Hubert hat einen Traum

Fränkische Fastnacht: Hubert Aiwanger 2017 (Foto: Stefan Brending auf wikimedia commons)

Auf einer Demonstration in Erding (bei München) ruft der stellvertretende Ministerpräsident der bayerischen Staatsregierung Hubert Aiwanger am 10. Juni 2023 unter dem Jubel der Menge aus, es sei nun „der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen: Ihr habt’s wohl den Arsch offen da oben.“ (zitiert nach „Erding ist ein Tiefpunkt im demokratischen Diskurs“, FAZ vom 12-06-2023) Aiwanger wurde nach der Demonstration wegen seiner Nähe zur Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) scharf kritisiert. Deshalb rechtfertigte er sich einige Tage später mit dem Satz: „Nur weil irgendwann mal ein AfD-ler etwas Ähnliches gesagt hat, ist das noch lange kein Tabu-Satz für jeden anderen.“ Er reagierte auf die Kritik mit den Worten: Mit dieser “linken Masche” lasse er sich nicht mundtot machen. “Morgen ruft die AfD dazu auf, in Lederhose aufs Oktoberfest zu gehen, dann dürfte niemand mehr in Lederhose aufs Oktoberfest gehen – oder was?”

Die Kritik warf dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der bayerischen Staatsregierung unter anderem „destruktiven Populismus“ und einen „Tiefpunkt im demokratischen Diskurs“ vor. Ich wähle eine andere Form der Auseinandersetzung mit den Aussagen Aiwangers. 

… dann wacht er auf

Hubert betritt einen großen Raum, der dem Wohnzimmer einer heruntergekommenen Berliner Altbauwohnung ähnelt. Durch die stark verschmutzten Scheiben fällt grelles Tageslicht, das ihn blendet. Erst auf den zweiten Blick erkennt er die Umrisse von vier Gestalten, die an einem großen ovalen Tisch sitzen.

„Du kannst ruhig hereinkommen, Hubert, und Dich zu uns setzen“, sagt eine aufmunternde Stimme. Hubert tritt näher und erkennt erst jetzt, dass es Tino, Alice, Beatrice und Bernd sind.

Er erschrickt. „Nein, ich mag nicht!“.

„Aber Du musst keine Angst haben, wir tun Dir nichts“, spricht ihn Alice ihn gütig an. „Nein, wir tun Dir nichts, Hubert,“ bekräftigt Bernd, Parlamentarischer Geschäftsführer und Wortführer des Quartetts, „schließlich hast Du uns gerufen, und wir sind gekommen.“

„Aber ich habe Euch nicht gerufen!“ widerspricht Hubert.

„Aber ja, doch“, fällt Beatrice ein, „du bist doch ein ganzer Mann und stehst zu Deinem Satz.“ „Und wir finden es gut, dass auch Du die Demokratie wieder in unser Land zurückholen willst“, lobt ihn Tino, „solche wie dich brauchen wir in Deutschland. Es hilft uns sehr, wenn bekannte Leute anderer Parteien dasselbe sagen wie wir. Und deshalb wollen wir Dir helfen, dass die bayerischen Männer und Frauen wieder in Lederhosen und Dirndln zum Oktoberfest gehen dürfen.“

Foto: Nicolas Vollmer auf wikimedia commons

„Ich weiß nicht …“, antwortet Hubert zögerlich.

„Nur weil der Satz von uns ist, muss er für Dich noch lange kein Tabu sein“, unterbricht ihn Bernd. Und Alice fügt energisch hinzu: „Du wirst Dir doch von denen in Berlin nicht vorschreiben lassen, wie die Bayern zu ihrem Oktoberfest gehen dürfen.“

„Na ja, das bestimmt nicht“, lenkt Hubert ein.

„Du musst es ja auch nicht allein tun“, ermutigt ihn Bernd. „Wir werden unseren Björn in Thüringen anrufen und ihn fragen, ob er Dir hilft. Der kennt sich mit solchen Dingen aus.“

„Nein, nein … bloß das nicht!“ stottert Hubert erschreckt.

Jetzt schaut Alice ihn scharf und verächtlich an. Die beiden Männer sind aufgestanden und machen Anstalten, auf ihn zuzugehen. Hubert weicht zurück und will den Raum durch die offene Tür hinter ihm verlassen, aber sie ist verschwunden.

Dann wacht er auf und weiß nicht, ob er sich geschmeichelt, erleichtert oder gefangen fühlt.

Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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