Protest und Mobilisierung mit dem Smartphone als Nahkörper-Technologie

In der Streifzüge-Serie bisher erschienen: (1) Misstrauen, massenmedial potenziert

Unter den Corona-Demonstrant:innen nehmen die sich als „Querdenker“ selbst titulierenden Querdenk:innen einen besonderen Platz ein. Es sind Menschen, die ihren Zweifel an der Realität auf Dauer gestellt haben. Mit ihrem Generalverdacht, manipuliert zu werden, können sie der Komplexität der Welt einen (fragwürdigen) Sinn geben. Für diese von entgrenztem Misstrauen getragene Gruppierung spielt die digitale Kommunikationstechnik eine besondere Rolle.

Die Protestaktionen der „Querdenken“-Bewegung gegen die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie formierten sich in einer Zeit zunehmender Verbreitung von Social Media wie Telegram, Gap, Signo oder Dlive. Sie wollten Alternativen nicht nur zur Nachrichtenverbreitung durch Rundfunk und Presse bieten, sondern auch zu den großen Social Media-Plattformen und Messenger-Diensten wie Facebook, Twitter (jetzt X), Youtube oder Whatsapp.

Wir haben ein gut dokumentiertes Beispiel, wie die Telegram-Gruppe „Querdenken (753 Konstanz) Diskussion & Austausch – Wir für das Grundgesetz“ diesen Anspruch realisieren wollte.1 Es zeigt, wie die medientechnische Konstellation des Smartphones und die Optionen der App Telegram ihre Praktiken und Kompetenzen ermöglichten und bedingten. Welchen Einfluss haben die digitalen Skills der Querdenker:innen auf die Mobilisierungs- und Protestformen? Wie werden sie eingesetzt, um das grundlegende Misstrauen der „Querdenker“ gegenüber (massen-) medialen Darstellungen zu rechtfertigen?

Autoritäre Praktiken und Digital Literacy

Die „Querdenken“-Bewegung ist heterogen und widersprüchlich. In der Pandemie kreisten ihre Themen um Covid-19, Masken und Impfung, aber auch Klimapolitik und (vermeintlich außer Kraft gesetzte) Grundrechte. Sie ist aber auch in einer anderen Hinsicht heterogen: praktisches Wissen und die Kompetenz des Social Media-Gebrauchs sind höchst ungleich verteilt, und in Folge dessen die Möglichkeiten des Teilens, Mitteilens und der Teilhabe an Wissen, das für Querdenker:innen relevant ist.

Wie digitale Skills zum Einsatz kommen, werde ich am Beispiel der Aktivitäten von „Querdenken (753 Konstanz)“ rund um eine Demonstration am Bodensee im Oktober 2020 vorstellen. In den Kommunikationen ging es um den regen Informationsaustausch über Wetterverhältnisse, die Parkplatzsituation vor Ort, Termine, Treffpunkte und Live-Bilder, die die Querdenker:innen mit anreisenden Teilnehmer:innen verbanden. Das Smartphone mit seiner GPS-Funktion ermöglichte die orts- und situationsbezogenen Interaktionen im Instant Messenger Telegram. Das eng am Körper mitgeführte Gerät war unverzichtbar für die eilig koordinierten mobilen Ad-hoc-Aktivitäten.

Jeder „Querdenker“ hätte potenziell von den Orten des Geschehens im Livebroadcast berichten können, aber diejenigen, die tatsächlich vom Geschehen sendeten, waren privilegiert. Sie hatten ein gewisses Renommee in der „Querdenker“-Bewegung wie z.B. ein Funktionär der „Alternative für Deutschland“ (AfD) oder waren „alternative“ TV-Journalist:innen mit professionellen Erfahrungen in der Berichterstattung.

Auch im digital vernetzten Broadcasting wurden die Ungleichheiten in der Verteilung von Skills, praktischem Wissen, technischer Ausstattung und Finanzierung deutlich. Die Profis nutzten dieses Gefälle in der Sende-Kompetenz aus. Frage einer „einfachen“ User:in: “Wer hat eigentlich diese ganzen Live-Übertragungen, die Ausstattung und das Filmflugzeug bezahlt?“ Antwort: „Friedliebende Menschen.“

In Chatgruppen sind die Aufforderungen zum Sharing omnipräsent. Zahlreiche Nachrichten stammen aus großen, den „Querdenkern“ nahestehenden Telegram-Kanälen wie „Fakten, Frieden, Freiheit“, die zum Teil von prominenten Protagonist:innen gehostet werden. In die Rubriken „Diskussion“ und „Austausch“, die für die Demonstration am Bodensee reserviert waren, mischten die Betreiber:innen einen dichten und unüberschaubaren Nachrichtenstrom hinein. So wurde der Gruppen-Chat enger mit dem Netzwerk „alternativer“ Nachrichtenmedien verwoben und schließlich von ihm dominiert.

Screenshot: TGStat

Über das Prüfen und Bewerten von Informationsquellen gab es keinen Konsens in der Konstanzer Gruppe. Für die mögliche Klärung der Frage, was Fake ist und was nicht, fehlten eindeutige Evaluierungsstandards. So ließen sich Kontroversen darüber nicht abschließen. Einer User:in, die Zweifel am Wahrheitsgehalt von hatte, entgegnete man im Chat:

„Ich sehe hier eine Menge Leute, die ständig rumnörgeln und nach Quellen rufen und das Wesentliche aus dem Blick verlieren … Verdammt noch mal, es geht um unsere Freiheit“.

Streit und Spaltung spielten eine zentrale Rolle in der Telegram-Gruppe. Zum einen war die Zugänglichkeit zur Gruppe nur gering reguliert, so dass „fast jede oder jede“ zu ihr stoßen konnte. Zum anderen konnten Administrator:innen störende Nachrichten ohne weitere Hinweise aus dem Chat-Verlauf löschen. So fehlten Screenshots, die während der Protest-Aktivitäten entstanden waren, später in Bildschirmaufnahmen des Chatverlaufs. Einige User:innen, die die Gemeinschaftlichkeit der Gruppe zu stören drohten, wurden als „Trolle“ stigmatisiert. Vermeintliche „Trolle“ zu löschen oder zu blocken, sind für Social Media typische Taktiken. Querdenker:innen bestätigen sich so wechselseitig ihr Misstrauen.

Medienmisstrauen, Masken als „Maulkorb“

Die öffentlich-rechtlichen Medien scheinen unter Querdenker:innen unter dem ständigen Verdacht der Parteilichkeit, der Einseitigkeit oder sogar der Unterwanderung zu stehen. In der Pandemie schenkten sie hingegen „alternativen“ Medien und Medizinerinnen Vertrauen und Glaubwürdigkeit, die allein qua ihrer Andersartigkeit Authentizität beanspruchen konnten. Entscheidend war die diametrale Abgrenzung zum „Mainstream“.

Medienmisstrauen richtete sich nicht nur gegen Apps und Plattformen, sondern auch gegen Infrastrukturen der digitalen Vernetzung wie z.B. 5G-Mobilfunkstandards. Medien standen in der „Querdenken“-Bewegung generell unter Verdacht. Ihnen haftet grundsätzlich die Doppelfigur aus Transparenz und Opazität an.

Die Abgrenzung machte auch vor anderen Demonstrant:innen nicht halt. Eine User:in postete Fotos zu einer Gegendemonstration: „Gegendemo mit Maulkorb (Antifa?)“. So wurden Masken, die dem Gesundheitsschutz dienten, zu „Maulkörben“ umgedeutet, die einer Beeinträchtigung der medialen Bedingungen einer gesellschaftlichen Teilhabe (durch Wider-Sprechen) entsprachen.

Ausblick

Wir treffen auf eine neue, digital ermöglichte Art von Protest und politischer Artikulation auf Grundlage des Misstrauens. Alles ist dafür mobilisierbar: der Austausch von Text, Bild- und Sprachnachrichten, Lokalisierung, Terminierung und Koordinierung von Protestpraktiken sowie die Recherche und Weiterleitung von bewegungsrelevante Informationen. Smartphones sind als digitale Nahkörpertechnologien und hochgradig personalisierte Devices eng in Alltagspraktiken eingewoben.

… demnächst werden Überlegungen folgen, die die innere Logik der Meinungsbildung dieser Gruppen ausführlicher beschreiben.

… es geht um die Zusammenhänge zwischen der von Misstrauen getragenen ideologischen Vergemeinschaftung und individuellen psychischen Verarbeitung von Krisen mit der digitalen medialen Form.


 1 Siehe Isabell Otto, „Querdenken“ in Smartphone-Gemeinschaften. Digitale Skills und Medienmisstrauen in einem Telegram-Gruppenchat, in: Sven Reichert (Hrg.), Die Misstrauensgemeinschaft der „Querdenker“ – die Corona-Proteste aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive, Frankfurt 2021, Campus Verlag. S.155-179

Klaus West
Dr. Klaus-W. West (kww) arbeitet freiberuflich als wissenschaftlicher Berater, u.a. der Stiftung Arbeit und Umwelt in Berlin. Zuvor kontrollierte Wechsel zwischen Wissenschaft (Universitäten Dortmund, Freiburg, Harvard) und Gewerkschaft (DGB-Bundesvorstand, IG BCE).

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