man hätte 2015 in der Flüchtlingskrise die Grenzen dicht machen sollen. Man hätte statt der „Corona-Hysterie“ nur die Altenheime abriegeln sollen. Man sollte beim CO2-Ausstoß an China und USA ran anstatt in Deutschland die Wirtschaft kaputt zu machen. Oder: Man sollte sich mit Putin verständigen, dann hätten wir wieder günstiges Gas und die Inflation wäre gestoppt.

Populismus ist selbstverschuldete Unmündigkeit. Den aufgeklärten Demokraten sollte es darum gehen, den Gesprächsfaden zu den von den Populisten geköderten Wahlbürgern nicht abreißen zu lassen. Und Werbung dafür zu machen, nicht aufzuhören, sich auf die Komplexität der Wirklichkeit so weit einzulassen, wie das eben notwendig ist. Diese Haltung setzt viel Geduld und Beharrungsvermögen voraus, erscheint aber alternativlos. Die aktuell aufkommende Panik beim Umgang mit der AfD ist dagegen der falsche Ratgeber.

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Dirk Ziems
Dirk Ziems ist Managing Partner bei concept m research + consulting. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin, der Berlin School of Law und Economics, der International Film School Cologne und der Privaten Fachhochschule für Wirtschaft in Göttingen hält Ziems zusätzlich Vorträge und übernimmt Lehraufträge.

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