Informative Streitschrift über Intoleranz

Foto: Raimond Spekking auf wikimedia commons

Susanne Schröter, Professorin für Ethnologie und Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt, setzt sich seit vielen Jahren für eine differenzierten und realistischen Blick auf den Islam ein, warnt vor den Gefahren des Islamismus und kritisiert die Politik der Islamverbände, denen der Staat ihrer Meinung nach allzu oft auf den Leim gehe. Sie hat sich damit nicht nur Freunde gemacht. Linke Aktivisten sind immer wieder mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ und des „antimuslimischen Rassismus“ zur Stelle und versuchen, Tagungen und öffentliche Diskussionsveranstaltungen zu stören, die Schröter mit ihrem Forschungszentrum veranstaltet.

Oft ist Polizeischutz notwendig, um die Veranstaltungen überhaupt durchführen zu können. Schröter hat insofern eigene Erfahrungen mit einer neuen Intoleranz, die sich an den Universitäten, im Kulturbetrieb und im öffentlichen Leben ausbreitet. Eine Intoleranz, die nicht nur Begriffe tabuisiert und Vorschriften für den Sprachgebrauch erlassen will, sondern inzwischen auch wissenschaftliche Fragestellungen für illegitim erklärt, wenn sie nicht mit den Dogmen vermeintlich fortschrittlicher Weltanschauung konform gehen.

Diese Tendenzen sind jedoch nicht unwidersprochen geblieben. Caroline Fourest, John McWhorter, Canan Topçu, Richard Münch und andere haben sich in- und außerhalb der Wissenschaft mit den Erscheinungsformen einer polarisierenden aktivistischen Praxis und deren ideologischen Stichwortgebern auseinandergesetzt1. Die Kritik an Cancel-Culture, verengten Rassismus-Konzepten und zwanghafter „political correctness“ hat inzwischen durchaus eine gewisse Breite gewonnen. Ganz neu ist die Entdeckung einer neuen Intoleranz in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft also nicht. Dennoch scheint das Thema keineswegs erledigt zu sein, wie nicht zuletzt die jüngsten Diskussionen um Israelfeindlichkeit und antisemitische Deutungsmuster in Kultur und Wissenschaft gezeigt haben.

In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Der neue Kulturkampf“ versucht Susanne Schröter zu zeigen, dass es sich bei diesen Konflikten nicht nur um ein paar Aufgeregtheiten im akademischen Milieu handelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das sich zunehmend zu einer Gefahr für die Freiheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswachse. Es ist eine Streitschrift, erkennbar auch durch eigene Betroffenheit motiviert. Dennoch ist das Buch informativ, gut und verständlich geschrieben und in der Argumentation durchweg überzeugend.

In der Debatte um den Islam sei es, wie Schröter schreibt, konservativen Verbänden gelungen, Tabuzonen zu errichten, die Frage nach der Rolle der Frau, das Tragen des Kopftuchs und der Haltung des Islam zu Homosexualität als „antimuslimischen Rassismus“ auszugrenzen und liberale Muslime zu diskreditieren. Das Schlimme dabei, Wissenschaftler, die es eigentlich besser wissen müssten, ließen sich immer wieder vor den Karren des konservativen Islam spannen und versuchten, kritische Stimmen aus dem wissenschaftlichen Diskurs auszugrenzen. Weil Muslime als benachteiligte Minderheit angesehen werden, würden kritische Befunde zur Realität des Islam als latent diskriminierend angesehen und deshalb ausgeblendet.

Leitbilder als Einfallstore

Wissenschaft verliert, wie Schröter zeigt, mit zu großer Nähe zu normativen Bekenntnissen ihre Unabhängigkeit und Objektivität. Politischer Aktivismus bemächtige sich zunehmend nicht nur der immer schon diskussions- und meinungsfreudigen Sozial- und Geisteswissenschaften, sondern der Universitäten als Ganze, und dies oft auf durchaus subtile Weise. Interessant ist dabei der Hinweis, dass das sehr verbreitete Formulieren von Leitbildern für Universitäten zum Einfallstor für Versuche der politischen Steuerung von Wissenschaft im Sinne der „woken“ Ideologie werden könne. Wenn in den Leitbildern ganz unverfänglich Bekenntnisse zu Geschlechtergerechtigkeit, Diskriminierungsfreiheit und Diversität abgegeben werden, rücke naturgemäß das klassische Ziel der Universität, die möglichst ungehinderte und an der Wahrheit orientierte Suche nach Erkenntnissen in den Hintergrund. Mehr noch, Forschungsinhalte würden inzwischen mit Hinweis auf Universitätsleitbilder als illegitim abgelehnt. Die kritische Forschung zum Islam wird unter Diskriminierungsverdacht gestellt, der Hinweis auf die Erkenntnisse der Biologie zur Zweigeschlechtlichkeit höherer Lebewesen und damit auch des Menschen gerät unter das Verdikt der „Transphobie“, also irgendetwas zwischen krankhaftem Wahn und offener Bösartigkeit. Wenn die Universität sich in ihrem Leitbild zur Nichtdiskriminierung und Vielfalt bekannt hat, sei es dann nur ein kurzer Schritt, mit Hinweis auf das Leitbild das Verbot bestimmter Forschungen, Vorträge oder Konferenzen zu fordern.

Für viele informativ dürften die Ausführung zum „postkolonialen“ Denkansatz sein, mit seinem scharfen Gegensatz zwischen der Welt des kolonisierten „globalen Südens“ und den Ländern des Westens, den ehemaligen Kolonialherren. Das damit verbundene Beharren auf einer andauernden kolonialen Schuld hat sich als überaus anschlussfähig und wirksam erwiesen, vom Nahostkonflikt bis hin zu weltpolitischen Verwerfungen, bei denen Autokratien wie China und Russland im Kielwasser der Kolonialismuskritik Einfluss im globalen Süden zu gewinnen versuchen. Schröter zeigt überzeugend, dass auch dieser für das „woke“ Denken zentrale Theorieansatz im Kern mehr Ideologie als Wissenschaft ist. Damit das Schwarz-Weiß-Bild des Postkolonialismus stimmt, werden schlechtes Regieren, Gewalt und Korruption in Ländern des globalen Südens ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass es dort schon vor der Kolonialisierung durch die Europäer Sklavenhandel, Unterdrückung und Ausbeutung gab. Das macht es zur Ideologie – falsches Denken zu praktischen Zwecken, die man bei der „woken“ Linken durchaus auch findet, wie Schröter beschreibt.

Gefährlicher Konformitätsdruck

Eine Vielzahl von gut bezahlten Stellen im öffentlichen Dienst für alle möglichen Beauftragten, aus Steuermitteln geförderten Verbände und „Nicht-Regierungs-Organisationen“ verdankten sich einer um sich greifenden, durchsetzungsstarken Minderheiten- und Identitätspolitik auf allen politischen Ebenen. Auf diese Weise sei Schröter zufolge eine regelrechte „Anti-Rassismus-Industrie“ entstanden, die den gesellschaftlichen Daueralarm pflege und dabei aber doch sehr wirksam die eigenen Schäfchen ins Trockene bringe.

„Woke“ heißt, wörtlich übersetzt „wach“ oder „aufgeweckt“, wogegen keiner etwas haben dürfte. Politisch ist „woke“ inzwischen jedoch zum Kennzeichen einer intoleranten Ideologie geworden, die mit geradezu hysterischer Akribie nach kleinsten Zeichen der Abweichung vom normativ für richtig Gehaltenen sucht und einen für eine freiheitliche Gesellschaft gefährlichen Konformitätsdruck erzeugt. Der konservative Islam, die Genderpolitik und das postkoloniale Denken haben inzwischen, folgt man Schröter, Geltungsansprüche mit totalitären Zügen. Kritiker werden nicht beim Argument genommen, sondern es werden ihnen bösartige und feindliche Intentionen unterstellt. Die logische Antwort ist dann nicht das vielleicht bessere Argument, sondern die Verächtlichmachung der Kritiker und das „Canceln“ ihrer Aktivitäten.

Schröters Buch zu diesen Phänomenen des Zeitgeistes argumentiert aus der liberalen Position eines kritischen Rationalismus und der Aufklärung, nicht wie etwa Sarah Wagenknecht, die schon vor Jahren über die „Lifestyle-Linken“ der urbanen Mittelschichten herzog, mit einer verquasten Mixtur von kleinbürgerlichen Ressentiments und anti-kapitalistischen Dogmen. Dass das Buch an vielen Stellen eine Streitschrift in eigener Sache ist, schmälert seinen Informationswert nicht. Etwas mehr analytische Distanz hätte vielleicht an manchen Stellen gutgetan, so erfrischend die Polemik gegen den „woken“ Zeitgeist an Universitäten, in Politik und Medien auch sein mag.

Ein Verriss

Lukas Geisler hat in der Frankfurter Rundschau einen Verriss des Buches von Schröter veröffentlicht, der auf gewisse Weise Schröters These einer intoleranten und ausgrenzenden Diskurslogik auf der Linken bestätigt. Schröter kritisiert das Konzept der „postmigrantischen Gesellschaft“, die Methodik der „Mitte-Studien“ mit ihren dramatisierenden Befunden eines latenten Autoritarismus in den deutschen Mittelschichten und stellt, wie eine ganze Reihe anderer Autoren auch, fest, dass es inzwischen eine gewisse Überrepräsentanz „woker“ Deutungsmuster im Kulturapparat, den Medien und in öffentlichen Institutionen gibt. Geisler setzt sich nicht mit den einzelnen Kritikpunkten auseinander, sondern unterschiebt Schröter einfach, dass sie damit letzten Endes nichts anderes vertrete als die These des „Kulturmarxismus“, die die Nationalsozialisten zur Rechtfertigung der Gleichschaltung von Wissenschaft und Medien entwickelt hatten. Schon ist aus einer liberalen Kritikerin der postmodernen Linken eine geheime Sympathisantin der Nazis geworden.

Auch der rechtsradikale norwegische Massenmörder Anders Breivik habe ja den Kampf gegen den „Kulturmarxismus“ als Motiv seiner Taten angegeben. Im Buch Schröters gibt es für eine solche an Perfidie kaum zu übertreffende Assoziationskette überhaupt keinen Ansatzpunkt. Hier zeigt sich im Grunde genau das, was Schröter aufs Korn nimmt – die Verweigerung rationaler Diskussion und die Ausgrenzung von, im vorliegenden Fall sogar sehr gut begründeten, Argumenten aus dem Bereich des diskursiv Zulässigen. Es überrascht dann nicht, dass Geisler Rezension im Verdikt endet, es handele sich bei dem Band Schröters um ein „rechtsextremes Buch“ einer „Gegenaufklärerin“, der die Frankfurter Goethe-Universität aus unerfindlichen Gründen nach ihrer Emeritierung auch noch eine Forschungsprofessur verliehen habe.

Nein, Schröters Buch ist eine Streitschrift, die naturgemäß auch vom zugespitzten Urteil lebt. Es hat in manchen Passagen sicher auch den Charakter einer Abrechnung mit einer illoyalen Kollegenschaft in der Fachzunft und mancher Heimtücke auf Seiten der aktivistischen Gegenspieler Schröters an der Universität. Ein „rechtsextremes Buch“ ist es aber ganz und gar nicht. Es ist vielmehr jedem zur Lektüre zu empfehlen, der oder die sich kurz und knapp, aber fachlich gut fundiert über die Hintergründe des „woken“ Denkens informieren will.


1  Siehe nur: Caroline Fourest: Generation beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei, Berlin 2020: Edition Thiamat; Canan Topçu: Nicht mein Anti-Rassismus, Köln 2021: Bastei-Lübbe; Sarah Wagenknecht: Die Selbstgerechten, Frankfurt am Main 2021: Campus; John McWhorter: Die Erwählten. Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet, Hamburg 2022: Hoffman und Campe; Richard Münch: Polarisierte Gesellschaft. Die postmodernen Kämpfe um Identität und Teilhabe, Frankfurt am Main 2023: Campus.

Susanne Schröter: Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht. Freiburg: Herder 2024 | ISBN 978-3-451-39710-3 | 20€

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Matthias Schulze-Böing
Dr. Matthias Schulze-Böing studierte in Frankfurt am Main und Berlin Soziologie, Volkswirtschaft und Philosophie. Er arbeitete in der Sozialforschung, schrieb Schulfunksendungen und lehrte in der Erwachsenenbildung. Bis Ende 2020 war er Leiter des Amtes für Arbeitsförderung, Statistik und Integration der Stadt Offenbach am Main, zur Zeit arbeitet er als Berater für die Stadt Offenbach und ist Vorsitzender der Gesellschaft für Wirtschaft, Arbeit und Kultur e. V. (GEWAK), Frankfurt am Main, in der er zusammen mit der Goethe-Universität Frankfurt Forschungsprojekte und Projekte zum Wissenschaftstransfer im Bereich der Arbeitsmarktpolitik umsetzt. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Arbeitsmarkt, zur Sozialpolitik, zur Verwaltungsreform, zur Stadtentwicklung und zu Themen der Migration.

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