„Mitte“ ist Merz nur noch in der eigenen Partei

Foto: Olaf Kosinski auf wikimedia commons

Ein gegebenes Wort zu halten ist ein Leichtes, wenn der Wortbruch keinen Vorteil verschafft. Das Versprechen kostet dann nichts, es gleicht einer edlen Geste. Ob das Versprechen etwas taugt und auf die schönen Worte etwas zu geben ist, erweist sich nur in einer Art Stresstest: Bleibe ich bei meinem Wort, auch wenn es mit Verzicht verbunden ist? Merz kann nicht verzichten; zu verlockend erscheint ihm der politische Gewinn, den er aus der Mordtat eines Wahnsinnigen ziehen will. Die Untat eines nicht Zurechnungsfähigen verlockt zu einer kühl kalkulierten Aktion eines Politikers, der sich sehr schlau dabei dünkt. Steht er vor einem Scherbenhaufen, oder geht sein Kalkül auf? Der 23. Februar wird es zeigen.

Es war eine Aktion, denn ein parlamentarischer Akt, mit dem eine Gesetzgebung mit Lesung und nochmaliger Lesung ihren Lauf nehmen soll, war diese Finte der CDU-Verantwortlichen natürlich nicht. Man will die anderen vorführen. Was von der Ampel übrig blieb, soll in die Tonne. Der symbolische Rest des Asylrechts soll auch in die Tonne, nachdem es materiell längst ausgehöhlt ist. Alle die Bundesrepublik umgebenden Länder müssen als sichere Drittstaaten gelten. Wer hierzulande um Asyl bittet, muss mit dem Fallschirm angelandet sein. Dafür hat die ganz große Koalition längst gesorgt.

Werden aus Merz‘ Parolen Gesetze und wird sein Karriereplan (vom Rentner zum Kanzler) doch noch wahr, wird er sich mit seinen Amtsbrüdern, z. B. dem in Österreich, ins Benehmen setzen müssen. Sobald er dem Herrn Kickl ‚all die dunkelhäutigen, auf der Flucht befindlichen Elenden‘ zurück ins schmucke Salzkammergut schicken will, wird Friedrich Merz eine Otto-Rehhagel-Weisheit nachvollziehen müssen: Die Wahrheit ist auf dem Platz. Die auf deutschem Territorium befindlichen Migranten, warum soll ihm der Kickl die abnehmen? Teilt er doch das Urteil des Herrn Merz: alles Gesocks, Vergewaltiger und Totschläger. Wohin also mit den Flüchtlingen?

Europa, vom Nationalismus zertrümmert?

Merz hat mit seiner die Stimmung der Verhetzten aufnehmenden Aktion die Europäische Union schwer beschädigt. Vielleicht darf er künftig einmal – als der Regierungschef des für die EU wichtigsten Landes – für sich in Anspruch nehmen, der Verweser der europäischen Einigungsidee zu sein. Sein Vorstoß macht deutlich, was der Wert langwierig verhandelter europäischer Vereinbarungen ist. Für den sogenannten Asylkompromiss muss nun gelten: wie gewonnen, so zerronnen. Herr Orban wird sich freuen. Merz stand mit seiner Aktion unter Druck, denn die Flüchtlingszahlen gehen aktuell ja zurück. Was für ein Glück für ihn, dass die Tat eines Irren die Schlagzeilen dominiert und nicht dieser Fakt.

Wird es eine mit einer Zunge sprechende Europäische Union künftig noch geben? Die Union kann sich doch rückentwickeln zu einer reinen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; EWG – die Älteren erinnern sich noch. Das will die AfD und Merz will es auch. Politisch gilt ansonsten Germany First. Ein politisch zertrümmertes Europa mit wiederbelebten Nationalismen – Trump und Xi Jinping wird es recht sein.

Seinen Freunden von den Unternehmensverbänden wird Merz erklären müssen, wie es gehen soll mit der Freizügigkeit des Warenverkehrs in der EU, wenn jeder Spediteur an der Grenze zu kontrollieren ist und hinter der Grenze die Fabriken auf die dringend benötigten Bauteile endlos warten müssen. Just in time, das war dann einmal. Den Wirtschaftsfachmann wird man Merz kaum abnehmen können. Das „Institut für Weltwirtschaft“ hält Merz’ „Zustrombegrenzungsetz“ für eine schlechte Idee. Das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ sagt, es „wird Deutschland schaden.“ Ein Land, das sich derart xenophob präsentiert, wird kaum zum Sehnsuchtsort der dringend benötigten Arbeitskräfte werden. Etwa 400.000 werden laut Schätzung der Unternehmerverbände jährlich benötigt.

Screenshot: Website Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Merz zeigt semantische Kreativität. Das „Zustrombegrenzungsgesetz“ handelt von einer Sache, aber es geht auch um Menschen. Man will eine neue „Gefährderkategorie“ eingeführt sehen und nimmt damit in Kauf, was aus dieser Kategorisierung folgen wird: „Eine Stigmatisierung psychisch kranker Menschen ist dabei ausgeschlossen“, heißt es in einer Art salvatorischer Klausel. 

Merz ist von der Trumpschen Gestik begeistert, von Sätzen wie „Meine erste Regierungshandlung wird es sein…“ Es gehört zur kulturellen und politischen Wetterkunde, dass der US-Einfluss auf die hiesigen Verhältnisse einige Zeit braucht, bis er sich geltend macht. Das gilt für die jeweils angesagte Popkultur genauso wie für die politische Kultur. Merz übereilt sich; er will den Trump machen, aber es dauert noch, bis die deutsche Gesellschaft die ganz grellen Auftritte goutieren wird. Die in der Medienöffentlichkeit präsenten Köpfe arbeiten daran, und auch da gibt es schon die ganz große Koalition. Weidel lässt sich wie Helene Fischer feiern und für Wagenknecht gehen die leuchtenden Armbändchen an, wenn die Diva den verdunkelten Raum betritt und der Parteitag ihr zujubelt.

Die jungen Rechtsaußen der CDU


Politik als Entertainment. Dabei bleibt draußen vor, was zu bewältigen ansteht: der völlige Umbruch der deutschen Industriegesellschaft hin zu CO2-freien Produktionsprozessen. Wenn sich der Kanzlerkandidat zwei Sätze dazu abquält, sind sie von der ihm eigenen Ambiguität: Einmal propagiert er Technologieoffenheit statt Festlegung auf Wind- und Sonnenenergie, um am nächsten Tag den auf der energetischen Basis von Wasserstoff produzierten Stahl für unmöglich zu erklären. Er setzt auf eine entpolitisierte Öffentlichkeit, die sich schnell langweilt und mit Mord und Totschlag unterhalten werden will.

Er würde alles noch mal genau so machen, so der selbst erklärte Mann der Mitte am Ende einer ereignisreichen Woche. Mitte ist er aber nur noch in der eigenen Partei. Die als Ohrfeige verabreichte Erklärung der Ex-Kanzlerin hat ein Dutzend Merkelianer der Bundestagsfraktion aufgeweckt und veranlasst, dem zur Debatte stehenden Gesetz die Zustimmung zu verweigern, eine Distanzierung, der sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident und Berlins regierender Bürgermeister angeschlossen haben. Neben den Merkel-Nostalgikern machen dem Kanzlerkandidaten noch die jungen Rechtsaußen des eigenen Ladens zu schaffen. Carsten Linnemanns Absage an die AfD klingt so:

„Das Nazi-Bashing gegen die und das Brandmauergerede müssen aufhören. Diese Partei steht auf dem Wahlzettel. Ja, da sind auch Rassisten dabei, aber sie werden durch Nazi-Vergleiche und Brandmauergerede nur noch bedeutender.“ 

Wirklich Bedeutende wollen Linnemann, Amthor et altera einmal werden, richtige Minister und Kanzler eines künftigen Kabinetts. Warum dafür nicht die Hilfe der AfD in Anspruch nehmen?  Merz hat doch die Parole ausgegeben: Das Richtige wird nicht falsch, weil es von den Falschen Unterstützung findet.

 Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf „Neurologie gegen Faschismus“ Screenshot: tiktok

Peter Kern
Peter Kern hat Philosophie, Politik und Theologie in Frankfurt am Main studiert, war kurzzeitig freier Journalist, dann langjähriger politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall und ist nun wieder freier Autor und Mitarbeiter der Schreibwerkstatt Kern (SWK).

1 Kommentar

  1. In der Debatte am Freitag im Bundestag hat die Gruppenvorsitzende der Partei „Die Linke“ Heidi Reichinnek der CDU/CSU Fraktion zugerufen: „Wir brauchen eine konservative Partei“. Soll dies mehr als ein Lippenbekenntnis sein, dann muss man einer konservativen Partei auch zugestehen, dass sie konservative politische Positionen vertritt. Genau da liegen die Schwierigkeiten in der Debatte.

    Nun ist es sicher nicht konservativ, sondern geschichtsvergessen mit Rechtsextremen und Nazis im Parlament nach Mehrheiten zu suchen bzw. diese billigend in Kauf zu nehmen. Die mich beindruckenden Demonstrationen am vergangenen Wochenende bestärken mich in der Hoffnung, dass ein großer Teil der Bevölkerung der CDU/CSU diesen Tabubruch nicht durchgehen lassen will.

    Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die inhaltlichen Vorschläge von CDU/CSU und anderer demokratischen Parteien zur Migration in der Bevölkerung nicht auf die gleiche Ablehnung stoßen wie das taktische Verhalten im Bundestag. Anders ausgedrückt: Es ist politisch legitim und man muss es einer konservativen Partei zugestehen, die Auffassungen zu vertreten, die im „Zuwanderungsbegrenzungsgesetz“ ihren Niederschlag gefunden haben. Genauso wie es politisch legitim ist, das Gesetz abzulehnen. Darüber in der Sache zu streiten und damit in der Bevölkerung für Mehrheiten zu werben gehört zur Demokratie, ja ist geradezu ihr Wesenskern. Mit der „Nazikeule“ solche konservativen Positionen zu brandmarken und sie damit offen oder subtil außerhalb des demokratischen Diskurses zu stellen, ist nicht nur ein schwerer Fehler, sondern verbietet sich, wenn man es mit der Meinungspluralität ernst nimmt und die Erkenntnis teilt, dass es in Deutschland eine konservative Partei geben muss.

    Halten wir fest: Im demokratischen Spektrum gibt es in der Migrationsfrage grundlegend unterschiedliche Auffassungen. Welche dieser Auffassungen von der Bevölkerung mehrheitlich mitgetragen wird, das wird die kommende Bundestagswahl zeigen. Wer das Thema der AfD wegnehmen will, der muss nach der Wahl dazu ein überzeugendes Regierungskonzept vorlegen. Kompromissbereitschaft und Kompromissfähigkeit wird dazu voraussichtlich von allen demokratischen Parteien die den Sprung ins Parlament schaffen gefragt sein. Mit dem Kopf durch die Wand ist genauswenig ein tragfähiges politisches Konzept, wie die völlige Verweigerung sich eines Themas anzunehmen von dem ein großer Teil der Bevölkerung erwartet, dass sich etwas ändert.

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