
Die Parteien wirken an der demokratischen Willensbildung des Volkes mit (Art. 21 GG). Mitwirken heißt aber nicht, die alleinige Zuständigkeit für alles Politische zu haben. Politik kann viel – aber eben nicht alles. Der Verdruss gegenüber der Politik entsteht auch daraus, dass von der Politik selbst der Eindruck erweckt wird, auch da Abhilfe schaffen zu können, wo sie objektiv an ihre Grenzen stößt. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen.
Verkauft die Automobilindustrie in Deutschland und weltweit weniger Autos oder/und benötigt wegen einer Umstellung der Antriebsart für die Produktion weniger Menschen, dann hat dies Auswirkungen auf die Beschäftigung bis weit hin zu den Zulieferern. Die Folge davon ist, dass gut regulierte Industriearbeitsplätze wegfallen und Ersatz auf dem gleichen Niveau nur schwer, wenn überhaupt, geschaffen werden kann.
Was man von der Politik erwarten kann (muss), ist, dass sie Rahmenbedingungen schafft, um die Folgen dieser Entwicklung so sozial wie möglich zu gestalten. Wie weit in diesem Zusammenhang die Eingriffe in unternehmerisches Handeln reichen, welche strukturpolitischen Impulse gesetzt und welche finanziellen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden, ist Sache der politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien.
Hüten sollte sich die Politik davor, den Eindruck zu erwecken, sie wäre in der Lage, die betroffenen Menschen vor dem Wegfall ihrer jeweiligen aktuellen Arbeitsplätze zu bewahren, jeglichen Strukturwandel und die damit verbundenen nachteiligen Folgen zu verhindern.
Geraten in Deutschland Menschen unverschuldet in Not, ist es selbstverständliche Aufgabe des Staates diesen Menschen zu helfen. Wie umfangreich diese Hilfe ausgestaltet wird, ist wiederum Sache der politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Ebenfalls ins Feld der Politik gehört es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die möglichst viele Menschen davor bewahrt, in eine Situation zu kommen, in der sie auf die Hilfe des Staates angewiesen sind. Bei der politischen Beurteilung des Sachverhaltes sind die Parteien aber gut beraten, wenn sie mitbedenken: Form und Höhe staatlich organisierter Solidarität über den Weg von steuerfinanzierten Hilfen oder sozialversicherungsgestützten Zahlungen müssen breite Akzeptanz bei denen finden, die mit Beiträgen und/oder Steuern diese Aufwendungen finanzieren, weil sonst z.B. die Sozialversicherungssysteme an Akzeptanz verlieren.
Die Politik darf allerdings nicht den Eindruck erwecken, sie sei in der Lage, allen Menschen zu garantieren, den jeweiligen individuellen Vorstellungen entsprechend ihr Leben gestalten zu können und dafür die finanzielle Gewähr zu übernehmen. Zur Wahrheit gehört, weder den aktuellen Wohnort, noch den favorisierten Beruf und schon gar nicht den jeweiligen oder bevorzugten Arbeitsplatz kann die Politik garantieren. Zumutungen sind in diesem Zusammenhang unvermeidlich. Wer die eigene Not oder eine prekäre Lage selbst heraufbeschwört, kann ebenfalls nicht damit rechnen, von der Allgemeinheit grenzenlos aufgefangen zu werden. Wie weit die Eigenverantwortung reicht und wo das eigene „Verschulden“ beginnt, das wiederum ist eine Frage des parteipolitischen Streites.
Wenn unser Bildungssystem in großem Umfang Schulabbrecher produziert, und der Lernerfolg nicht unwesentlich vom sozialen Status der Eltern abhängig ist, dann muss das alle politischen Akteure beunruhigen und zum Handeln animieren. In welcher Form und mit welchen Maßnahmen dies geschieht, ist sicher unbestritten eine Sache der politischen Auseinandersetzung.
Die Grenzen von politischen Versprechen sind aber da zu ziehen, wo der Eindruck erweckt wird, dass bei richtiger Förderung jeder und jede alle Bildungsziele erreichen könne und es eben nicht auch auf individuelle Veranlagung und persönliche Bereitschaft zur Leistungserbringung ankäme. Schule, Berufsausbildung und Studium erfordern eben auch in hohem Maße einen eigenen Beitrag, der mit keiner staatlichen Maßnahme ersetzt werden kann.
Dass der deutsche Sozialstaat auch auf Migranten eine gewisse Anziehungskraft entfaltet, ist im Kern ja der Beweis dafür, dass bei uns nicht alles so schlecht sein kann. Wenn Menschen aus vielen Ländern auf dieser Welt ihr Zukunft bei uns suchen, dann kann man es ihnen nicht verübeln. Wie weit die Bereitschaft reicht, denjenigen, die zu uns kommen wollen ein „Willkommen“ entgegenzurufen, ist eine Sache der persönlichen Einstellung, der individuellen Betroffenheit und sicher auch der schieren Anzahl. Dass die Partei- und Wahlprogramme hier unterschiedliche Prioritäten setzten und Antworten geben, muss unsere Demokratie aushalten.
Wer aber politisch den Eindruck erweckt, dass durch ein „konsequentes politisches Handeln“ der Migrationsdruck von Deutschland zu nehmen wäre, der überschätzt die Wirkung der ins Feld geführten administrativen Maßnahmen und streut den Wählerinnen und Wählern Sand in die Augen. Er produziert so, gewollt oder ungewollt, Verdruss bei denen die, tatsächlich oder nur gefühlt, Migranten „als Belastung“ empfinden.
Es ist zu befürchten, selbst wenn wir wollten, könnten wir die Zäune um Deutschland (Europa) gar nicht so hoch bauen, als dass die Menschen, die zu uns kommen wollen, sie nicht überwinden würden. Ehrlich machen heißt in diesem Zusammenhang zuzugestehen, dass die Dublin Regeln nicht mehr taugen, eine gemeinsame abgestimmte Migrationspolitik in der EU nicht zu machen ist und wir deshalb die damit verbundenen Herausforderungen national lösen müssen. Zum „Ehrlichmachen“ gehört aber auch, zuzugeben, dass die Belastungen und Herausforderungen, die der Migration wegen auf unsere Gesellschaft zukommen, nicht alle Einheimischen in gleichem Maße betrifft. So schwer es fallen mag, es führt kein Weg daran vorbei, nicht jede/r Geflüchtete wird bleiben können, und unsere konkrete Abschiebungspraxis kommt einem Ausweis staatlichen Versagens gefährlich nahe.
Ob man es für falsch oder richtig findet, dass die Bundesregierung die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg unterstützt, ist eine Frage, die man je nach politischem Standpunkt so oder so beantworten kann, ohne sich deshalb zwangsläufig außerhalb des demokratischen Spektrums zu stellen. Das gilt auch für die Einschätzung der mit der jeweiligen Haltung verbundenen Risiken.
Was man allerdings als Befürworter der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht verschweigen darf, ist die Tatsache, dass diese Unterstützung viel Geld kostet, das dann für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Egal ob durch Umschichtungen im Haushalt oder durch die Aufnahme zusätzlicher Schulden: Es bleibt ein finanzieller Aufwand, mit dem keine bleibenden Werte geschaffen werden. Es verwandelt sich ein Teil des Bruttosozialproduktes in militärisches Gerät ohne eine Perspektive dafür, dass daraus irgendwann wieder werthaltige Substanz wird. Alle Logik spricht dafür, Kriegsgerät unterliegt im Falle eines Krieges dem Risiko der Zerstörung.
Es lässt sich nicht seriös bestreiten, dass der Klimawandel eine Tatsache ist. Dass die Menschheit einen entscheidenden Anteil daran hat, dürfte unter den demokratischen Parteien in diesem Land auch unbestritten sein. Dass unser Wohlstand im weltweiten Maßstab sehr hoch ist, kann auch niemand in Abrede stellen. Wie und mit welchen Instrumenten dem Klimawandel begegnet werden kann, ist unter den politischen Parteien in diesem Land umstritten und das ist auch in Ordnung.
Wenn allerdings der Eindruck erweckt wird, das 1,5 Grad Ziel wäre zu erreichen ohne Veränderungen im Verbraucherverhalten, ohne Einschränkungen beim Energieverbrauch, ohne Wandel im Mobilitätsverhalten und ohne dass es etwas kostet, im Gegenteil, dass dies sogar noch zu Wohlstandsgewinnen führt, dann ist das ein politisches Versprechen, dessen Einhaltung nicht in der Hand der Politik liegt. Mag sein, dass irgendwann technische Lösungen am Horizont sichtbar werden, daraus neue Geschäftsfelder entstehen und dadurch die alten industriellen Arbeitsplätze durch neue Jobs ersetzt werden. Windkraftanlagen, Photovoltaik und Wärmepumpen allein werden dafür aber nicht ausreichen.
Ehrlich wäre es zu sagen: Zum Nulltarif ist der Klimaschutz nicht zu haben und solange die Menschen zu kollektiver Vernunft nicht bereit oder in der Lage sind, wird das nichts mit dem Kampf gegen die Erderwärmung.
Bis zum 23. Februar gibt es auf Bruchstücke einen Wühltisch zur Wahl
mit Beobachtungen, Analysen, Kritiken, Hoffnungen, Prognosen.
Bisher erschienen:
(1) Gute Zeichen, schlechte Zeichen: Das Tarifergebnis bei VW, der Wahlkampf und die Parteiprogramme
(2) Seltsame politische Blüten entfalten sich da
(3) America first und Germany first mögen sich
(4) Politik ist (k)ein Spiel
(5) Europa unter Druck, Deutschland ohne Kompass am Scheideweg
(6) Der eigene Murks von gestern soll heute zum Wahlsieg verhelfen
Zu guter Letzt
Auch im Wahlkampf darf von den Politikern, wollen sie glaubwürdig bleiben, nicht verschwiegen werden, dass es im politischen Handeln Zielkonflikte gibt, die sich nicht auflösen lassen, sondern nur jeweils angemessen bedacht werden können. Die sicher derzeit problematischste Zielkonfliktlinie verläuft zwischen „Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung“ einerseits und „Klimaschutz“ andererseits“. (Der Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit kann in diesem Kontext einmal hintangestellt werden, weil für dessen Lösung die Tarifvertragsparteien „zuständig“ sind.) Im laufenden Wahlkampf wird die Diskussion bestimmt von der „Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft“ mit den Folgen für Vollbeschäftigung und den Auswirkungen auf gut regulierte Industriearbeitsplätze.
Völlig ausgeblendet werden die Folgen von „Null- oder Minuswachstum“ auf den Klimaschutz. Vor dem Hintergrund des aktuellen Energiemix in Deutschland ist die These „weniger Wachstum = gut fürs Klima“ sicher nicht völlig abwegig. (Die Frage, ob im globalen Kontext ein endliches System ständig wachsen kann, sei für heute einmal vernachlässigt.) Was „jeweils angemessen“ bedeutet, konkretisiert sich derzeit in der politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Allerdings in der Regel so, dass je nach politischem Gebetbuch nur eine Seite der Medaille beleuchtet wird.
Den Zielkonflikt aber zu benennen und damit den Wählerinnen und Wählern „reinen Wein“ einzuschenken, ist dringend geboten, will man das Feld nicht den Populisten überlassen. (Dass sich für die Industrie- Gewerkschaften mit Blick auf die vordergründige Interessenlage ihre Mitglieder hier ein riesiges Spannungsfeld eröffnet, sei nur am Rande erwähnt.) Dass das Thema „Klimaschutz“ gewaltige Emotionen freisetzen kann, wird uns jeden Tag vor Augen geführt.
Trotzdem oder gerade deswegen lastet auf der Politik die Verantwortung, dem Wahlvolk im Wahlkampf auch unbequeme Wahrheiten nicht vorzuenthalten und Wählerinnen und Wähler nicht von jeglicher Erwartung an eigenverantwortliches Handeln zu verschonen. Ob das hilft, dem Klimaschutz den Stellenwert beizumessen, den er verdient, muss angesichts der laufenden Diskussion mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Angela Merkel, Bundeskanzlerin a.D., hat das in ihren Memoiren (Freiheit, S. 618/619) so ausgedrückt:
Auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt bleibt für mich die Frage unbeantwortet, ob wir Menschen tatsächlich willens und in der Lage sind, im Sinne der Vorsorge den Warnungen des Weltklimarates und anderer ernst zu nehmender Experten gerecht zu werden und die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig zu treffen. Bisher ist der Beweis dafür noch nicht erbracht, weder im eigenen Land noch in der Weltgemeinschaft. Diese Feststellung lastet schwer auf uns, mich eingeschlossen.
Ein deprimierender Befund, der nicht von der Hand zu weisen ist.