Potsdamer Allerlei 2

Phoenix aus der Asche (Foto: Jonathan Wilson auf wikimedia commons)

Nach den Landtagswahlen in Brandenburg gibt es aus der bruchstücke-Küche zweierlei Potsdamer Allerlei. Acht Kurz-Kommentare, verteilt auf zwei Tage, registrieren, analysieren und interpretieren, versuchen sich an Nahaufnahmen, Überblicken und Vorausschauen.
Heute in der Reihenfolge Fabian Arlt „Reichlich Asche, wer sieht den Phoenix?“, Klaus Lang „Die FDP soll ernst machen: Neuwahlen jetzt“, Klaus West „Das Me-first-Klima nicht mehr bedienen“ und Hans-Jürgen Arlt „Empörte Opfer oder Faschismus, eine moderne Konstante“.
Gestern waren es Wolfgang Storz „Meine Lieblingsthese, ein Rohrkrepierer“, Klaus West „Blankoscheck für eine Selbstinszenierung“, Thomas Weber „Jetzt kann die SPD die Ampel auch platzen lassen“ und Horand Knaup „Zu kitten ist da nichts mehr“.

Reichlich Asche, wer sieht den Phoenix?
Fabian Arlt

Man nennt es ein Aha-Erlebnis. Zum Beispiel wenn dem kleinen Max plötzlich auffällt, dass der Weihnachtsmann Oma Annas Stimme hat. Es war nur eine kurze Episode am Rande des brandenburgischen Wahlabends. Die letzten Umfragewerte waren bekannt (Grüne 5%, Linke 4%), die erste Prognose lag schon vor. Die Grünen torkelten unter der Fünf-Prozent-Hürde, zwar etwas aufrechter als Die Linke, aber ein Verlust von mehr als der Hälfte ihrer Wählerstimmen zeichnete sich deutlich ab und ihr Ausscheiden aus dem Potsdamer Landtag rückte in greifbare Nähe.

In dieser Situation erklärt Brandenburgs Grüne-Spitzenkandidatin Antje Töpfer, nachzulesen bei dpa: „Es wird sicher ein langer Abend, wir werden lange hier verharren und bangen, aber wir werden es schaffen. Wir werden in den Landtag einziehen. Und wir werden das Direktmandat holen.“ Wenig später betont sie, nachzuhören im ZDF, „wir haben gute Politik gemacht und einen sehr, sehr guten Wahlkampf gemacht.“

Massenmedien lieben Seifenblasen. Ihre schillernde Pracht und ihr peinliches Platzen, das eine wie das andere bietet den Unterhaltungslockstoff, der Publikum anzieht. Je kontrafaktischer, desto aufregender. Aber die Massenmedien meine ich nicht.

Der Aha-Effekt ließ mich fragen, ob Antje Töpfer, immerhin kein politisches Greenhorn, sondern Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg, nicht ein Schulbeispiel dafür ist, wie Politiker:innen ohne Not vielleicht noch vorhandene Reste von Glaubwürdigkeit verschleudern – und sich im Grunde niemand darüber wundert. Gefangen in ihrer Echokammer, frei von jedem Gedanken an das Publikum, das den realen Stand der Dinge in Wiederholungsschleifen serviert bekommt, beschließt sie: Bloß kein Problem anerkennen, keine Zweifel aufkommen lassen, unangenehme Fakten ignorieren oder mit alternativen Wahrheiten kontern – von Trump lernen, heißt (nicht) siegen lernen.

Stelle dir vor, die Grünen hätten in Brandenburg keine „gute Politik“ gemacht, sondern sich wie alle anderen durchgewurstelt, und sie hätten keinen „sehr, sehr guten Wahlkampf“ geführt. Hätten sie dann bei den 16- bis 24-Jährigen nicht 24 Prozentpunkte verloren, sondern 42? Wären sie dann statt mit 4,1% mit dem Zweitstimmenergebnis der FDP, also 0,83%, durchs Ziel gegangen? Die grüne Seifenblasen-Produktion reicht über das bittere Ende hinaus. O-Ton Töpfer: „Wir werden wie Phoenix aus der Asche wieder aufsteigen.“


Die FDP soll ernst machen: Neuwahlen jetzt
Klaus Lang

Erfreulich ist die hohe Wahlbeteiligung bei allen drei Landtagswahlen. Politisierte Wahlkämpfe mobilisieren Menschen. Schade nur, dass es dazu einer rechtsextremen Partei bedarf. Warum können die demokratischen Parteien nicht politische Kontoversen so austragen, dass sie Wähler:innen begeistern, ohne den Gegner verbal zu vernichten?Gut ist, dass Dietrich Woidke die Aufholjagd gelungen ist. Die SPD kann also noch erfolgreich sein mit der richtigen Person, mit persönlichem Einsatz, Mut und der Fähigkeit, verstanden zu werden. Das ist nichts Neues. Kein modernes Phänomen, wie Konrad Adenauer oder Willy Brandt zeigen.

So erleichtert man über den Wahlausgang in Brandenburg sein kann: Dass rund 45% der Wähler:innen einer in weiten Teilen rechtsextremen plus einer Partei mit prinzipienloser Führung ihre Stimme geben, ist erschreckend.

Für die CDU war der Wahlabend eine Katastrophe. Friedrich Merz muss den Ausgang geahnt und deswegen seine eilige Nominierung als Kanzlerkandidat vorgezogen haben. Danach wäre dies nicht, jedenfalls nicht mehr reibungslos gelaufen. Die Probleme bleiben: Ein Kanzlerkandidat ohne Ausstrahlung, der sich in der Migrationspolitik von der AfD treiben lässt. Mit welchen Folgen? Statt großspurig versprochener Halbierung, Zufuhr nach rechts außen. In allen drei Ländern zeigt die Wählerwanderung, dass die CDU Stimmen von Grünen und Linken gewonnen, aber mehr Stimmen an AfD und BSW verloren hat. Also kein Bollwerk gegen populistisch und extrem rechts, sondern Schaden für grün-links.

Nicht nur für die Grünen selbst, sondern für alle, die den Klimawandel als Bedrohung und Umweltbelastung als Gefahr sehen ist das Wahlergebnis schrecklich. So verdienstvoll der Eintritt für Menschenrechte und für die Unterstützung der Ukraine ist, die Grünen müssen ihren Kern, Umwelt schützen, Klimakatastrophe verhindern, wieder ins Zentrum stellen. Das Thema wird wieder an Bedeutung gewinnen.

Die FPD ist in Brandenburg vollends untergegangen. Sie hat auch kein politisches Programm, dessentwegen man sie vermissen würde. Weder als entschiedener Verteidiger bürgerlicher Freiheitsrechte noch als überzeugende Vertretung des wirtschaftlichen Mittelstandes ist sie in Erscheinung getreten.

Die one-women-Partei BSW hat Die Linke nahezu zerstört. Oskar Lafontaine hat Jahre zuvor der SPD schwersten Schaden zugefügt. Jetzt hat Sahra Wagenknecht noch Schlimmeres mit der Linken gemacht. CDU und SPD stehen vor der bitteren Notwendigkeit, mit dem BSW über Koalition oder Duldung zu verhandeln. Setzt das BSW durch, dass in entsprechenden Vereinbarungen in den Ländern auch nur ein Satz gegen die Raketenstationierung oder gegen weitere Waffen an die Ukraine steht, so kann das SPD und CDU von innen zerfressen.

Noch am Wahlabend streitet die Ampel weiter

Für die SPD rächt sich, dass nach der „Zeitenwende“-Rede vom März 2022 kein vergleichbare kompakte und überzeugende Kommunikation von Olaf Scholz und seiner Partei in zentralen Themen, die die Menschen berühren, zu hören oder zu sehen ist. Das gilt für die Raketenstationierung, die Waffenlieferungen und Diplomatie zur Ukraine ebenso wie für die Asyl- und Migrationspolitik. Bei letzterer haben sich die Ampel und der Kanzler nie als vorausschauend Handelnde, sondern fast immer nur als Getriebene präsentiert. Das Asylversagen, ja der Rechtsbruch zu Dublin ist nie thematisiert, ein klares Bekenntnis zur Humanität und Einwanderung vermieden worden.

Für die Zukunft der Ampel versprechen die Wahlergebnisse nichts Gutes. Noch am Wahlabend geht der Streit in der Ampel weiter. Aber die Fortsetzung der streitenden Ampel und eines verschlossenen Kanzlers wird die Stimmung gegen Waffenlieferungen und Asylbewerber weiter schüren, der Streit wird überdrüssige Wähler:innen weiter in die Arme von AfD und BSW treiben. Darum wäre es entschieden besser, die FPD macht ernst, verlässt die Ampel und eröffnet so den Weg zu Neuwahlen so rasch wie möglich. Darauf zu setzen, dass die Zahlen der Asylbewerber sinken und Olaf Scholz als Initiator erfolgreicher Verhandlungen zur Beendigung des russischen Angriffskrieges in einem Jahr in die Bundestagswahl ziehen kann, halte ich für mehr als leichtsinnig.

Bei vorgezogenen Neuwahlen würde die SPD mit Olaf Scholz antreten, jede Alternative dazu ist illusorisch. Den Unionsparteien bliebe keine Zeit, sich doch noch für Markus Söder zu entscheiden. Die AfD hat glücklicherweise keinen charismatischen Populisten. Das BSW ist noch im Aufbau begriffen. In einem Wahlkampf könnte es mit seiner autoritären Leitfigur, seinem diffusen Programm, seiner Orientierungslosigkeit in zentralen Politikbereichen, entzaubert werden: In einer intensiven politischen Auseinandersetzung um den künftigen Weg Deutschlands bei der dringend notwendigen Stärkung Europas, bei Klimawandel, Westbindung und Friedenssicherung.
Olaf Scholz darf nicht lächelnd schweigen und unbegründet wirkendes Selbstvertrauen zur Schau tragen. Er könnte seine anderen Fähigkeiten, die ihm manche zuschreiben, auch öffentlich entfalten. So ein Wahlkampf könnte die Menschen zu hoher Wahlbeteiligung mobilisieren und insgesamt demokratische, miteinander koalitionsfähige Parteien stärken, auch mit Gewinn für die SPD.


Das Me-first-Klima nicht mehr bedienen
Klaus West

Worin besteht die Attraktivität der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Sachsen, Thüringen und Brandenburg? Wussten die Bürger:innen, die sie gewählt haben, dass sie antidemokratische Ziele anstrebt? Es ist jetzt klar: das Grundgesetz und die Demokratie sind für eine große Minderheit der Wähler:innen nur ein Wert unter anderen. Ein kurzer Dialog mit AfD-Wähler:innen auf einem Marktplatz: „Die AfD ist gegen die Demokratie!“ – „Wo liegt das Problem?“ „Sie will die deutsche Gesellschaft polarisieren und spalten!“ – „Na und?“ Auch die Kritik, dass Teile dieser Partei verfassungsfeindlich sind, läuft ins Leere.

Diese Partei, so die begründete Vermutung, lebt von Ressentiments und dem Hass auf die Migrant:innen und das Fremde, und damit gegen das Fremde in sich selbst. Ressentiments und Hass nehmen jeden politischen Gegenstand in Besitz. So wurden die Wahlen zum Europaparlament zur Bühne gegen die Migration und für die Rückkehr zum Nationalstaat.

Die Auftritte der Bundessprecherin Alice Weidel in den Nachrichtensendungen sind exemplarisch für eine „Arbeit mit Reizmitteln“ und wirken wie die einstudierten Provokationen eines emotionalen Kühlschranks. Vielleicht sind sie für die Wähler:innen der AfD eine Art Befreiungsschlag gegen die ökologischen Zumutungen der Moderne. Vielleicht sind sie aber auch der „Thrill“, der der Regierungspolitik fehlt, die so langweilig ist wie der Strom, der aus der Steckdose kommt.

Was würde mit der Demokratie geschehen, wenn die AfD an die Macht käme? Würde sie durch eine souveräne Diktatur ersetzt, in der die Regierung beliebiges Recht oktroyieren kann? Denkbar ist, dass die AfD das ganze antidemokratische Programm ablaufen lassen würde: Okkupation der Medien, sukzessive Ausschaltung der Gerichte, Außerkraftsetzung des Parlaments und die Durchsetzung der personellen Gefolgschaften der Partei mit der Verdoppelung und Multiplikation immer neuer Ämter und Behörden.

Ich bin mir (immer noch) nicht sicher, ob die Bürger:innen, die eine Partei wählten, die das Grundgesetz abschaffen will, wissen, was sie heraufbeschwören. Wollen sie eine Diktatur? Oder halten sie die Wahlen für ein provokatorisches Spiel, in dem sie an der Wahlurne „Denkzettel“ verteilen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen?

Die demokratischen Parteien haben Bürger:innen, die sich auf unbestimmte Weise zu kurz gekommen fühlen, lange genug bloß „zugehört“, Bürger:innen, die meinten, Ansprüche vortragen zu können, die ihnen böswilligerweise nicht gewährt werden. In der Aspiration auf etwas, das ihnen entweder nicht zusteht oder das sie nicht erreichen können, sehen sie sich anderen gegenüber in der Hinterhand. Wer das nicht einsieht, entwickelt Ressentiments.

Die Bedienung des „Me-first-Klimas“ sollte beendet werden. Die demokratischen Parteien sollten den Kampf um Werte, in den sie verwickelt wurden, annehmen. Dies ist nicht leicht. Aber sie können die Demokratie und demokratische Institutionen wieder sinnfällig machen, um ressentimentgeladene Bürger:innen an gemeinsame Vorhaben und Loyalitäten zu binden.


Empörte Opfer oder Faschismus, eine moderne Konstante
Hans-Jürgen Arlt

Ostdeutsche Wählerstimmen für die AfD als ein ostdeutsches Problem zu behandeln, ist zu 99 Prozent ein Ablenkungsmanöver. Der quantitative Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern hat den Stellenwert einer Fußnote, gemessen an den faschistoiden Tendenzen, die sich in modernen Gesellschaften seit dem 19. Jahrhundert manifestieren, im 20. barbarisch eskalieren und sich in diesen ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts wieder verstärken. Es wäre ein erstes Stück (Auf)Klärung, zur Kenntnis zu nehmen, dass faschistische Bewegungen (ähnlich wie sozialistische) offenbar stabile Wurzeln in den kulturellen, sozio-ökonomischen und politischen Lebensverhältnissen der Moderne haben.

Wirtschaftswachstum und Wohlstandssteigerung, der ganze wissenschaftlich-technische Fortschritt, natürliche und künstliche Intelligenz, aller Reichtum der Optionen der Kommunikation, des Konsums, der Mobilität. der Medizin etc. ändern offensichtlich nichts daran, dass sich bei einer Teilmenge X der Bevölkerung eine faschistische Grundhaltung herausbildet: Sie fühlen sich als Opfer, halten sich aber für die biologisch, mindestens moralisch besseren Menschen. Dieses Missverhältnis, so erleben sie es, schreit zum Himmel und berechtigt zu jeder (Un)Tat. Ob Hilfs- und Facharbeiter, Millionäre und Milliardäre (wie Elon Musk und Facebook-Investor Peter Thiel als Vordenker des Tech-Trumpismus), grundsätzlich gefeit vor der Anziehungskraft eines faschistischen Weltbildes ist kaum jemand. Angesprochen werden kann, wer nicht in einer anderen Weltsicht fest verankert ist, „seinen Glauben verloren“ hat oder noch offen, weil orientierungslos einen Standpunkt in dieser wirren Welt sucht.

Bevor man sich die Augen reibt und fragt, unter welchen Voraussetzungen Rechtsaußen mehr Aufmerksamkeit und größere Zustimmung bekommt, sollte doch, rein logisch, eine Vorstellung davon erarbeitet werden, wie eine solche – alle proklamierten modernen Werte verhöhnende – Weltanschauung überhaupt Fuß fassen und sich in so vielen Ländern kontinuierlich halten kann. Für Grundströmungen, welche die faschistischen Wellen tragen, halte ich: Eine Kultur des privaten Anspruchs und persönlichen Ressentiments; eine Wirtschafts- und Karrierekonkurrenz mit laufender Produktion von Gewinnern und Verlierern; eine Politik, die permanent mehr verspricht als sie jemals halten kann – gepaart mit Krisenerfahrungen, die Hintergrundängste aktualisieren, aus der Bahn geworfen zu werden.

Eine Sozialfigur, die diesen modernen Lebensverhältnissen in größerer Zahl entspringt, ist das empörte Opfer. Empörte Opfer leiden an der Differenz zwischen Erwartung und Erfüllung, zu der Odo Marquard (in „Abschied vom Prinzipiellen“, Reclam 1986, S. 40) gesagt hat: „Wenn irgendwo Erwartung und Erfüllung divergieren, so dass Enttäuschungen, Erfüllungsdefiziterlebnisse, Mangelerfahrungen entstehen, dann gibt es niemals nur eine, sondern dann gibt es stets zwei Möglichkeiten der Erklärung: entweder nämlich ist da zu wenig Erfüllung oder es ist das zu viel Erwartung.“ Empörte Opfer haben die schädliche Neigung, Fahnenträger des Faschismus zu werden, weil er ihre Empörung auf dreifache Weise bedient: Indem er die Opferrolle herausstreicht, sie als Auserwählte behandelt und Sündenböcke anbietet, die an allem schuld und deshalb gnadenlos zu verfolgen sind. Empörtes Opfer in der Bewegungsphase, brutaler Täter an der Macht, so lässt sich Faschismus zusammenfassen.

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