Gefährliche Gedankenspiele, nicht nur in der FAZ, auch in der Union

Foto: Leonhard Lenz auf wikimedia commons

Das Handeln der Unionsparteien ist, seit Friedrich Merz die Union führt, wesentlich von der AfD und deren Wahlerfolgen bestimmt. Dem zugrunde liegt die CDU-eigene Analyse, dass den Unionsparteien „rechts“ etwas fehle und dies der Grund für das Erstarken der AfD sei. In der falschen Willkommenskultur und Asylpolitik von Angela Merkel sah Merz den Hauptgrund für das Scheitern der Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2021; auch die die mangelnde Geschlossenheit der Unionspartien im Bundestagswahlkampf 2021 führte er darauf zurück. Seither hat er die Abwehr gegen die AfD, neben der Durchsetzung einer neoliberalen Agenda, zum Hauptinhalt seiner Programmatik und Politik gemacht. Aber gleichzeitig laufen gefährliche Gedankenspiele, nicht nur in der FAZ, auch in der Union.

Jedes Stöckchen, das die AfD in Sachen Asyl-, aber auch Kulturpolitik hinhält, wird von Merz mehr oder weniger deutlich als Ziel übernommen. Das begann mit dem Asyl- und Migrationskapitel des neuen Grundsatzprogramms von 2024, begleitet von dem vollmundig formulierten Ziel, mit seiner Politik die Wählerzustimmung zur AfD zu halbieren und gleichzeitig eine Brandmauer gegen die AfD zu errichten. Das Halbierungsziel zerschmolz bei der Europawahl und den Landtagswahlen 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg schneller als die Gletscher im Klimawandel. Aber das führte nicht zur Einsicht, dass der Überbietungswettbewerb in der Verschärfung der Abschottungspolitik bei Asyl und bei der Radikalisierung des Grünen- und Gender-Bashings der falsche Weg ist. Im Gegenteil, im Wahlkampf Ende 2024/Anfang 2025 wurden mit jedem entsetzlichen Terroranschlag in der Wortwahl und inhaltlich immer mehr AfD-Positionen übernommen – bis hin zu der fatalen Verabschiedung des „Fünf-Punkte-Plan für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“ mit den Stimmen der AfD am 29. Januar 2025.

„Brandmauer statt Brandstifter“: Demonstration vor der CU-Zentrale am 29. Januar 2025 (Foto: Leonhard Lenz auf wikimedia commons)

„Brandmauer-Hysterie“

Es blieb bisher für die Landes- und Bundesebene bei der Brandmauer, wenn auch auf kommunaler Ebene in den östlichen Bundesländern vielfach durchlöchert. Sie wurde von Merz auch immer wieder bekräftigt. Aber die immer weiter schwelende Debatte über Sinn und Unsinn der Brandmauer nimmt aktuell ziemlich Fahrt auf. Im Umfeld der Programmdiskussion 2023/2024 war es vor allem Andreas Rödder, damals noch Vorsitzender der Grundwerte-Kommission der CDU und in dieser Position verantwortlich für den Grundsatzteil des Programms 2004, der gegen die Brandmauer stichelte. Rödder spricht sich im September 2023 für mögliche CDU-geführte Minderheitsregierungen aus, die ihre Mehrheiten mit Unterstützung der AfD erzielen. Die schon damals von der CDU geforderte „Brandmauer“ gegenüber der AfD ist für ihn „Brandmauer-Hysterie“1. Später fordert z.B. Jens Spahn als Fraktionsvorsitzender die AfD im Bundestag „wie jede andere Oppositionsfraktion“ zu behandeln, also ihr Präsidiums- und Ausschusssitze zuzubilligen. Dazu kommt es zwar nicht, aber die Glut unter der Brandmauer schwelt weiter, weswegen Merz sich immer wieder bemüßigt fühlt, die Brandmauer zu bekräftigen, bis hin zum Bürgerdialog in Meschede am 18. Oktober 2025 mit dem klaren Satz: Es werde „keine Zusammenarbeit mit einer Partei“ geben, die alles infrage stelle, was Deutschland stark gemacht habe – „jedenfalls nicht unter mir als dem Parteivorsitzenden der CDU Deutschlands2.

Wenige Tage später geht die Debatte um das Verhältnis zur AfD erst richtig los. Wiederum Andreas Rödder, aber auch der frühere CDU-Generalsekretär aus der Zeit Merkels, Peter Tauber, und der wie Kaspar aus der Kiste immer wieder auftauchende Karl Theodor zu Guttenberg fordern mit unterschiedlichen Formulierungen einen anderen Umgang mit der AfD. Es ist kein Zufall, dass dies zeitgleich mit dem handfesten unionsinternen Streit um das beschlossene Rentenkonzept stattfindet, dem schwersten Konflikt nach dem missglückten ersten Anlauf zur Wahl von Verfassungsrichtern.

Ein zentraler Punkt aus der Koalitionsvereinbarung und der ebenso klare Regierungsbeschluss zur Sicherung des Rentenniveaus bis 2031 mit nachhaltiger Wirkung wird von der Jungen Union strikt abgelehnt. 18 Unionsabgeordnete unter 35 Jahren drohen mit der Ablehnung im Parlament, was bei 12 Stimmen Regierungsmehrheit das Scheitern des Konzepts bedeutete. Junge Union und Abgeordnete nehmen auch in Kauf, dass das Rentenniveau ab 2032 nicht schrittweise, sondern sehr rasch von 48% auf etwa 44% absinkt, die zugesagte Sicherung somit nicht nachhaltig ist, ein Wahlabschreckungsprogramm für Rentner:innen und rentennahe Jahrgänge. Das ist nicht nur für die SPD keinesfalls akzeptabel.

Weg von der Mitte?

Der Unionsfraktion scheint der „Zwangscharakter“ der Koalition, zu der es keine demokratische Alternative gibt, bewusst zu werden, was hier im Blog bruchstücke3 schon längst thematisiert worden ist. Einige Abgeordnete fürchten künftige Auseinandersetzungen um Grundsicherung oder die Asylpolitik, in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik, um neue Flüchtlinge, wenn sich der Ukrainekrieg weiter in die Länge zieht oder dramatisch, auch mit neuer Massenflucht, enden sollte. Auch die aktuellen Umfrageergebnisse zu AfD und Union zusammen mit dem Ergebnis der Kommunalwahl in NRW (bei der die CDU ungeschoren davonkam, die SPD auch in ihrem Stammland verlor, aber die AfD ihr Ergebnis verdreifachen konnte) mögen Gedankenspiele befördern – vor allem jedoch der Blick auf die Landtagswahlen 2026. Sie haben zu einem „deep research“ geführt, nicht durch ChatGPT, sondern mit Hilfe des manchmal liberalen, im politischen Teil meist strikt konservativen Flaggschiffs des seriösen deutschen Journalismus, der FAZ.

Fast in einer Art Dramaturgie wird erst ausführlich über Minderheitsregierungen in Sachsen und Thüringen als disziplinierendes Lernprogramm für die SPD doziert4, wenige Tage später über den „Notausgang“ aus der Koalition in eine Minderheitsregierung für den Fall, dass die SPD doch zu aufmüpfig wird5, und schließlich am Tag darauf die wissenschaftlich begründete Aufforderung, dem politischen Rechtsschwenk auch die entsprechende Namensänderung der Unionsparteien weg von der Mitte hin zu „rechten“ Parteien folgen zu lassen6, also die „Mitte“ endgültig aufzugeben.

35. Bundesparteitag der CDU in der Bonner Beethovenhalle, 1987
(Foto: Arne Schambeck auf wikimedia commons)

Solche Gedankenspiele sind verlockend, aber fatal, so dass es der FAZ selbst mulmig wurde7. Denn angesichts der aktuellen Umfragen zu den Landtagswahlen in vier bzw. fünf Ländern im Jahr 2026 scheinen Lockerungsübungen für manche in und im Umfeld der Union ebenso naheliegend wie für die Demokratie brandgefährlich. Für Sachsen-Anhalt könnte, wenn überhaupt, nur eine „demokratische Allianz“ die Machtübernahme durch die AfD verhindern. Sollte die AfD die absolute Mehrheit erringen, sind alle anderen Überlegungen hinfällig. Gegen die „demokratische Allianz“ steht aber die von der CDU fatal beschlossene Gleichsetzung von AfD und Die Linke, der abzuschwören fast schon zu spät, aber dringend geboten ist. Auch in Mecklenburg-Vorpommern müsste sich die CDU nach heutigem Stand in eine demokratische Allianz bewegen. Da ist vielleicht der Weg einer „Rechts-Union“ als Koalitionspartner der AfD bequemer. In Berlin wäre noch eine schwarz-rot-grüne Koalition möglich, vorausgesetzt die CDU treibt ihr Grünen-Bashing nicht weiter auf die Spitze.

Aber auch in den westlichen Bundesländern sind die AfD-Lockerungsbewegungen interessant. So könnte die CDU in Rheinland-Pfalz eventuell zwischen einer Koalition mit der SPD oder mit der AfD wählen und sich das von dem Meistbietenden teuer bezahlen lassen. Und selbst in Baden-Württemberg wäre eine Koalition einer „Rechts-Union“ mit der AfD eine Alternative zu einer ungeliebten Koalition mit den Grünen oder, wenn mathematisch notwendig mit den Grünen und der SPD.

Für demokratische Allianzen, gegen das Hufeisen-Konzept

Bewusst sind hier alle Möglichkeiten einer ungeschminkt und formal rechts gewendeten CDU/CSU durchgespielt, um deutlich zu machen, wie realitätsbezogen der Artikel-Dreiklang ist im serösen Paradeblatt des gehobenen Bürgertums, nicht in der Springer-Presse des Elon Musk-Freundes Matthias Döpfner. Es läuft einem beim Schreiben ein kalter Schauer über den Rücken, weil der amtlich anerkannte rechtsextreme, hassvolle und hetzende, gewaltbereite und völkische Charakter der AfD so leicht in den Hintergrund tritt. Die Reaktionen innerhalb der CDU und CSU auf solche „rechten“ Lockerungen sind hier nicht einkalkuliert. Gibt man den Lockerungsbestrebungen nach, würden sie im Ergebnis die Christenunion zerstören, weil großen Teilen der CDU-Mitglieder und Funktionäre die AfD zuwider ist.

Wenn man die Worte von Merz über die Zerstörung der Union als Ziel der AfD für bare Münze nimmt, ist ihm das auch bewusst. Wenn Merz sein eigenes eben zitiertes Wort ernst nimmt, muss er all diesen Gedankenspielen rasch ein Ende bereiten und nach der Rede von Frank-Walter Steinmeier vom 9. November 2025 sowohl als Regierungschef als auch als Parteivorsitzender die Prüfung eines AfD-Verbots in Regierung und Parlament erkennbar vorantreiben. Mehr noch: Das Hufeisenkonzept der Gleichsetzung von AfD und die Die Linke gehört vom Tisch, weil es die Union zu demokratischen Allianzen unfähig macht. Das Pech von Merz ist sein zweimaliger Wort- oder Tabubruch, sodass man fragen kann, ob sein Wort Bestand hat. Aber er will wohl nicht als Kraft der Selbstzerstörung der CDU in die Geschichte eingehen. Und die Zerstörung der CDU durch Spaltung, Austritte, Unterordnung, auf welche Art auch immer, wäre zwangsläufig die Folge eines wie immer gearteten Zusammengehens mit der AfD.

Meldung der „Berliner Morgenpost“ vom 18. 11. 2025:
„Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion hat in der ‚Welt‚-Sendung ‚Meinungsfreiheit‘ der Union aus CDU und CSU eine Minderheitsregierung angeboten. Baumann erklärte: ‚Das wäre ein Befreiungsschlag im Sinne der Wahlversprechen der CDU. Das wäre eine Befreiung für die CDU und eine Befreiung für Deutschland.‘ Seine Partei sei dafür bereit, da viele Positionen, die Merz im Wahlkampf vertreten habe, im wesentlichen Kern AfD-Positionen seien.“
Siehe auch in der FAZ (paywall): „Eine Minderheitsregierung wäre für die Union gefährlich
und das ntv-Interview von Wolfgang Schroeder „Sie nutzen die strategische Schwäche des Kanzlers erbarmungslos aus

Es ist kein Herbst der Reformen, sondern einer der Zuspitzungen. Zu hoffen ist, dass es noch genügend Kräfte in der CDU gibt, die sich das vorsichtig formulierte Fazit der eigenen Konrad-Adenauer-Stiftung über den Umgang konservativer mit rechtspopulistischen Parteien in Europa zu Herzen nehmen: „dass in maßgeblichen Fällen eine ‚Zähmung‘ rechtspopulistischer oder gar rechtsextremer Parteien durch Kooperation nicht gelungen ist und eher zu einer Schwächung der EVP-Mitgliedsparteien geführt hat8. Das fehlende Gespür für die Gefahr durch die NSDAP und die eklatanten Demokratie-Defizite der konservativen Partien, einschließlich des Zentrums unter dem katholischen Prälat Ludwig Kaas, haben den Weg in den Niedergang 1933 besiegelt. Berlin ist nicht Weimar, aber völkischer Populismus und gewaltbereiter Radikalismus sollten nicht noch einmal unterschätzt werden.


1  Siehe Klaus Lang, Die rechte Mitte. Konservative Radikalisierung von CDU und CSU? Eine Flugschrift, Hamburg 2025, S. 1
2  RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland), 19.10.2025
3  bruchstuecke.info: Thomas Weber, Kanzler Merz – das Tor zur Vorhölle ist stets offen
4  Regieren ohne Mehrheit: Geht das? Von Leonie Feuerbach, Andreas Nefzger und Markus Wehner, FAS vom 2. November, S. 1
5  Wohin bitte geht´s zum Notausgang? Die Union arbeitet am Erfolg der Koalition – aber hinter den Kulissen berät sie über Alternativen. Von Jochen Buchensteiner
6  FAZ+ Debatte um Selbstbezeichnung. Sollte die CDU sich „rechts“ nennen? Von Jan Koltermann, 17.11.2025
7  FAZnet, Eine Minderheitsregierung wäre für die Uniongefährlich. Ein Kommentar von Berthold Kohler, 17,11,2025
8  Zwischen Abgrenzung, Einbindung und Tolerierung. Fallbeispiele für den Umgang mit rechtspopulistischen Parteien in Europa. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. 9/25, S. 1

Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

1 Kommentar

  1. Die FAZ ist im, wie Du sagst, politischen Teil, ein konservatives Kampfblatt. Ich stimme Deinem Text zu, der die Konsequenzen rechts konservativer Gedankenspiele analysiert und sie, die Rechtskonservativen, vor zukünftigen Entwicklungen warnt. Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl. Dieses führt mich zu der Frage, wie sich eine gesellschaftlich getragene Reform entwickeln kann, die in eine attraktive Zukunft schaut. Eine Reform, die sich nicht in schleichendem Verfall von menschlichen und gesellschaftlichen Beziehung ergeht, sondern die möglichst direkte und lokale Beziehungen und Lebensumfelder aufbaut, in denen Lösungen für die Zukunft entstehen und sichtbar werden. Das Einreden auf die CDU ist nicht falsch. Mich und mein selbständiges Handeln jedenfalls lähmt es.

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