Die Idee mit seinem Buch gab er auf

Als der zweiundachtzigste Geburtstag des Bruders anstand, wollte sich der Mann etwas Besonderes ausdenken. Wie wäre es, wenn er ihm die Recherchen über die Nazizeit ihres Dorfs als ein Buch überreichen würde, das ihn, den Jüngeren, das Jaköbl, zum Autor hätte? Was würde das für eine Überraschung geben, und wie sehr würde es den Rest der Sippe beeindrucken! Die Idee hatte nur einen Nachteil, ihre Verwirklichung hakte. Der Mann bot sein Manuskript den Verlagen an, aber von dort kamen nur Absagen. Die variierten wie die Ansagen der Deutschen Bahn: Signalstörung, Stellwerksschaden, erhöhtes Fahrgastaufkommen. Mit dem Satz Sie haben ein sehr wichtiges Thema behandelt, aber leider… fingen die E-Mails meist an, oder der Satz bildete die Kadenz.

Von einem auf dem Buchmarkt erfolgreichen Freund bekam der Mann einen Tipp. Er müsste eine Literaturagentur einschalten. Ohne einen solchen Makler könnte man bei einem Verlag gar nicht landen. Wer Unterkunft in einem Haus begehrte, würde sich doch auch nicht wie ein Einbrecher gebärden. Die angegebene E-Mail-Kontaktadresse also eine zu vermeidende Brechstange! Der Mann folgte dem Rat.

Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Schlusskapitel des Buches “Dorfansicht mit Nazis”
des bruchstücke-Autors Peter Kern. Das Buch erschien in diesen Tagen im Verlag Hentrich & Hentrich, 250 Seiten, 24,90 €, ISBN: 978-3-95565-647-8

Die Agentin wollte wissen, ob er schon einmal einen Preis für Nachwuchsautoren gewonnen hätte. Er nannte sein Alter und den in hohen Jahren noch erfolgreichen Theodor Fontane. Ob er sich mit dem vergleichen wolle, fragte Frau Knebel. Sie las gnädig ein paar Kapitel und bestätigte das Urteil der ersten Instanz: zu sehr Sachbuch und zu wenig Personality Story. Auch zwischen den romanhaften und autobiografischen Teilen herrsche Kuddelmuddel. Außerdem komme ein Buch gegen das von Spielberg gelieferte ikonografische Bild der Shoah nicht mehr an. Und der Text weise zu viel Personal auf, schrieb sie noch. Da war es also wieder, das erhöhte Fahrgastaufkommen. Der Mann kam ins Grübeln: Was hatten die Heiligenbilder der Ostkirche mit Schindlers Liste und mit seinem Manuskript zu schaffen? Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er als hoffnungsloser Fall, als Störung im Betriebsablauf, rüberkam. Und die Zeit lief ihm davon; der Geburtstag des Bruders war in Anmarsch. Sommer’s almost gone, Morrisons Song der Vergeblichkeit ward dem Manuskript gesungen.

Wider Erwarten meldete sich doch noch ein Verlag und signalisierte Interesse. Der Text lese sich ganz ordentlich, aber die Mittel des Verlagshauses seien begrenzt. Ob der Mann nicht in Vorleistung treten könne? Die Frage verwirrte ihn. Wer schriftstellert, wird nicht bezahlt, sondern muss bezahlen? Eine schöne Erfahrung! Er überlegte, ob er seinen Bruder anpumpen und ihm sagen solle, er brauche Geld, um ihm ein tolles Geburtstagsgeschenk zu machen. Dann kam ihm eine Idee, staatliches Fördergeld betreffend. Das gab es doch für alles und jedes, wusste der Gewerkschaftsmann. Warum nicht auch für sein Buchprojekt? Der Weg, um an solche Gelder zu kommen, führt über das Büro des Staatssekretärs. Ein Staatssekretär ist der Ohrenbläser des Ministers, und wenn man sein Ohr findet, hat man schon halb gewonnen. Ein Wirtschaftsministerium fördert Technologie mit dem Zweck, dass Arbeitsplätze herausspringen. Könnte ein Bildungsministerium nicht sein Projekt fördern mit dem Zweck, dass ein Buch dabei herausspringt? Ein Buch schafft vielleicht keinen neuen Arbeitsplatz, aber erhält schon vorhandene. Zum Beispiel in der darbenden Druckmaschinenindustrie.

Mit knappsten Mitteln und viel Ehrenamt

Also schrieb er dem Herrn Staatssekretär im Ministerium für Bildung und Wissenschaft eine E-Mail. Den Tonfall solcher Briefe hatte er ja drauf. Sehr geehrter Herr Staatssekretär Buck, lieber Genosse Manfred…Nach Wochen kam eine E-Mail zurück. Der Herr Staatssekretär war voll des Lobes über das in Auszügen erhaltene Manuskript. Solche Arbeit bräuchte es. Der Mann sah sich eingereiht in die Schar der aufrechten Kämpfer gegen Faschismus und rassistische Hetze. Aber leider verfüge das Ministerium über keinen geeigneten Topf, war zu lesen. Der Mann solle sich mit seinem Anliegen an den Herrn Bergader vom Haus für Demokratie wenden.

Dem dortigen Hausherrn schickte der Mann die Herrn Bucksche Mail. Der antwortete prompt und setzte den Staatssekretär ins Cc. Herr Bergader schilderte seine Stiftung als eine, die mit knappsten Mitteln und mit viel Ehrenamt eine außerordentliche Erinnerungsarbeit leiste. Hätte man mehr Budget, könnten solche von Hobbyhistorikern geschriebene Sachen ihre verdiente Unterstützung finden. Aber leider, leider… Am nächsten Tag kam wieder elektronische Post vom Herrn Bergader; die Kopie für den Staatssekretär war unterblieben. Die Stiftung habe bei ihrer schürfenden Erinnerungsarbeit diverse Baustellen offen, erfuhr der Bettler um Fördergeld. Eine betreffe die Stadt A, Geburtsstadt eines Nazi-Oberbonzen, dessen Biografie noch nicht geschrieben, eine andere die Stadt B, deren Mikwe noch mit keinem Bildband gewürdigt sei. Und jetzt komme er daher und wolle vom eh schon knappen Geld noch was abhaben, musste der Mann folgern.
Was hatte er denn zu bieten? Den Gauleiter und Adolf Eichmann-Vorgesetzten aus seinem Heimatdorf? Dessen Biografie gab es schon! Baronin Germaine Rothschilds Rettungsaktion für die pfälzischen Judenkinder? Für Historiker nichts Neues! Edith Steins Aufforderung an den Papst, sein Schweigen zu beenden und den Nazis entgegenzutreten? Der Fachliteratur nicht ungekannt! Nahm man es genau, blieben ihm nur die Lebensgeschichte von ein paar Nichtpromis, darunter sein Vater. Dessen Spruch fiel ihm wieder ein: Mid de große Hund pisse wolle, awer es Bä ned hoch grie. Die E-Mail endete mit dem Rat des Fachmanns vom Haus für Demokratie, es bei der Rodalber Sparkasse zu probieren; vielleicht gäbe die sich für ein Sponsoring her.

Katholische-Provinz-Atmosphäre in den 50er Jahren (Foto: privat)

Der Mann suchte schon nach Pseudonymen für die in seinem Manuskript verzeichneten Dorfnazis. Der Auschwitz-Aufseher hatte doch sicher Nachkommen, und vielleicht zählten diese zu den Kunden der Sparkasse. Wie den Namen Butz so verfremden, dass er nicht identisch mit dem eines Kontoinhabers war? Das gleiche Problem mit den arischen Nutznießern des den Gebrüder Samuel gestohlenen Sägewerks. Zwar gab es den Betrieb nicht mehr, denn die Holzbaracke war abgebrannt; aber deshalb mussten die Bernds und Knechts doch nicht ausgestorben und ohne örtliche Bankverbindung sein. Aus dem Boldekarl einen Noldekarl machen, um der Kollision mit der weitverzweigten Familie aus dem Weg zu gehen? Den Namen Karch so verändern, dass wenigstens noch ein phonetischer Anklang übrigblieb? Eine alberne, aufs Gesäß anspielende Idee kann ihm in den Sinn. Und unseren Mann plagte plötzlich das schlechte Gewissen, fühlte er sich doch vor eine innere Wahrheitskommission gezerrt, die pathetisch befand, die Wahrheit sei dem Menschen zumutbar und kein Buch sei besser als ein dermaßen zensuriertes. Der Brief an die Sparkasse Westpfalz, Geschäftsstelle Rodalben, Hauptstraße 136, unterblieb.

Der verhinderte Autor musste der Sache ins Auge sehen: Das Großherauskommen des gewesenen Jaköbl, seine Verwandlung in einen Jakob, fiel ins Wasser. Die Idee mit seinem Buch gab er auf…

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Peter Kern
Peter Kern hat Philosophie, Politik und Theologie in Frankfurt am Main studiert, war kurzzeitig freier Journalist, dann langjähriger politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall und ist nun wieder freier Autor und Mitarbeiter der Schreibwerkstatt Kern (SWK).

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