Bodenrichtwert, Hebesatz, Bemessungsgrundlage: Die bürokratischen Begriffe klingen dröge. Doch hinter dem verwaltungstechnischen Fachchinesisch verbirgt sich ein handfester verteilungspolitischer Skandal. Denn bei der „Reform“ der Grundsteuer im Jahr 2019 haben es die damals noch regierende Große Koalition und ihr sozialdemokratischer Finanzminister Olaf Scholz versäumt, die Abwälzung höherer Abgaben für Immobilienbesitz auf die Mieter zu unterbinden.
Dörte Diemert, Kämmerin in Köln, verkündete im Oktober 2024 eine scheinbar gute Nachricht. In der viertgrößten Stadt Deutschlands bleibe der sogenannte Hebesatz zur Berechnung der Grundsteuer stabil, gab sich die kommunale Spitzenbeamtin generös. Seit dem Jahr 2012 beträgt dieser regional unterschiedliche Faktor in Köln 515 Prozent, aus der Multiplikation mit dem sogenannten Messbetrag ergibt sich die Höhe der erhobenen Steuer. Ein sehr wichtiges Detail aber fehlte in Diemerts Erklärung: Der Messbetrag wird sich in vielen Wohnlagen der Domstadt zum Jahreswechsel vervielfachen. Kein Problem, Hausbesitzer haben doch genug Geld? Nein, weil davon auch sämtliche Mieter betroffen sind. Die Eigentümer dürfen die Grundsteuer als Teil der Nebenkosten auf die Bewohner ihrer Immobilien umlegen. Die Ankündigung der Kämmerin entpuppt sich als plumpes Täuschungsmanöver.
Sozialpolitische Zuspitzung
Zum 1. Januar 2025 trat, wie einst vom Bundesverfassungsgericht gefordert, die Neufestsetzung der Grundsteuer in Kraft. Deutlich höhere Messbeträge führen vor allem in den Großstädten zu einer Vervielfachung der geforderten Steuerzahlung. Eigentlich lautete die Vorgabe des Gesetzgebers, das Ganze „aufkommensneutral“ zu gestalten, die Steuerbelastung also konstant zu halten. In Berlin zum Beispiel, wo die Grundstückspreise seit dem Mauerfall besonders drastisch gestiegen sind, wurde der Hebesatz von 810 auf 470 Prozent abgesenkt. Das verhindert allerdings nicht, dass in den meisten Fällen auch hier höhere Wohnkosten auf die Mieter zukommen.
Viele Kommunen haben es sich leicht gemacht und ihre Hebesätze einfach gar nicht oder kaum verändert. Angesichts chronisch klammer Haushalte hoffen sie so auf deutlich höhere Finanzflüsse. Neben der Gewerbesteuer ist die Grundsteuer eine der wenigen von Städten und Gemeinden direkt beeinflussbaren Abgaben. Die Kölner Verwaltung zum Beispiel kalkuliert mit künftigen Mehreinnahmen von 23 Millionen Euro pro Jahr. Grundbesitz zu belasten ist eigentlich verteilungspolitisch sinnvoll. Weil Vermieter die Kosten aber einfach weiterreichen dürfen, führt das in ohnehin schon von hohen Wohnpreisen betroffenen Regionen zu einer sozialpolitischen Zuspitzung. Für die Mieter ist die Zusatzbelastung dabei zunächst gar nicht sichtbar, erst mit der nächsten Nebenkostenabrechnung kommt das böse Erwachen. Die „zweite Miete“, zu der neben der Grundsteuer auch Müllgebühren, Straßenreinigung, Gebäudeversicherung oder die Hausverwaltung gehören, macht in manchen Verträgen bis zu einem Drittel der Gesamtmiete aus.
„Grundsteuererklärung bringt ältere Nutzer zur Verzweiflung, es fließen sogar Tränen“, titelte 2022 der Münchner Merkur. Groß war die mediale Aufregung, weil Hausbesitzende ein Onlineformular des Finanzamtes über ihre Immobilie ausfüllen mussten. Die Abgabe auf Grundbesitz, so hatten die Verfassungsrichter 2018 angemahnt, müsse sich künftig am Verkehrswert des Objektes orientieren – und nicht mehr an den längst überholten „Einheitswerten“, die in Westdeutschland aus dem Jahr 1964 stammten, im Osten gar seit 1935 unverändert geblieben waren. Ein Grund zur Klage? Wer Grund und Boden besitzt, gehört zu den Wohlhabenden im Lande. Nach der Finanzkrise und den folgenden Euroturbulenzen gab es bei den Immobilienpreisen rasante Wertsteigerungen – und erst recht gute Gründe, diese Gewinne steuerlich stärker abzuschöpfen. In den meisten Nachbarländern gehört die Grundsteuer zu den wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen, mit ihr wird die regionale Infrastruktur wesentlich mitfinanziert. Doch die deutschen Regularien enthalten einen Makel, der viel gravierender ist als der medial aufgebauschte Ärger über elektronische Erklärungspflichten: Hauseigentümer können die Abgabe weiterhin zu hundert Prozent auf die Miete ihrer Bewohner abwälzen.
Vierstellige Kaltmiete, dreistellige Nebenkosten
Die Neubewertung der Finanzbehörden orientiert sich am sogenannten Bodenrichtwert. Dieser zeigt an, wie attraktiv der Standort einer Immobilie ist. In bürgerlichen Wohngebieten und dicht bebauten innenstadtnahen Vierteln liegt er besonders hoch, an der urbanen Peripherie und im ländlichen Raum meist niedriger. Viele, die zur Miete leben, werden also künftig mehr Grundsteuer zahlen müssen – obwohl das Wohnen durch Inflation und Energiekrise schon teuer genug ist.
In den Metropolen, aber auch in manchen Universitätsstädten oder touristisch attraktiven Gegenden verschlingen neu bezogene Zwei- oder Dreizimmerwohnungen die Hälfte des Monatseinkommens auch von Menschen, die eine gut bezahlte Stelle haben. Zu einer Kaltmiete im vierstelligen Bereich können mehrere hundert Euro für die Nebenkosten hinzukommen. Nicht nur gering Verdienende, auch Familien mit mehreren Kindern und entsprechendem Platzbedarf müssen dann umziehen – in Vororte und Trabantenstädte, oder gleich in weit entfernte strukturschwache Regionen mit moderateren Preisen.
Drastische Erhöhungen bei den Preisen für Basisbedürfnisse sind stets ein Warnsignal an die Politik. Das gilt sogar für Diktaturen, erst recht für Demokratien, die auf die Loyalität der Regierten stärker angewiesen sind. Die Historie erzählt von Brotaufständen, von Revolten wegen Getreidemangels oder hoher Energiepreise. Das Problem steigender Mieten schlummert im Vergleich dazu eher im Verborgenen – schon deshalb, weil nicht alle, auch nicht alle Einkommensschwachen, in gleichem Maße tangiert sind. In der deutschen Provinz lässt sich deutlich günstiger leben. Immobilienpreise und Mieten steigen schon seit mehr als einem Jahrzehnt überdurchschnittlich. Viele Menschen können sich nicht mehr leisten, dort zu wohnen, wo sie arbeiten. Doch auch im Umland der Ballungsräume sind die Preise inzwischen nach oben gegangen, zudem rauben längere Anfahrtswege Zeit und Kraft. Die Zahl der Wohnungslosen hat sich in Deutschland zwischen 2022 und 2024 (auf rund eine halbe Million) verdoppelt.
Das Thema Grundsteuer wurde von der SPD, der angeblichen Partei für soziale Gerechtigkeit, regelrecht verschlafen. Die Gewerkschaften wie auch der Deutsche Mieterbund fordern seit Jahren, dass Hausbesitzende die Abgabe nicht mehr auf die Bewohner abwälzen können. Für Vermögende bleibt das „Betongold“ eine lukrative Form der Geldanlage. Neben privatisierten Wohnungskonzernen tummeln sich auf dem Markt internationale Fonds und Investmentfirmen. Haus- und Grundbesitzervereine und Vertreter der Immobilienwirtschaft protestieren gegen alle Vorschläge, die ihre Klientel belasten. Die Lobby warnt vor „mehr Bürokratie“ oder prophezeit, die Eigentümer würden dann einfach die Kaltmiete weiter erhöhen. Dabei ist es sozial mehr als gerecht, jene steuerlich zur Kasse zu bitten, denen Häuser oder Grundstücke gehören. Das Umlageverbot auf die Miete wäre ein notwendiger Schritt im Verteilungskampf um das Recht auf preiswertes Wohnen.
Unter dem Titel „Teure Grundsteuer: Das kommt mit der Reform auf Mieter zu“ erschien der Beitrag zuerst in der Freitag.