Im Zweifel sogar für Sahra Wagenknecht

Wenn die Maske der Politikerin Sahra Wagenknecht — im Sessel neben Markus Lanz sitzend, kerzengerade, kerzengerader, am kerzengeradesten — noch einmal an Vollkommenheit gewinnt, und die Politikerin ihre Sprechapparatin (Formulierung allein zu Ehren der wokehassenden SW) anwirft: ich verurteile den Krieg von Putin, aber …, natürlich ist Putin ein Diktator, aber auch bei uns …, ja, die Ukraine leidet, aber sie haben auch so viele Faschos dort und so weiter, dann ahne ich, welch` ein Genuss es wäre, würde sie, gefühlt, nicht in jede, nur in jede zehnte Talkrunde eingeladen. Mir ist bewusst: Diese Erleichterung ist letztlich verwerflich, allerdings doch zulässig.

Das Folgende jedoch ist unzulässig: Ihrer Partei fehlen etwa 9.500 Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen. Es gibt Vermutungen, dass es ganz anders sein könnte. Trotzdem gibt es immer noch keine bundesweite Neuauszählung. Und „unsere“ parlamentarischen Gremien in Berlin tun gerade so, als könnten sie sich eine solche fahrlässige Unterlassung auch noch leisten. Die beiden renommierten Politikwissenschaftler Eckhard Jesse und Uwe Wagschal kritisierten in der FAZ den hochproblematischen Stand der Dinge.
Hauchdünne 0,019 Prozentpunkte mehr bei der vergangenen Bundestagswahl und die SW-Truppe säße im Bundestag, und es gäbe diese Regierung nicht, denn schwarz-rot hätte keine Mehrheit. Nach dem vorläufigen Wahlergebnis in der Wahlnacht fehlten dem BSW gut 13.000, nach dem endgültigen Ergebnis nur noch 9.529 Stimmen. Es stellte sich heraus: WählerInnen verwechselten beispielsweise nicht selten das rechtskonservative Bündnis Deutschland (BD) mit dem BSW; diese Kleinstpartei mit dem Kürzel BD stand auf dem Wahlzettel auch noch direkt vor dem BSW. Zudem wurden BSW-Stimmen ursprünglich als ungültig gewertet. Das BSW reichte Mitte März beim Bundesverfassungsgericht Organklage ein — mit dem Ziel der bundesweiten Neuauszählung. Dieses verwies auf den gemächlichen Gang der Dinge: Zuerst prüfe der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages, und erst wenn der alle Einsprüche verworfen habe, könne die Organklage überhaupt zugelassen werden. Die Berliner Oberdemokraten lassen sich jedoch arrogant viel Zeit: Der neunköpfige Wahlprüfungsausschuss des Parlaments tagte Ende Juni, also drei Monate nach der Konstituierung des neuen Bundestages, zum ersten Mal. Um festzustellen: Es gäbe ja wahnsinnig viele Einsprüche, auch noch welche gegen die letzte Europawahl. Das werde wohl dauern. Die beiden Wissenschaftler Jesse und Wagschal ziehen den Schluss: „Eine bundesweite Neuauszählung ist angesichts des knappen Ausgangs und vieler Ungereimtheiten nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend geboten.“ Es gehe „um das Vertrauen in den demokratischen Verfassungsstaat“. Recht haben sie.

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

1 Kommentar

  1. Das ist eine spannende Geschichte, die Wolfgang Storz aufgeschrieben hat. Es sei nicht auszuschließen, dass das BSW womöglich doch noch in den Bundestag einbezogen werde, weil …..aber Genaues weiß man da nicht, weil die vorgeschriebene Prozedur der Prüfung von Einsprüchen gegen das offizielle Wahlergebnis einer Bundestagswahl andauere. Schon zu lange andauert. Das ist wahr.

    Das Bundesverfassungsgericht hat ja den Gesetzgeber bereits gemahnt, gerügt, weil er sich mit der Wahl des Wahlprüfungsausschusses (neun Mitglieder plus neun Ersatzleute, weit überwiegend Rechtsanwälte) drei Monate Zeit gegeben habe. Beschwerden gegen das festgesetzte Wahlergebnis liefen demnach in den ersten Monaten ins Leere. Das ist ein Aufreger Thema. Ein Thema, das die Wiesen und Gründe, Almen und Vorgärten, auf denen Vermutungen und Verdächtigungen wachsen können, zum Blühen bringt.

    Daneben liegt Mensch doch, der da mehr vermutet. Und das aus einem einfachen Grund (dass das so ist, das liegt nicht allein aber auch an der Zunft, der Storz und viele andere, darunter der Autor angehören).

    An der Festsetzung eines Bundestagswahlergebnisses, an der Prüfung des Ergebnisses, an der Überprüfung der Überprüfung sind so viele beteiligt, dass zwar Fehler kleinerer Art nicht ausgeschlossen sind, aber ein Fehler, der mit einer sich anschließend bildenden Absicht verknüpft wäre, der würde nicht durchlaufen.

    Spielen wir´s doch durch! Anlässlich der Überprüfung einer Überprüfung würde festgestellt, dass tausende Stimmen irgendwo anders gelandet sind als von Wählerinnen und Wählern beabsichtigt. Dieser Vorgang ging durch so viele Hände, pardon Köpfe, dass ein „unter der Decke halten“ ausgeschlossen wäre. Die damit befasste „Menschenkette“ ist einfach zu lang. Irgendwann ist Schluss mit „der Decke“. Machen wir alle uns da man nichts vor.

    Man kann ein langwieriges Verfahrensergebnis mit einem wie auch immer gearteten Ergebnis am Ende weiterhin anzweifeln. Aber für solche Fälle ist Frau Präsidentin Klöckner nicht zuständig, sondern ein Mann namens Dan Brown .

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