Droht eine radikalkonservative Ära?

Das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, die Bundesgeschäftsstelle der CDU, am 2. Februar 2025
Foto: © Claudia Pienkny

Die Demonstrationen der vergangenen Tage an vielen Orten mit überraschend vielen Protestierenden gegen den Wort- und Tabubruch von Friedrich Merz und das Zusammenwirken zwischen Union und AfD haben einen erfreulichen Widerstand gegen den politischen Rechtsruck in Deutschland gezeigt. Aber sie spiegeln keine gesellschaftlichen Mehrheiten wieder. Merz hat sich auf dem Parteitag am Montag dieser Woche in Hamburg von jeder Zusammenarbeit mit der AfD sowie einer Duldung und einer Minderheitsregierung abhängig von der AfD eindeutig abgegrenzt und dafür besonders deutlichen Beifall der Parteitagsdelegierten bekommen. Das zeigt, wie groß das Unbehagen über den Wegfall der Distanz zur AfD selbst in weiten Teilen der CDU war. Das schließt auch für den Tag nach der Wahl eine Änderung dieses Kurses aus, wenn die CDU nicht gespalten oder zerrieben werden will. Aber so paradox es sein mag, die zurückliegende Woche hat die Position von Friedrich Merz und seinen Kurs gestärkt.

Auch weitere Proteste werden an dem Erstarken von Merz nichts ändern. An der Geschlossenheit von CDU und CSU ist, anders als 2021, bis zum Wahltag nicht mehr zu zweifeln. Merz´ Positionen einer inhumanen und teilweise rechtswidrigen Verschärfung in der Asyl- und Migrationspolitik finden nach den vorliegenden Befunden eine Mehrheit in der Bevölkerung. Merz hat die schrecklichen Gewalttaten von Magdeburg und Aschaffenburg genutzt, um die Migrationspolitik, die bis dahin kein dominierendes Thema im Wahlkampf war, erfolgversprechend ins Zentrum zu stellen.

Die Parteien der Ampel haben es in den zurückliegenden Jahren nicht geschafft, einen Kurs in der Migrations- und Asylpolitik zu finden, der das Unbehagen und die Ängste in der Bevölkerung ernst nimmt, humane Grundsätze bewahrt und das Vertrauen in eine europäische Lösung der Asylpolitik stärkt. In den Vorschlägen der Union geht es nicht um einen gezielten Schritt, die Ursachen, die zu schweren Straftaten wie in Magdeburg oder Aschenburg geführt haben, besser zu erkennen und gezielt zu bekämpfen, sondern um die grundsätzliche Wende in der Asylpolitik hin zu Ausgrenzung und Abschottung, die auch alle hier lebenden Migrantinnen und Migranten tangiert. Diese Wende war schon im Grundsatzprogramm der CDU von Anfang 2024 formuliert.

Die Kirchen kommen zu spät

Merz hat sich mit dem Kurs einer neoliberalen Wirtschafts-, Migrations- und Kulturwende durchgesetzt, Widerstand in der CDU ist nicht mehr vorhanden. Von den Sozialausschüssen ist schon seit geraumer Zeit nichts zu hören, ein liberaler Flügel ebenfalls nicht feststellbar. Merz, einst dem rechten Flügel der CDU zuzuordnen, ist, ohne seine Position zu ändern, zusammen mit Carsten Linnemann, Jens Spahn und manch anderen zum dominierenden Zentrum der Partei geworden.

Das Sofortprogramm zeigt die Richtung der Unionsparteien im Brennglas. Es hebt die neoliberale Zuspitzung in der Wirtschaftspolitik, die Verschärfung in der Sozialpolitik, die wörtlichen Rück-Schritte in der Energie und Gesellschaftspolitik mittels Aufhebung etlicher Gesetze hervor. Die Unionsparteien werden mit ihren Vorstellungen zwar eine weitere massive Umverteilung von unten nach oben einleiten, aber die durch digitale Transformation bedrohten Arbeitsplätze nicht retten und die für das Überleben notwendige Energie- und Klimawende stoppen.

In der Migrationspolitik bestätigt das Sofortprogramm das Fünf-Punkte-Programm von Merz. Der Widerstand der Kirchen und der zivilgesellschaftlichen Organisationen ist aus der Sicht der CDU zu vernachlässigen. Der Einwurf der Kirchen kommt auch zu spät. Sie hätten schon längst bei der Formulierung der inhumanen Asylpolitik im Grundsatzprogramm ihre Stimme unüberhörbar erheben müssen, haben sich aber mit keinem Wort dazu geäußert, sich mit dem nachträglich in den Programmentwurf aufgenommen „Gottesbezug“ zufriedengegeben. Dass die Grünen jetzt kurzfristig ein „Zehn-Punkte-Programm“ für mehr Sicherheit bei humaner Flüchtlingspolitik vorlegen, ist zwar richtig, verweist aber auf Defizite in der Vergangenheit, nicht früher und entschiedener gegen das wachsende Unbehagen in der Bevölkerung in der Ampel-Koalition reagiert zu haben.

Screenshot: Website CDU

Der Rechtsruck ist manifest

Man kann davon ausgehen, dass die hoffentlich andauernden Protestaktionen dazu führen, das Wählerpotential der SPD und der Grünen optimal zu mobilisieren, damit der Abstand dieser Parteien zur Union am Wahltag so gering wie möglich wird. Der Rechtsruck in der Gesellschaft ist manifest. Die Ampelkoalition konnte dem mit ihrer Politik in den zurückliegenden drei Jahren nichts entgegensetzen. Dazu hat auch die Art ihres Regierens beigetragen. Christian Lindner konstatiert jetzt, die Ampel zu spät verlassen zu haben, und hält „Disruption“ al la Milei in Deutschland für notwendig. Seine Frühform der Disruption war die Destruktion in der Ampel. Die anderen Ampelparteien und Olaf Scholz als Regierungschef hätten das erkennen und die Zusammenarbeit mit der FDP früher beenden müssen.

Bei aller Verurteilung des Verhaltens von Merz im Umgang mit der AfD mit zum Teil drastischen Worten haben SPD und Grüne für die Zeit nach dem Wahltag gleichzeitig ihre Gesprächs- und Koalitionsbereitschaft betont. Die Größe ihres Abstandes zum Wahlergebnis der Union wird darüber entscheiden, wie tiefgreifend und nachhaltig der Rechtsruck des künftigen Regierungshandelns sein wird. Die Ausgangslage ist schlechter als 2005, als die Union mit Angela Merkel knapp vorn war. Damals wurden in der Koalition mit der fast gleich starken SPD die neoliberalen Programmpunkte aus Merkels Anfangszeit als Parteivorsitzende und des Leipziger CDU-Parteitages von 2003 (Herzog „Kopfpauschale“, Merz „Bierdeckelsteuerreform“) sang- und klanglos beerdigt.

Merz und die Union werden diesmal von zentralen Programmpunkten nicht so leicht abrücken. Merz wird zwar nicht mit einer Zusammenarbeit mit der AfD drohen können, aber damit, dass ein Abrücken von den von der Union formulierten Eckpunkten in der Migrationspolitik und in der Gesellschaftspolitik die AfD weiter zu stärken drohe. 2025 wird es daher, auch in einem grundlegend geänderten europäischen und globalen Umfeld, weit schwieriger sein, eine tiefgreifende neoliberale und neokonservative Tendenzwende in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft einzugrenzen. Ob damit eine radikalkonservative Ära Merz droht, wird, sich erst am gesellschaftspolitischen Widerstand der nächsten Jahre entscheiden.

Bis zum 23. Februar gibt es auf Bruchstücke einen Wühltisch zur Wahl mit Beobachtungen, Analysen, Kritiken, Hoffnungen, Prognosen rund um Fragen wie, kommt im Februar der Merz.
Bisher erschienen:
(1) Gute Zeichen, schlechte Zeichen: Das Tarifergebnis bei VW, der Wahlkampf und die Parteiprogramme
(2) Seltsame politische Blüten entfalten sich da
(3) America first und Germany first mögen sich
(4) Politik ist (k)ein Spiel
(5) Europa unter Druck, Deutschland ohne Kompass am Scheideweg
(6) Der eigene Murks von gestern soll heute zum Wahlsieg verhelfen
(7) Was Politik kann und wovor sie sich hüten sollte

Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

2 Kommentare

  1. Eine radial-konservative Ära wird aus Deutschland ein Potemkin’sches Dorf machen.

    Vor allem: Was passiert, wenn wir merken, dass es uns trotz Ab- und Ausgrenzung nicht besser, sondern immer schlechter geht?

    1. Das Problem bzw. die Gefahr sehe ich auch. Ich fürchte, das führt zu einer weiteren Mobilisierung hin zum rechten Rand. Ob, wann und unter welchen Bedingungen aus den Ansätzen, die jetzt zu sehen sind, wieder eine nachhaltige links-liberale Bewegung wird, weiß ich nicht.

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